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Welsch und Suchsland gucken Filme über Nazis

  04.12.1997
 
 
 
  SUCHSLAND: Sagen Sie mal, WELSCH, muß man Brad Pitt denn wirklich mit Marlon Brando vergleichen ?

WELSCH: Nicht wirklich SUCHSLAND, aber man muß ihn auch nicht immer als blöden Pin-Up bezeichnen.
Natürlich hätte ich ihn auch mit Zarah Leander oder Greta Garbo vergleichen können. Sein depressiver Gesichtsausdruck begeistert mich immer wieder.

SUCHSLAND: Sie vergessen sich, WELSCH ! Zwar hat schon der große Kritiker Richard Oehmann gesagt, daß es ihm gefällt, wenn jemand den Film aus purer Geilheit auf Brad Pitt gut findet, aber ein guter Film ist SEVEN YEARS IN TIBET doch nun wirklich nicht.

WELSCH: Ein wunder Punkt SUCHSLAND. Mein großes Idol Fritz Lang hat immer gesagt: „Ein guter Film ist ein Film, den man nochmal sehen möchte.“ Und das würde ich bei SEVEN YEARS auch nicht unbedingt (bedingt schon, wegen Brad Pitt eben) sagen. Aber lassen Sie uns lieber über die Frage reden, die an diesem Film allgemein interessant ist: darf man über einen Nazi einen Film machen, in dem nicht thematisiert wird, das er ein Nazi ist ?

SUCHSLAND: Ja und Sie finden WELSCH, man darf ?

WELSCH: Ja, genau SUCHSLAND. Weil Film eben fiction ist, per definitionem eine konstruierte Wirklichkeit. Annaud hat irgendwo gesagt: „Der Film ist MEINE Wahrheit“.

SUCHSLAND: Die soll ihm nicht genommen werden, WELSCH. Aber uns Zuschauer müssen die Wahrheiten des Herrn Annaud auch nicht weiter interessieren. Denn Film, Realität und Vergangeheitsbewältigung sind eben keine „fremden Welten untereinander“, wie Sie schreiben WELSCH, falls damit gesagt werden soll, daß Film mit den beiden anderen Welten nichts zu tun hat. Film ist Fiktion. Realität ebenfalls. Mag ja sein, wissen wir poststrukturalistisch Geschulten, aber ein wenig mehr Begründung hätte ich mir schon gewünscht.

WELSCH: Können Sie haben, SUCHSLAND. Es gibt eben mehrere Aspekte von Wirklichkeit; Annaud hat sich den der Selbstfindung herausgesucht. Und wir haben als Zuschauer keinen Anspruch darauf, daß er sich mit der politischen Wirklichkeit hätte beschäftigen müssen.

SUCHSLAND: Ich finde, man darf über eine Figur wie Harrer eben keinen Film machen, der nicht auch klar und deutlich darauf eingeht, daß der Typ ein ziemlich unangenehmer Opportunist ist, der in den 50er Jahrten zum Helden der Verschweiger und Wegseher wurde, und seitdem voller Selbstgerechtigkeit durch die Welt zieht. Denn dieser Opportunismus, diese Art, „unpolitisch“ zu sein, ist ja etwas höchst politisches - was der Film überhaupt nicht thematisiert.

WELSCH: Aber auch gar nicht tun kann, SUCHSLAND, weil er ja auf die Identifikation mit dieser Figur setzt. Ihre Forderung würde einen ganz anderen Film ergeben, den Annaud gar nicht hätte machen können.

SUCHSLAND: Wär vielleicht besser so gewesen, WELSCH. Denn was soll die Identifikation mit einem Arschloch ? Der dann am Schluß als geläutertes Arschloch gezeigt wird, was nur naiv ist. Das alles muß man doch politisch kritisieren, da darf man doch als gute Kritikerin nicht selbst unpolitisch werden. Oder meinen Sie etwa, daß es unpolitische Filmkritiken gibt ?

WELSCH: Sie sind ein Moralist, SUCHSLAND ! Ich habe versucht, den Film aus sich selbst zu beurteilen. Es ist nicht legitim, einen Film nur deshalb schlecht zu finden, weil er nicht der ist, den Sie gern gesehen hätten. Man muß nicht immer fragen, was ein Film politisch aussagt. Auch wenn jemand einen Film „Harrer, der Nazi“ gedreht hätte, dann wäre es ein persönlicher, subjektiver, in diesem Sinne fiktiver Film geworden. Er hätte dasselbe gemacht wie Annaud, nur auf der anderen Seite der Skala.

SUCHSLAND: Und Sie sind eine Relativistin, WELSCH ! De facto behaupten Sie: alles ist Fiktion, also ist alles eh egal.

WELSCH: Nein, nein, komplettes Mißverständnis SUCHSLAND ! Ich sage zwar: Alles ist Fiktion, aber deswegen noch lange nicht egal. Genaugenommen geht es hier doch gar nicht um einen Heinrich Harrer-Film, sondern um einen Brad Pitt-Film. Im Starsystem ist der Star so dominant, daß er immer seine Rollen überlagert. Der Film wird politisch gar nicht rezipiert, sondern als Film mit dem schönen Brad Pitt.

SUCHSLAND: Um so schlimmer, WELSCH. Sie reden sich um Kopf und Kragen. Denn gerade ein allseits geliebter Star könnte bessere und komplexere messages transportieren. Und wenn einer wie Brad Pitt dummes Zeug transportiert, das -ich wiederhole- gar nicht anders als auch politisch zur Kenntnis genommen wird, ist das zusätzlich zum Kotzen !

WELSCH: Sie hätten gerade eben kein Red Bull trinken sollen, SUCHSLAND. Niemand, Star oder nicht hat die moralische Verpflichtung, die Welt runder oder die Menschen besser zu machen. Es wird jetzt keiner Nazis nett finden, weil Brad Pitt einen Nazi spielt. SCHINDLERS LISTE von Spielberg ist dagegen ein viel schlechterer Film, weil er vorgibt, sich realistisch mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Bei Spielberg muß sich niemand selbst in Frage stellen. Die Zuschauer identifizieren sich dort ungebrochen mit dem guten Herrn Schindler.

SUCHSLAND: Besser, als sich mit überhaupt nichts zu identifizieren, WELSCH. Bei Annaud sind die Nazis doch nur eine weitere Steilwand für Heinrich Harrer, da wird keinerlei moralischer Konflikt geschildert. Ich finde SCHINDLERS LISTE, gar nicht schlecht, weil wir Zuschauer uns durchaus gebrochen mit Schindler -einer nicht durchweg positiven Figur- oder gar manchmal mit dem Nazi-Lagerleiter identifizieren - indem wir etwas von diesen Personen verstehen. Mit den Juden im Lager identifiziert sich kein Deutscher, das wäre auch obszön. Und das Spielberg das auch nicht nahelegt, ist das Gute am Film.

WELSCH: Ein guter Film über das Dritte Reich wäre einer, der Identifikation unmöglich macht, den Zuschauer verstört aus dem Kino entläßt, und bei Spielberg ist das gerade nicht gewollt. Annaud will gar keinen Film über das Dritte Reich machen. Aber die schönste Faschismus-Auseinandersetzung der Filmgeschichte ist sowieso CASABLANCA. Wenn da die Marseillaise gesungen wird, ist das endlich einmal ein Pathos, daß auch ich akzeptieren kann.

SUCHSLAND: Sehr wahr, WELSCH, da kann ich Ihnen endlich einmal völlig zustimmen. Ich glaube, das ist der Beginn einer wundervollen Freundschaft.

Regine Welsch und Rüdiger Suchsland

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