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DER FIGHT DES JAHRES:
Komische Harmonisten vs. Würzige Mädels

  25.12.1997
 
 
 
  Willkommen meine Damen und Herren zum sportlichen Großereignis der diesjährigen Festtage, zum Kampf der TitanInnen, zum Fight des Jahrzehnts. Zwei Musikfilme sind angetreten, um sich im unfairen Kampf um Ihr Eintrittsgeld zu schlagen, und es wird - soviel ist sicher - heute mit harten Bandagen gekämpft werden.
In der linken Ringecke angetreten sind die COMEDIAN HARMONISTS, betreut von ihrem Trainer, dem Vilsmaier Sepp, und alle Vorteile scheinen auf ihrer Seite zu liegen: Als Vorbild eines der ganz wenigen deutschen Gesangsensembles auf höchstem, internationalen Niveau - sechs Männer mit bewegenden, spannenden Lebensläufen, wie sie uns Eberhard Fechner dokumentarisch in Fernsehen und Buch bereits so geglückt näher gebracht hat. Dazu eine Besetzung, in der alles versammelt ist, was der deutsche Film an brauchbaren Schauspielern zu bieten hat. Und außerdem ein üppiges Budget und beste technische Möglichkeiten.

In der rechten Ecke stehen die Spice Girls bereit, die unter dem Titel SPICEWORLD - THE MOVIE in den Ring steigen. Fünf Mädels, die mit belanglosem Pop und gelungener Image-Inszenierung die Herzen der Zehnjährigen erobert haben; weit und breit kein Stoff für einen Film in Sicht, schauspielerisches Talent nur insofern zu erwarten, als die Gewürzmädchen (Kräuterweiblein?) sich bisher recht erfolgreich als Selbstdarsteller betätigt haben; vergleichsweise wenig Zeit und Geld zur Verfügung - ob sie über die erste Runde hinauskommen werden?

Und schon ertönt der Gong, und gleich geht es hart zur Sache: die Kontrahenten versuchen sofort, eine klare Entscheidung herbeizuführen und lassen nicht lange auf ihre entscheidendste Waffe warten - sie bringen ohne Umschweife die Musik zum Einsatz.
"Mein kleiner grüner Kaktus" prallt auf "Wannabe", die Harmonists punkten mit einer wunderbaren "Veronika, der Lenz ist da"-"Schöne Isabella von Kastilien"-Kombination, dagegen prallt "Spice up your life" fast wirkungslos ab... - da verlangsamt sich das Tempo; vorsichtig, tastend gehen die Gegner zu den Balladen über - aber auch hier klar der Vorteil bei den Comedian Harmonists: "Irgendwo auf der Welt" haben die englischen Mädchen nichts entgegenzusetzen.
Und überhaupt, die Gesangskultur, die Kompositionen, die Arrangements - fast scheint die Entscheidung schon in der ersten Runde zu fallen - ist das das Aus für die Spice Girls? Aber nein, da werden Risse in der Deckung der Deutschen sichtbar - ja, da, ganz deutlich: die Integration der Lieder ins Gesamtkonzept funktioniert nicht, jedesmal gerät die Bewegung hier ins Stocken, sie wissen ihre eigentlich unschlagbaren Schlager nicht so recht einzusetzen, und... doch, doch, sehen Sie genauer hin, da - merken Sie? - ja, das karaokeähnliche Mimen der Mimen zum computerentrauschten Schallplatten-Gesang der verstorbenen Virtuosen, das hat etwas richtig Gruseliges, das hinterläßt so ein übles Gefühl...
Und plötzlich sind die Spice Girls wieder da, nun trumpfen sie auf - bei ihnen fügt sich die Musik nahtlos ins Gesamtbild, ist dramaturgisch an den richtigen Stellen, macht Spaß, selbst wenn man sie eigentlich nicht mag... Der Gong ertönt, die erste Runde ein klares Unentschieden.

Lassen Sie mich die Pause nutzen, um einige Worte über das Konzept des Trainers der COMEDIAN HARMONISTS zu verlieren:
Es ist nicht leicht, einen Kampfstil und -rhythmus zu finden, der den historischen Figuren gerecht wird, und so hat sich Joseph Vilsmaier an andere Vorbilder gehalten. Er übernimmt die Taktik aus dem Standard-Handbuch und zwingt sie seinen Fightern ohne Rücksicht auf Verluste auf; Grundlage und Mittelpunkt seines Plans ist eine frei erfundene Dreiecksgeschichte, wie Sie sie auch schon abertausendmal gesehen haben. Alles, was die Fights der realen Comedian Harmonists so unvergesslich machte, ist da allerhöchstens noch als dekorative Geste am Rand zu erkennen. Vilsmaier setzt ganz auf die Überzeugungskraft des wohlvertrauten Klischees, um sich und Sie, liebe Film-, äääh... Faustkampf-Fans geistig nicht zu überfordern.
Und schon hören wir wieder den Gong...

Die zweite Runde beginnt gemächlicher; nachdem der stürmische Beginn nicht die erhoffte Entscheidung brachte, nun ein vorsichtiges Abtasten der Gegner - man bringt die Gastauftritte zum Einsatz. Nicht ganz fair die Comedian Harmonists, bei denen doch außer Ulrich Noethen und den beiden Beckers eigentlich alle Schauspieler nur in Nebenrollen verheizte Gäste sind, aber na ja... man hat immerhin doch noch etwas in der Hinterhand: da ist Otto Sander, tadellos, aber was macht der hier, hat der nicht mal in einer ganz anderen Gewichtsklasse...? Schön, Rolf Hoppe... und hören Sie, da ist tatsächlich Giora Feidman! Sieht ja doch ganz gut aus für die deutschen Männer - aber was machen sie da? Wie vorhersehbar! Dana Vávrová, die Vilsmaierin! Und - Nein, das darf nicht wahr sein, läßt sich das hierzulande denn wirklich nicht vermeiden, ein solcher Tiefschlag: Katja Riemann, und auch noch im vorgetäuschten Spagat! Die Niederlage ist zum Greifen nah - aber, gerade noch abgewendet: die Dauer ihres Auftritts hält sich in Grenzen.
Und schon schlagen die Spice Girls zurück, die Schläge prasseln wie ein Feuerwerk: Meatloaf! Roger Moore! Richard "Rocky Horror Picture Show" O'Brien! Barry "Dame Edna" Humphries! Stephen Fry! Elvis Costello! Elton John! Bob Geldof! Hugh Laurie! Bob Hoskins! Gary Glitter!
Gerade noch rettet der Gong die Comedian Harmonists vor dem vorzeitigen K.O.!

Auch Spice Girls-Trainer Bob "Fawlty Towers" Spiers orientiert sich an bekannten Vorbildern, schließlich ist er nicht der erste, der eine englische Gesangstruppe in eine cineastische Schlacht führt. Richard Lester ist der unerreichte Übervater auf diesem Gebiet; seine Triumphe mit den Beatles sind unvergessen, und auch wenn Spiers bis zu diesem Niveau noch einen ziemlichen Weg zurückzulegen hat, erweist er sich doch als gelehriger Schüler. Realität ist ihm übrigens ebenso egal wie Vilsmaier, aber aus ganz anderen Gründen - es sei mir so kurz vor dem Gong das Wort postmodern gestattet.

GONG...

Und da stürmen die Kämpfer erneut in den Ring, und es ist klar: diesmal geht es um Alles! Jetzt gibt es keine Gnade mehr, jetzt ist jedes Mittel recht. Und schon holen die Spice Girls aus und... ja aber was ist das? Ja dürfen die das? Es ist nicht zu glauben, aber ganz klar, kein Zweifel, ja: sie greifen zur Selbstironie!! Alle Schläge der Gegner prallen wirkungslos ab; da gibt es keine Blöße auszunutzen, die die Mädchen nicht selbst schon entdeckt hätten!
Die COMEDIAN HARMONISTS sind fassungslos: so etwas kennen sie nicht, das haben sie hierzulande nie gesehen! Verzweifelt greifen sie zu unerlaubten Hilfsmitteln und schütten kübelweise Schmalz in den Ring, wollen dem Publikum den Griff zum Taschentuch aufzwingen. Aber die Fans haben bereits ihren Schlachtengesang angestimmt:

Irgendwo auf der Welt
gibt's 'nen guten deutschen Film
und ich träum' davon schon lange, lange Zeit.
Wenn ich wüßt', wo das ist
ging ich in das Kino rein;
ach, ich möcht' einmal nur
mit Hirn unterhalten sein!

Und jetzt kennen die Spice Girls keine Zurückhaltung mehr: die Realitätsebenen fliegen den deutschen Männern nur noch so um die Ohren, die Mädels trumpfen mit Tempo, Witz und Spaß auf, und nun greifen sie zu ihrer schärfsten Waffe: Energie, Energie, Energie!!!!
Der Favorit wankt, er strauchelt, stolpert, röchelt - geht zu Boden (wo er auch hingehört) - und bleibt liegen! Welch Sensation, wie unerwartet! Das war's, da ist nichts zu machen, da kann man den überraschenden Gewinnerinnen nur noch gratulieren:
Ein überlegener Sieg für Girl Power!

Thomas Willmann

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