In Frankreich läuft zur Zeit ein kleiner Streit über Kubricks
EYES WIDE SHUT. Es ist nicht die sexuelle Note des Films,
die manchen Franzosen aus der Fassung bringt, sondern sein
Titel. Denn wie in Deutschland -und der restlichen freien
Welt - startet der Film unter seinem Originaltitel und nicht
unter einer sinngemäßen Übersetzung ins Französische.
Das Übersetzten von Filmtiteln ist auch bei uns die Regel,
die oft zu haarsträubenden Ergebnissen führt. Bedenkt man
zudem die fast panische Angst der Franzosen vor Anglizismen,
so verwundert vordergründig diese Debatte nicht.
Hält man sich jedoch vor Augen, dass es Kubricks ausdrücklicher
Wille war, seinen Film weltweit unter dem Originaltitel anlaufen
zu lassen, so erstaunt es nun doch, dass ausgerechnet im filmverliebten
Frankreich, mit seiner fast kultischen Verehrung großer englischer
und amerikanischer Regisseure, eine solche Diskussion entstehen
konnte.
Kubricks Anweisung in Frage zu stellen ist dabei in doppelter
Hinsicht anmaßend. Zum einen sollte der "letzte Wille" eines
Verstorbenen, auch bei einem Regisseur, etwas besonderes sein und
entsprechend behandelt werden. Zum anderen sollte man doch
annehmen, dass sich der Perfektionist Kubrick bei seinem Entschluß
einiges gedacht hat und sein Urteil als genialer Künstler (egal ob
lebendig oder tot) respektiert werden muß.
Dieses Anzweifeln von Künstlerentscheidungen ist bezeichnend für
eine Praktik, die es wahrscheinlich schon seit der Erfindung des
Filmes gibt und die auch in allen anderen Kunstformen zu finden
ist. Ist ein Künstler erst einmal tot, beginnt eine Reihe von
Menschen für ihn zu denken. Es ist dabei den (in der Regel
selbstberufenen) Nachlaßverwaltern egal, wie sich der Künstler zu
Lebzeiten geäußert hat. Liegt er erst einmal im kühlen Grab, wird
in "seinem Sinne" gehandelt, was durchaus die Korrektur der ein
oder anderen unpassenden oder unangenehmen Ansicht des Verstorbenen
nach sich ziehen kann.
Gibt es sogar ein rechtskräftiges Testament, (wie beim
Österreichboykott von Thomas Bernhard) so finden sich genügend
rechtliche Hintertürchen, um dieses zu umgehen. Notfalls stellt man
das Allgemeininteresse als oberstes Gebot gegen den offensichtlich
unsinnigen Wunsch des Toten. Im Gegensatz zu einigen Regisseuren
hat Thomas Bernhard zumindest das Glück, dass niemand versucht,
seine Bücher zu verbessern oder zu vervollständigen. Doch
gerade das geschieht, wenn sich ein ehemaliger Cutter oder
Regieassistent oder Kaffeekocher mit gefundenen Filmmaterial in
einem Schneideraum verkriecht, um einen Director’s Cut, im Sinne
des (Gott sei Dank) verstorbenen Regisseurs zu gestalten.
Liegt dem ein konkretes Drehbuch mit originalen Anweisungen des
Regisseurs zugrunde, dann mag eine solche Restaurierung vielleicht
Sinn machen. Wenn man aber nur auf gut Glück zusätzliches Material,
das der Filmemacher vielleicht Jahre vorher ganz bewußt
herausgeschnitten hat, wieder einfügt, dann wird daraus eine
ärgerliche Dummheit.
Ebenso zweifelhaft ist die von Filmkomponisten gerne
hintertriebene Neuvertonung von Filmen. Vormals abgelehnte
Partituren kommen dort endlich zur Geltung und der Komponist
triumphiert schließlich über den zu Lebzeiten so ignoranten
Regisseur. Warten sie nur darauf, bis in Kubricks 2001 nicht mehr
Richard Strauss, sondern die eigens komponierte und von Kubrick
abgelehnte Musik von Alex North zu hören sein wird.
Wie schwierig es dabei ist, im Sinne von jemanden zu handeln ist
an Gus van Sant gut gemeintem Remake von PSYCHO zu sehen. Ein Film,
der bis ins letzte den Anweisungen Hitchcocks folgte und trotzdem
nicht in einer Minute das Genie des Altmeisters erkennen läßt.
Beim Film fehlt wohl (im Gegensatz etwa zur Literatur) immer
noch ein wenig der Mut zum Fragment, weshalb man Filme wie
Claude Chabrols Remake von DIE HÖLLE, das wie sein Original
ohne Ende blieb, nicht hoch genug einschätzen kann.
Vielleicht wäre Chabrol der richtige Mann, um die leidige
Diskussion über EYES WIDE SHUT in Frankreich entsprechend
zu beenden.
Michael Haberlander
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