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30.09.1999
 
 
   
 

Dein Wille geschehe?
Vom Umgang mit allerletzten Regieanweisungen

 
Monolithisches von Kubrick
     
 
 
 
 

In Frankreich läuft zur Zeit ein kleiner Streit über Kubricks EYES WIDE SHUT. Es ist nicht die sexuelle Note des Films, die manchen Franzosen aus der Fassung bringt, sondern sein Titel. Denn wie in Deutschland -und der restlichen freien Welt - startet der Film unter seinem Originaltitel und nicht unter einer sinngemäßen Übersetzung ins Französische.
Das Übersetzten von Filmtiteln ist auch bei uns die Regel, die oft zu haarsträubenden Ergebnissen führt. Bedenkt man zudem die fast panische Angst der Franzosen vor Anglizismen, so verwundert vordergründig diese Debatte nicht.
Hält man sich jedoch vor Augen, dass es Kubricks ausdrücklicher Wille war, seinen Film weltweit unter dem Originaltitel anlaufen zu lassen, so erstaunt es nun doch, dass ausgerechnet im filmverliebten Frankreich, mit seiner fast kultischen Verehrung großer englischer und amerikanischer Regisseure, eine solche Diskussion entstehen konnte.

Kubricks Anweisung in Frage zu stellen ist dabei in doppelter Hinsicht anmaßend. Zum einen sollte der "letzte Wille" eines Verstorbenen, auch bei einem Regisseur, etwas besonderes sein und entsprechend behandelt werden. Zum anderen sollte man doch annehmen, dass sich der Perfektionist Kubrick bei seinem Entschluß einiges gedacht hat und sein Urteil als genialer Künstler (egal ob lebendig oder tot) respektiert werden muß.

Dieses Anzweifeln von Künstlerentscheidungen ist bezeichnend für eine Praktik, die es wahrscheinlich schon seit der Erfindung des Filmes gibt und die auch in allen anderen Kunstformen zu finden ist.
Ist ein Künstler erst einmal tot, beginnt eine Reihe von Menschen für ihn zu denken. Es ist dabei den (in der Regel selbstberufenen) Nachlaßverwaltern egal, wie sich der Künstler zu Lebzeiten geäußert hat. Liegt er erst einmal im kühlen Grab, wird in "seinem Sinne" gehandelt, was durchaus die Korrektur der ein oder anderen unpassenden oder unangenehmen Ansicht des Verstorbenen nach sich ziehen kann.

Gibt es sogar ein rechtskräftiges Testament, (wie beim Österreichboykott von Thomas Bernhard) so finden sich genügend rechtliche Hintertürchen, um dieses zu umgehen. Notfalls stellt man das Allgemeininteresse als oberstes Gebot gegen den offensichtlich unsinnigen Wunsch des Toten. Im Gegensatz zu einigen Regisseuren hat Thomas Bernhard zumindest das Glück, dass niemand versucht, seine Bücher zu verbessern oder zu vervollständigen.
Doch gerade das geschieht, wenn sich ein ehemaliger Cutter oder Regieassistent oder Kaffeekocher mit gefundenen Filmmaterial in einem Schneideraum verkriecht, um einen Director’s Cut, im Sinne des (Gott sei Dank) verstorbenen Regisseurs zu gestalten.
Liegt dem ein konkretes Drehbuch mit originalen Anweisungen des Regisseurs zugrunde, dann mag eine solche Restaurierung vielleicht Sinn machen. Wenn man aber nur auf gut Glück zusätzliches Material, das der Filmemacher vielleicht Jahre vorher ganz bewußt herausgeschnitten hat, wieder einfügt, dann wird daraus eine ärgerliche Dummheit.

Ebenso zweifelhaft ist die von Filmkomponisten gerne hintertriebene Neuvertonung von Filmen. Vormals abgelehnte Partituren kommen dort endlich zur Geltung und der Komponist triumphiert schließlich über den zu Lebzeiten so ignoranten Regisseur. Warten sie nur darauf, bis in Kubricks 2001 nicht mehr Richard Strauss, sondern die eigens komponierte und von Kubrick abgelehnte Musik von Alex North zu hören sein wird.

Wie schwierig es dabei ist, im Sinne von jemanden zu handeln ist an Gus van Sant gut gemeintem Remake von PSYCHO zu sehen. Ein Film, der bis ins letzte den Anweisungen Hitchcocks folgte und trotzdem nicht in einer Minute das Genie des Altmeisters erkennen läßt.

Beim Film fehlt wohl (im Gegensatz etwa zur Literatur) immer noch ein wenig der Mut zum Fragment, weshalb man Filme wie Claude Chabrols Remake von DIE HÖLLE, das wie sein Original ohne Ende blieb, nicht hoch genug einschätzen kann.
Vielleicht wäre Chabrol der richtige Mann, um die leidige Diskussion über EYES WIDE SHUT in Frankreich entsprechend zu beenden.

Michael Haberlander

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