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11.01.2001
 
 
   
 

Lernprozesse mit glücklichem Ausgang
Überlegungen zum Kino von Ang Lee und seinen beiden neuen Filmen

 
Begnadete Körper
     
 
 
 
 

Die junge Frau ist selbstbewusst bis zur Arroganz. Zu Beginn von Ang Lees CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON hat man diese Jen (Zhang Ziyi) gesehen, wie sie voller Lust und Faszination das grüne Jade-Schwert der Wudan-Kämpfer betrachtet. "Es muss aufregend sein, als Krieger." Nun hat sie ihr Ziel erreicht, ist im Besitz des Schwertes, und lebt als Frau den männlichen Heldentraum von Macht, die auf Stärke und Gewalt beruht. Doch man will sie nicht akzeptieren, scheint sie doch selbst die Regeln andauernd zu brechen, scheint sie das Wichtigste, die Demut, zu ignorieren. "Schon wieder einer, der mir was beibringen will." sagt sie einmal zornig zu dem älteren Krieger, der eine Art Ziehvater ist. Und schraubt sich in die Luft. Und fliegt. Und kämpft.
Auch Jake (Tobey Maguire), der Hauptfigur von RIDE WITH THE DEVIL, dem zweiten Ang Lee-Film, der jetzt in die Kinos kommt, haben die Älteren wenig zu sagen. Zwar warnt ihn sein Vater noch am Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs davor, sich auf die Seite der "Rebellen" des Südens zu schlagen. Doch Jake muss und will seine eigenen Erfahrungen machen, und wird ein "Bushwhacker", einer derjenigen Guerilleros, die abseits der Linien ihren eigenen gar nicht edlen Partisanenkrieg gegen den Norden kämpfen. Und zumindest am Anfang überwiegen in Ang Lees Inszenierung – auch das gehört zum realistischen Bild - Romantik und Spaß, der Krieg als – auch lustvoller – anarchischer Freiheitstraum.
Was macht einen Helden aus? "Freiheit von und über den Dingen" – so beantwortet Ang Lee diese Frage und weist darauf hin, dass man, auch als Filmemacher, "manchmal die Regeln ein bisschen ändern" müsse. In seinen beiden neuen Filmen, die beide von Helden handeln, die auch Outsider sind, und von der Frage, ob und wo Gewalt frei macht, und überhaupt nötig ist, hat er das jedenfalls getan, und sich, gemessen am eigenen Werk, überraschende Freiheiten und Anarchismen gestattet.

Anerkennung der Ordnung

Dass die Anerkennung der Ordnung, und nur sie, Schutz bieten könnte vor den Unsicherheiten der Existenz, das schien bislang die wichtigste Botschaft der Filme Ang Lees zu sein. Oft genug reizte der aus Taiwan stammende, aber seit über 20 Jahren in New York lebende Regisseur die Konflikte seiner Figuren dabei aus bis an die Grenze, um sie dann doch in idyllische Bilder von Einverständnis und Versöhnung münden zu lassen.
"Father knows best" hat er seine erste Trilogie getauft – THE WEDDING BANQUET (1993) und EAT DRINK MAN WOMAN (1994) liefen auch hier erfolgreich [mit diesen Filmen begann auch Lees Zusammenarbeit mit James Schamus, dem in seiner Heimat sehr renommierten Produzenten von US-Independent-Kino jenseits der engen Standards von Hollywood. Seitdem hat Schamus alle Filme Lees produziert, und bei den meisten von ihnen, so auch bei den beiden neuen, den größten Teil des Drehbuchs geschrieben] -, und dieser Titel war nur halb ironisch gemeint. Denn in diesen Generationskonflikten zum Teil im Westen lebender asiatischer Familien, in denen Lee auch sein eigenes Schicksal spiegelte, muss zwar der Vater jeweils das Ende der Tradition und den Anbruch einer neuen Zeit mit ihren neuen Werten akzeptieren. Doch wahres Glück konnte es da jenseits der Familie auch für die Kinder nicht wirklich geben, ihr Aufbruch war nie ein Bruch mit der Herkunft und mündete am Schluß immer in die Einsicht in das Recht der Älteren (die eben auch nicht störrische Alte waren, sondern letztlich immer genug Weisheit hatten, um der Jugend ihr Recht zu geben).

Auch in seinen nächsten beiden Filmen, jeweils Literaturverfilmungen, schien dieses Muster von Lernprozessen mit harmonischem Ausgang vorzuherrschen, und Ang Lees Ruf als handwerklich einfallsreicher, aber inhaltlich konservativer Regisseur noch zu untermauern. Mit SENSE & SENSIBILITY drehte Lee die bruchloseste aller Jane-Austen-Verfilmungen der letzten Jahre. Doch für den Regisseur war dieser Film in vielerlei Hinsicht ein Schritt vorwärts. Nicht allein indem er mit einem überaus einträglichen A-Movie die Massentauglichkeit seines Kinos demonstrierte, und sich mit dem in England angesiedelten Kostümfilm aus der Beschränkung auf das Milieu der eigenen ethischen Herkunft befreite. Bei aller Süßlichkeit der Inszenierung legt SENSE & SENSIBILITY auch den Zwangscharakter der Sozialmoral und bürgerlichen Rituale des 19.Jahrhunderts bloß, und entlarvt die ökonomische Basis des nur vermeintlich auf Emotionen gegründeten Familienglücks. Wer frei sein will, ist zur Passivität verdammt. Zwar wird schließlich die Ordnung noch einmal von allen zumindest indirekt anerkannt; Glück gibt es hier für die sichtbar im Spinnennetz der Konventionen gefesselten Charaktere aber nur im Ausnahmefall, in dem die Stimme des Herzens und der Befehl der Geldbörse die gleiche Sprache sprechen – ein Happy End, das Ang Lee mit Jane Austen zwar seinen Zuschauern gönnt, das aber nicht mehr entscheidend ist.
Noch ärger kommt es in THE ICESTORM nach dem Roman von Rick Moody. Zunächst dominiert die gnadenlose Abrechnung mit den halbherzigen kulturellen Aufbrüchen der US-Mittelklasse zur Zeit des Watergate-Skandals. Doch überwiegen bei der Wiederversöhnung der Familie am Schluß die depressiv-resignativen Töne. Als Happy End kann sie kaum wahrgenommen werden, was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Reaktionär ist die Story nur dort, wo Unabhängigkeitsdrang in der Figur der von Sigurney Weaver gespielten fremdgehenden Ehefrau dezidiert bestraft wird. Was das alles in den Schatten stellt, ist aber die Fassungslosigkeit, mit der die Kinder völlig abgekoppelt und distanziert den dummen Spielen der Erwachsenen zusehen. Ein Bruch der Generationen, der kaum mehr zu kitten scheint.

"Anti-Patriot"

In seinen beiden neuen Filmen, die er im Stil eines Entwicklungsromans erzählt, schlägt sich Ang Lee nun ganz auf die Seite der Jungen. RIDE WITH THE DEVIL dürfte der durch seinen Verzicht auf alle Parteinahme wahrscheinlich ungewöhnlichste Civil-War-Film sein, der je in Amerika gedreht wurde. Was Lee hier interessiert, ist kaum, wer politisch recht hat, ist nicht die pathetische Inszenierung von Motivationen und Gesinnungen. Fast in jeder Hinsicht, in punkto Geschmack, Zurückhaltung, Intelligenz und Feinheit von Handlung wie Stil handelt es sich bei diesem epischen Drama vielmehr um das direkte Gegenstück zu Roland Emmerichs martialischem "Patriot", der ebenfalls ein hochsensibles Kapitel der inneramerikanischen Geschichte behandelte.
Stattdessen zeigt der Regisseur dieses "Anti-Patriot" das beklemmende Nebeneinander von Wahnsinn und Normalität, die völlige Willkür der immer neuen Konstellationen, in denen hier Nachbarn gegen Nachbarn kämpfen. Natürlich muss man diese Geschichte auch vor der Hintergrund der Bürgerkriege und Kulturkämpfe unserer Tage lesen.

Doch was dominiert, sind die individuellen Schicksale. Die äußere Erscheinung der Kämpfer, ihre wilden schmutzigen Bärte und Zottelhaare, symbolisieren die auch innere Barbarisierung, das Unzivilisierte des Krieges. Im Zentrum stehen zwei Außenseiter, der deutschstämmige Jake und der befreite Negersklave Holt (Jeffrey Wright), der – eine bizarre aber historisch belegte Episode – mit dem Süden für die Verteidigung der Sklaverei kämpft. Jake muss erwachsen werden, Holt sich aus dem Anerkennungsverhältnis zu seinem Befreier lösen. Es sind berührende Momente, in denen Ang Lee die allmählich wachsende innere Distanz seiner Figuren zum äußeren Geschehen beobachtet, wie er beispielsweise das Vorlesen fremder Briefe, die den Soldaten zufällig in die Hände fielen, als gemeinsames Ritual geheimer Flucht aus der Gegenwart inszeniert.
Ein weiteres Leitmotiv in Lees Kino wird hier deutlich: die Verschränkung von Grenzziehung und Grenzüberschreitung, die kulturell, sozial oder persönlich gemeint sein kann. Am Ende steht diesmal noch eine Familie. Mit ihr zieht Jake nach Westen gen Sonnenuntergang; der Bart ist ab, die Haare gestutzt, der Krieger ist wieder zum Zivilisten geworden, so scheint es; verheiratet sein macht friedlich. Konservative Family Values? Nein. Denn genaugenommen ist die Konstellation ganz künstlich, gar nicht den Idealvorstellungen irgendwelcher Traditionalisten entsprechend. Der junge Gatte ist der dritte Mann der Frau. Das Baby stammt nicht von ihm, und zur Heirat wurde er fast genötigt. Ganz pragmatisch ist dieses Bild, trotzdem glücklich und in dieser Verbindung auch ein Programm. Ebenso wie die Tatsache, dass noch einer davonreitet: Holt, allein, mit einer Waffe, die er und seinesgleichen noch brauchen werden für lange Zeit.

Action-Offenbarung: Fliegende Körper, große Räume

In CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON - ausgerechnet dem Film, der mit dem phantastischen traumartigen "alten China" in der traditionellsten Landschaft angesiedelt ist - ist die Familie dann ganz imaginär geworden. Sie ist nur noch in den zwei Paaren, dem jungen und dem alten präsent, die in gewissem Sinn auch ein Eltern-Kind-Verhältnis verbindet. Die Älteren sind in nobler Melancholie eingebunden in den strengen konservativen Regelkanon des Wudan-Kriegerordens. Trotz ihrer Zuneigung füreinander sind sie nicht imstande, sich aus dem engen Korsett aus Ehre und Pflichterfüllung zu befreien. Das junge Paar, Jen und der Wüstenbandit Lo, verkörpert eine offenere Zukunft. Besonders Jen, die eigentliche Heldin des Films, ist auch eine Rebellin gegen die alte Ordnung. Für ihre Befreiung zahlt die (imaginäre) Tochter teuer: Sie erkauft sie mit dem Tod des (imaginären) Vaters. Doch am Ende steht eine - in vielem zutiefst europäische - Freiheit, die darin liegt, das jeder für sich er selber wird. "Versprich mir eins: Bleib Dir treu" gibt am Ende der sterbende Li Jen mit auf den Weg. Die ältere Generation gibt in dieser Saga von Heldentum und Schuld, von Konventionen und ihrer anarchischen Durchbrechung den Stab an die jüngere weiter.

Harmonie liebt Ang Lee auch hier noch immer, doch ein weiteres Mal ändert er die Regeln. Ein Frau als Star eines Martial Arts-Kampffilms ist für sich schon ungewöhnlich genug. Doch wie CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON zunächst einmal ganz als Form inszeniert ist, sprengt alle Gewohnheiten. Die Geschichte – einmal mehr Emanzipation einer jüngeren Generation – ist bei allem Interesse das Unwichtigste an diesem Film.
Was über alles Maßen fesselt, und CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON zu einem Filmereignis ersten Ranges macht, zu einem – das kann man schon jetzt sagen – der großen Filme des Jahres, ist die elegische Schönheit der Bilder, in die Lee sein postmodernes Märchen kleidet. Choreographiert im Stil eines Hongkong-Movie lässt er die Körper freischweben, sie pausenlos und jenseits aller Gravitationsrealität durch die Luft wirbeln. In ihrer Virtuosität, Poesie und Verführungskraft stellen diese Szenen, in denen die Menschen in den Bäumen tanzen, auch MATRIX weit in den Schatten [Kollege Willmann dessen schöne Filmrezension Sie hier nachlesen können, weist an diesem Punkt gewiß nicht zu Unrecht darauf hin, dass MATRIX in technischer Hinsicht allenfalls das Verdienst zukomme, die Martial-Arts im Westen popularisiert zu haben. Der eigentliche Vergleichsmaßstab seien die chinesischen Filme des Genres]. Alles in allem eine Offenbarung, Action, wie ich jedenfalls sie noch nie im Kino gesehen habe.
In manchem wirkt CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON auch wie ein Western. Die Bildsprache, die großen Räume, das Spiel von Ruhe und Geschwindigkeit ähneln einander. Doch die romantischen, perfekt komponierten Bewegungs- und Kampfszenen erinnern – nicht zuletzt in ihrem Humor - noch mehr als an das wilde freie Ford-Country auch manchmal an die Filme mit Douglas Fairbanks und Erol Flynn.

Man kann Ang Lees Karriere also auch anders sehen: Als die eines Regisseurs, der noch immer experimentiert, der zwischen Genres und Epochen hin- und herpendelt, dabei immer wieder neues wagt, und sich dabei allmählich selber befreit: aus Konventionen, aus den engen Interieurs seiner frühen Filme hin zu den großen Räumen und Landschaften. Mit jedem seiner Filme öffnet sich die Perspektive, wird das Kino von Ang Lee größer, erobert er sich ein Stück mehr Bewegungsfreiheit. Und wer in CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON die Menschen in aller Leichtigkeit fliegen sieht, ahnt, dass Ang Lee hier kurz die Disziplin verliert, und sich für Augenblicke ganz seinen Leidenschaften hingibt. Man wünschte sich, er würde das noch öfters tun.

Rüdiger Suchsland

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