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13.11.1997
 
 
   
 

Die Ripley-Saga
Eine lebensweltliche Perspektive zur Alien-Trilogie

 
"Interessieren Sie sich für mich?" Ellen Ripley (ALIEN 3)
     
 
 
 
 

Zum Geleit
"Alien - Die Wiedergeburt" steht vor der Tür: der vierte Teil eines der interessantesten Sequels in der Filmgeschichte startet am 27. November 1997 in den deutschen Kinos. Dieser Aufsatz wurde vor ein paar Jahren, als "Alien" noch eine Trilogie war, geschrieben und bereicherte verschiedene bereits existierende Interpretationsansätze um eine weitere Lesart, die besonders im Hinblick auf den vierten Teil von Interesse sein dürfte. Darüber hinaus bietet er einen kurzen inhaltlichen Überblick zu den ersten drei Teilen und ist als Einstimmung auf den äußerst sehenswerten vierten Film gedacht. Denn auch diese Fortsetzung ist Teil der "Ripley-Saga" - auch wenn die Heldin schon in Teil 3 den Erlösertod gestorben ist. In diesem Sinne: viel Vergnügen beim Lesen!

Max Herrmann

   
 
 
 
 

Wenn es schon bei der Betrachtung eines einzelnen Filmes kaum möglich ist, alle mehr oder weniger versteckten Anspielungen, verschlüsselten Zitate und verweisende Symbole, kurz: die Interpretationsangebote und -aufforderungen zu thematisieren, dann dürfte solches bei drei abendfüllenden Werken erst recht allenfalls bruchstückhaft gelingen. Und auch das wenige, das wir thematisieren, werden wir nur andeuten können. Trotz dieser Einschränkungen, deren Erwähnung bei Filmanalysen fast schon wieder überflüssig ist, wollen wir zunächst rechtfertigen, warum wir hier ALIEN gleich als Trilogie 'unter die Lupe' nehmen wollen:

  1. ALIEN spielt in einer geradezu banalen Zukunft. Zusätzlich zu technischen Weiterentwicklungen, die - atypisch für das Genre - wenig vertrauenerweckend inszeniert sind, scheinen die Menschen (und die Androiden!) in ihrem Handeln und Denken nicht gerade 'Quantensprünge' vollzogen zu haben. Die hier dargestellte Zukunft wirkt deshalb besonders riskant, weil sie aus heutiger Sicht sehr wahrscheinlich anmutet: mit einer nicht-omnipotenten Technologie und mit Menschen, die so sind 'wie Du und ich'.
  2. Der 'Sinn' von ALIEN erschließt sich, wenn er sich denn erschließt, allenfalls in der Zusammenschau aller drei Filme: Es ist eine Passionsgeschichte.
  3. Die Schauspielerin Sigourney Weaver als Lieutenant Ellen Ripley bleibt sogar - vielleicht auch gerade - kahlköpfig kämpfend in ALIEN3 erotisch ungemein faszinierend.

Die ALIEN-Filme wurden in den vergangenen 15 Jahren unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen analysiert, z.B.:

  • ideologisch bzw. ideologiekritisch (was das gleiche ist):
    Feministisch (Ripley ist eine feministische Heldin [Newton 1990, S. 84, Kavenagh 1990, S. 77] versus Ripley ist eine Attacke auf den Feminismus [Bundtzen 1987]); und/oder marxistisch (das skrupellose Kapital und die ausgebeuteten, dem Profit geopferten Arbeiter [Newton 1990, S. 82f.]).
  • semiotisch:
    Der Kater in ALIEN 1 ist unverzichtbar, weil er strukturell ein Zeichensystem (Greimas 1970, S. 160f.) vervollständigt: Ripley (=Mensch) steht im Gegensatz zum Alien (=Antimensch); die negative Entsprechung zum Menschen ist Ash, der Roboter (=Nichtmensch); die positive Entsprechung zum Nichtmenschlichen aber ist eben der Kater (=Nicht-Antimensch) (Kavanagh 1990, S. 79).
  • metaphorisch:
    ALIEN 1: Die Heroin gegenüber den männlichen Versagern (Frauen-Power [Bundtzen 1987, S. 12]).
    ALIEN 2: die weiße 'Kunst'-Mutter gegen die schwarze Gebärmaschine (Rassen-Kampf [Bundtzen 1987, S. 14]).
    ALIEN 3: der gemeinschaftliche Kampf gegen die virale Infektion (AIDS-Metapher [Cinema 9/92]).
  • allegorisch:
    Das Alien steht für die menschliche Urangst vor dem Fremden und Unbegreiflichen (Fitting 1980, S 289, Brunotte 1991, S. 196).
  • ästhetisch:
    Die biomechanoide Kunst des H.R. Giger als Zukunftsdesign (z. B. Giger 1992).
  • ökologisch:
    Die Menschen bzw. die Zivilisation werden bzw. wird zerrieben zwischen der reinen, ungebändigten Natur (=Aliens) und der reinen, gefühllosen Technik (=Computer, Androiden [Cinema 9/92]).

I.

Bevor wir uns nun mit tiefgründigeren Ausdeutungen beschäftigen, wollen wir zunächst kurz die einzelnen Filme und deren 'technische' Daten wieder vergegenwärtigen (für Produktion und Vertrieb war jeweils die Twentieth Century Fox verantwortlich):

ALIEN 1 (ALIEN - DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER FREMDEN WELT): Amerikanische Uraufführung: 26.10.1979, Deutsche Erstaufführung: 4.6.1982; Regie: Ridley Scott; Art Director: H.R. Giger; besonders interessante Nebenrollen: John Hurt als erstes Alien-Opfer Kane, Yaphet Kotto als Chefingenieur Parker.

Inhalt: Die siebenköpfige Mannschaft eines Raumschiffes (Nostromo), die für eine private Firma (die Gesellschaft/Company) in den Tiefen des Alls unterwegs ist, landet nach Empfang von etwas, das vom Bordcomputer (Mutter) zunächst als Notsignal interpretiert bzw. dargestellt wird, auf einem fremden Planeten und holt dabei infolge eines Unfalls ein außerirdisches Wesen an Bord. Dieses Wesen tötet im Laufe des Films fünf der sieben Besatzungsmitglieder. Das sechste Besatzungsmitglied (Wissenschaftsoffizier Ash) entpuppt sich als Android und wird von den zu jener Zeit noch verbliebenen Besatzungsmitgliedern zerstört. Das außerirdische Wesen wird vom überlebenden siebten Besatzungsmitglied, von Bordoffizier Ellen Ripley, schließlich vernichtet. Ripley tritt zusammen mit dem Bordkater (Jones) die Rückreise in einer Tiefschlafbox an.

ALIEN 2 (ALIENS - DIE RÜCKKEHR): Produktionskosten: ca. 18 Millionen Dollar; Deutsche Erstaufführung: 13.11.1986; Regie: James Cameron; Spezialeffekte: Stan Winston; besonders interessante Nebenrollen: Jennette Goldstein als Hispano-Kriegerin Vasquez; Lance Henriksen als Android Bishop.

Inhalt: Ripley wird, nachdem sie 57 Jahre im Tiefschlaf durch den Weltraum getrieben war, von einem Ausschuß, der sich mit den Vorfällen aus ALIEN 1 befaßt, degradiert. Auf dem Planeten aus ALIEN 1 (der nun 'Acheron' genannt wird) wird eine inzwischen dort angesiedelte Gruppe von ca. 150 Kolonisten von außerirdischen Wesen, die sehr ähnlich dem aus ALIEN 1 sind, getötet. Ripley, ein Vertreter der 'Company' (Burke) und ein Android (Bishop) begleiten einen Trupp von zwölf Soldaten auf den Planeten. Elf Soldaten werden getötet, ein Soldat (Corporal Hicks) wird schwer verletzt. Auch der Android wird zerstört, ehe Ripley die 'Königin' der außerirdischen Wesen vernichten und mit dem verletzten Soldaten, dem zerstörten Androiden und der einzigen Überlebenden aus der Kolonie, einem kleinen Mädchen (Newt), die Rückreise in den Tiefschlafboxen antreten kann.

ALIEN 3 (ALIEN3): Produktionskosten: ca. 50 Millionen Dollar; Deutsche Erstaufführung: 3.9.1992; Regie: zunächst: Renny Harlin, dann: Vincent Ward, und schließlich: David Fincher (hatte zuvor 'lediglich' Werbespots und einige Madonna-Video-Clips gedreht); Spezialeffekte: Richard Edlund/Alec Gillis/Tom Woodruff; besonders interessante Nebenrollen: Charles Dance als Dr. Clemens, Charles S. Dutton als geistlicher Führer Dillon.

Inhalt: Eines oder mehrere der außerirdischen Wesen sind an Bord des Raumschiffes gelangt, in dem sich die Überlebenden aus ALIEN 2 auf der Rückreise befinden. An Bord des Raumschiffs bricht ein Feuer aus. Automatisch werden die im Tiefschlaf befindlichen Passagiere in ein Rettungsshuttle verbracht. Das Rettungsshuttle schlägt auf einem Gefängnisplaneten (Fiorina/Fury 361) auf. Ripley ist die einzige Überlebende. Auf dem Gefängnisplaneten leben 25 männliche Strafgefangene in einer Art mönchischer Gemeinschaft sowie zwei Aufseher (Direktor Andrews und Wärter Aaron). Das mit dem Rettungsshuttle eingeschleppte außerirdische Wesen tötet den Großteil der Planetenbewohner, ehe es von Ripley und den Überlebenden vernichtet wird. Eine Gruppe Soldaten unter Leitung des Erfinders des Androiden aus ALIEN 2 (Bishop II) kommt zu spät auf dem Planeten an: Ripley hat entdeckt, daß sie einen Embryo der außerirdischen Wesen in sich trägt und tötet sich - vor den Augen des Abgesandten der Company - selbst.

Der Plot aller drei Filme ist also relativ ähnlich und einfach gestrickt: Das Ablaufschema erinnert in seiner Grundstruktur frappant an die Geschichte von den 'zehn kleinen Negerlein'. Die Verhaltensmuster der Heldin ähneln auf den ersten Blick denen von 'Rambo'.

II.

Wir versuchen, Alien 1-3 phänomenologisch-individualisierungstheoretisch zu begreifen. D. h., wir nähern uns dem komplexen und vielfach verrätselten Artefakt mit der Frage, wessen riskante Zukunft uns hier eigentlich präsentiert wird.

ALIEN 1-3 demonstrieren uns erst einmal nicht 'die' Welt in späteren Jahren, nicht 'das' soziale Leben in einer mehr oder weniger fernen Zukunft. Die Filme zeigen uns vielmehr die Lebenswelt von Lieutenant Ellen Ripley. Sie zeigen uns die Welt, wie Ripley sie zwischen ihrem Erwachen aus dem Tiefschlaf auf dem Raumschiff Nostromo und ihrem Freitod in einem Hochofen auf dem Planeten Fiorina erlebt, erleidet und erhandelt: das Leben als "via dolorosa" (Murphy 1992, S. 17).

Ellen Ripleys Existenz ist - zumindest in dem biographischen Abschnitt, den wir miterleben - hochgradig individualisiert: Als sie vom Computer des Raumschiffes Nostromo zum ersten ALIEN-Abenteuer aus dem Kältetiefschlaf geweckt wird, ist sie biographisch wohl über 30 Jahre alt, biologisch (aufgrund diverser, zumeist einige Monate dauernder Tiefschlafphasen) aber eher in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre. Ripley hat (das erfahren wir aber erst im zweiten Film) zu diesem Zeitpunkt eine 10-jährige Tochter. Darüber, ob sie verheiratet ist oder in einer anderen 'festen' Beziehung lebt oder gelebt hat, erfahren wir nichts. Sie besitzt ein Offizierspatent, hat offenbar schon einige Weltraumerfahrung, den Rang eines Marineleutnants und auf der Nostromo die Funktion des Bordoffiziers. Sie arbeitet, wie alle Besatzungsmitglieder, für eine private Firma, die als 'Company' bzw. 'Gesellschaft' bezeichnet wird, und die offenbar vielfältige Geschäftsinteressen verfolgt.

Als Ripley nach der Bergung ihres Shuttles von Mitgliedern eines anderen Raumschiffes zum zweiten ALIEN-Abenteuer geweckt wird, ist sie biologisch kaum gealtert (sie sieht aus, wie eine Frau Anfang oder Mitte Dreißig). Biographisch ist sie aber etwa 90 Jahre alt, denn sie war zwischenzeitlich 57 Jahre lang im Kälteschlaf durch das Weltall geirrt. Ihre Tochter ist inzwischen im Alter von 66 Jahren gestorben. Nach ihrer Rekonvaleszenz und nach Entzug ihres Offizierspatents arbeitet sie eine zeitlang im Dock der Raumstation und erwirbt dabei eine 'Klasse-Zwei-Berechtigung' zur Bedienung von Lademaschinen. Da sie eine Einheit von Marinesoldaten als Beraterin auf die ALIEN-2-Mission begleitet, erhält sie ihren Offiziersrang zurück.

Zum Zeitpunkt der Notlandung des Rettungsshuttles auf dem Gefängnisplaneten Fiorina in der Krankenstation aufwacht, ist Ripley biographisch wohl rund 95 Jahre alt, biologisch aber eher Ende Dreißig.

Wie ist diese Lebenswelt der Ellen Ripley nun strukturiert, und welche Elemente ihres subjektiven Relevanzsystems lassen sich rekonstruieren?

III.

So wie Ripley offenkundig aus der Normalbiographie, aus dem allgemeinmenschlichen Zeitkontinuum herausgeschleudert worden ist, so ist auch ihr Lebensraum aus den Fugen geraten: Sie bewegt sich fast ständig in absonderlichen Räumen: in engen, künstlichen zum einen und in endlosen, natürlichen zum anderen zugleich. Kein Raum, in dem sie sich aufhält, scheint es wert bzw. dafür geschaffen zu sein, bewohnt zu werden: Hier die dunkle, grenzenlose Leere des Weltalls und die Unwirtlichkeit ferner Planeten, dort die beklemmenden Raumschiffe mit ihren Tiefschlafboxen und Wohnzellen, die Raumstationen und Gefängnisquartiere. Nur ein einziges Mal (in der Directors Cut-Version von ALIEN 2) schaut Ripley auf das, was man so üblicherweise eine 'schöne Landschaft' nennt - und schaltet dann die Video-Projektion aus.

Ripley hat offenbar kaum bzw. keine quasi-natürlichen Sozial-Bindungen. Man könnte sogar sagen, sie hat eigentlich gar keine solche Bindungen; zumindest keine zwischenmenschlichen. Denn aus Ripleys Vergangenheit, die wir nicht miterleben durften, scheint ihr nach der Begegnung mit dem ersten Alien niemand mehr wichtig zu sein. Und ihre wachen Momente, die wir bezeugen können und die uns bemerkenswerterweise beinahe in 'Echtzeit' vorgeführt werden, sind bestimmt durch den Kampf gegen die Außerirdischen.

Ihre Beziehungen zu anderen sind weitgehend selbst gewählt und gehen (mehr oder weniger rasch) vorüber. Sie wird kaum einmal von Gefühlen oder sexuellen Begierden überwältigt. Und was immer denn trotzdem als 'Mann' für dieses "Schneewittchen" (so wird sie in ALIEN 2 von Vasquez bezeichnet) in Betracht kommt, wird eliminiert: ALIEN 1: Ripley steht, kaum bemerkbar, auf Captain Dallas. Dallas stirbt. ALIEN 2: Ripley hat ein leichtes Techtelmechtel mit Corporal Hicks. Hicks stirbt. ALIEN 3: Ripley hat eine sexuelle Beziehung mit Dr. Clemens. Clemens stirbt. Ripley ist - grosso modo - also weder triebhaft noch affektuell. Sie agiert außerhalb natürlicher und quasi-natürlicher Eingelebtheiten und existiert jenseits ihres biologischen Schicksals - der Inbegriff eines (selbst-)bewußten, zivilisierten, individualisierten Daseins (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1994; Beck 1995).

Auch ihre 'Mütterlichkeit' ist nicht kreatürlich, sondern (freiwillig oder auferlegt) artifiziell (fast möchte man sagen: männlich, jedenfalls androgyn): Die erwähnte leibliche Tochter erscheint nur als sozusagen fremdartiger Schatten (sie hat offenbar jene Normalität gelebt, die Ripley verwehrt bleiben soll). Ansonsten 'wählt' Ripley ihre 'Kinder' - für die sie dann allerdings mit allen Mitteln kämpft - selbst: ALIEN 1: Ripley sorgt sich um den Bordkater (Jones). Sie gefährdet sich selbst, um ihn zu retten. ALIEN 2: Ripley kümmert sich 'aufopfernd' um das Findelkind (Newt). Sie setzt ihr eigenes Leben ein, um das Leben dieses Kindes zu schützen. Selbst in ALIEN 3, als Ripley auf eine obszöne Art 'schwanger' geht mit dem Embryo einer Alien-Königin, ist sie bereit, sich für dieses 'Kind', selbst zu opfern. Dieses Kind muß sterben, weil es eine Gefahr darstellt. Also stirbt Ripley mit ihm und für es und begeht damit den klassischen Akt der Selbstopferung für das Heil der Menschheit ('Jesus-Syndrom').

Ripleys 'Mutterschaft' ist also tendenziell asexuell, sozusagen keusch bzw. 'rein' und steht damit im schieren Gegensatz zur schleimigen, sabbernden, blutrauschigen Fortpflanzungswut der Aliens. Diese Aliens erscheinen in der Wahrnehmung der Ellen Ripley, die wir als 'naive' Zuschauer typischerweise für 'wahr' nehmen, als eine Rasse von monströsen, phallisch-vaginalen Geschlechtsorganen: Die erste Gestalt, in der uns das Alien begegnen, ist die eines springenden Legerüssels (face-hugger = Gesichtsklammerer), der offenbar nur zu dem einen Zweck existiert, sich auf dem Gesicht eines anderen Organismus festzuklammern, diesen durch orale Penetration zu vergewaltigen und einen Alien-Embryo abzulegen. Dieser Alien-Embryo (chest-burster = Brustsprenger) ist ein Schmarotzer, ein Parasit des Wirtskörpers, der diesen schließlich, als einer Art rasender Phallus, von innen nach außen penetriert und damit tötet. Das ausgewachsene Normal-Alien, ein phallusköpfiger 'Tötungs'-Super-Organismus, dient dazu, der unentwegt eierlegenden Königin (die Super-Vagina) potentielle Feinde vom Leib zu halten und die für die Aufzucht der Brut notwendigen Nahrungsmittel und Wirtskörper heranzuschaffen. Die Eier, extracorporale Riesen-Follikel, wiederum enthalten jene springenden Legerüssel, die wir bereits kennen.

Aber all diese - im Hinblick auf menschliche Normalexistenz verzerrten - zeitlichen, räumlichen und sozialen Dimensionen der Lebenswelt der Ellen Ripley scheinen bei ihr keineswegs nachhaltige Gefühlswallungen auszulösen. Ripley agiert - jedenfalls im Prinzip und bis auf ganz wenige Ausnahmen (wie z. B. dem beinahe zur Katastrophe führende Wutanfall im Nest der Alien-Königin in ALIEN 2) - cool, rational und ihrem klaren, unkomplizierten Weltbild entsprechend folgerichtig und konsequent.

Im Sinne Michel Foucaults ist Ripley eine moralisch völlig unangefochtene Rassistin: "Was ist der Rassismus denn wirklich? Er ist zunächst das Mittel, um [...] einen Einschnitt einzuführen: einen Einschnitt zwischen dem, was leben muß und dem, was sterben muß. [...] Andererseits hat der Rassismus eine zweite Funktion: Er hat die Aufgabe, eine positive Beziehung von der Art zu begründen: "Je mehr Du tötest, je mehr Du sterben machst, umso mehr wirst Du deshalb leben". [...] Das Töten, der Imperativ des Tötens sind im System der Bio-Macht nur dann zulässig, wenn sie nicht nach dem Sieg über den politischen Gegner streben, sondern danach, die biologische Gefahr zu eliminieren und, mit dieser Eliminierung direkt verknüpft, die Spezies selbst oder die Rasse zu stärken. Die Rasse, der Rassismus, das ist die Akzeptabilitätsbedingung des Tötens in einer Normalisierungsgesellschaft. (Foucault 1993, S. 42/43, Hervorheb. i. Text)

In exakt diesem Sinne betrachtet Ripley die Aliens (die Super-Natur) als unkontrollierbare Großgefahr für Menschen (und für die Menschheit). Diese Gefahr muß beseitigt werden. Dazu dienlich ist dem Menschen sein Werkzeug, seine Technik (idealtypisch: die Waffe in der Hand). Aber die avancierte Technik wird selbst riskant. Nicht, weil sie ein 'Eigenleben' entwickeln würde, wie etwa die philosophierende Bombe in John Carpenters DARKSTAR (USA, 1974), sondern weil sie von anonymen, bürokratischen Organisationen (die Super-Maschine) für deren, aber gegen die (Über-)Lebensbedürfnisse der Menschen gerichtete, wirtschaftlich-militärische Interessen eingesetzt werden kann. Für die anonyme, bürokratische Organisation ist die in den Aliens verkörperte Super-Natur keine Bedrohung, wie für die Menschen, sondern eine potentielle Ressource (d. h. wirtschaftlich profit- und militärisch erfolgversprechend). Die Zukunft des Menschen, die unmittelbare, sozusagen die Zukunft der nächsten fünf Sekunden, ebenso wie die grundsätzliche, das Schicksal der menschlichen Rasse betreffende Zukunft, ist also riskant in doppelter Hinsicht: Hie droht die allesverschlingende, wuchernde, scheinbar unaufhaltsame Natur, das Fremdartige schlechthin, und dort lauern die Fallen der verselbständigten, der außer Kontrolle geratenen Technokratie in allzu vertrauten und vertrauenerweckenden Gestalten (Mutter, der Bordcomputer; Ash, der Teamkollege; Burke, der einfühlsame Gesprächspartner; Bishop II, das scheinbar so vertraute Gesicht eines Freundes). Es gibt Momente in dieser Trilogie, da scheinen Ripley die Aliens näher zu sein als die 'Company'. Da steht unabweisbar die Frage im Raum, was für den Menschen gefährlicher, was unmenschlicher ist: das offensichtlich Fremdartige oder das scheinbar Vertraute, das unverhohlen Gewalttätige oder das freundlich maskiert Skrupellose? - You know Burke, I don't know which species is worse. (Ellen Ripley in ALIEN 2)

Ripleys 'Familien' hingegen sind künstliche. Gemeinschaften von zum großen Teil sonderbaren aber ehrlichen 'Häuten', das sind die (durchaus nicht immer sympathischen) menschlichen Besatzungsmitglieder in ALIEN 1, die machohaften (männlichen und weiblichen) Soldaten in ALIEN 2 und die strafgefangenen Schwerverbrecher in ALIEN 3. Allesamt sind sie Randgänger der Gesellschaft: die Pioniere und Grenzer, die Freaks und Spinner, die Nicht-Technokraten. Die Charakterschweine andererseits, das sind all die, die von dem getrieben werden, oder von dem sich beherrschen lassen, was in Ripleys Augen nichts ist als nackte Profitgier. Sie verkörpern das andere 'Fremde', das unmenschliche System. Verwirrend ist nur, daß dies alles, anders als das Alien, nicht immer unverhüllt zutage tritt, nicht immer auf Anhieb erkennbar ist: So manches, was gut scheint, ist böse (z. B. Ash, Burke, Bishop II), und manches, was böse scheint, erweist sich als gut (Parker, Bishop, Dillon etwa). So ist denn für den Betrachter, genauso wie für Ripley, beständig zu klären, was da nun eigentlich tatsächlich wieder vor sich geht und wer hier eigentlich welches Spiel spielt (vgl. dazu Hitzler 1992).

IV.

Wir erleben in diesen drei Filmen also die mit diesen einführenden Bemerkungen nur vage angedeutete Welt der Ellen Ripley. ALIEN 1-3 repräsentiert diese Welt genau mit jener (Selbst-) Sicherheit, mit der wir alle üblicherweise unsere je eigene Weltsicht als die der Wirklichkeit und den Tatsachen angemessene betrachten. Es gibt in diesem Dreiteiler kaum einmal explizite Subjektivismen der Protagonistin, sondern vielmehr eine Fülle verselbstverständlichter Gewißheiten, die uns, die Zuschauer, wenn wir uns einfach auf den Film einlassen, kaum je daran zweifeln lassen, daß Ripleys Art, die Dinge zu sehen, die adäquate und sachnotwendige ist, während andere, davon abweichende Relevanzsysteme dagegen als einfältig, kurzsichtig, ignorant, zynisch erscheinen. Ellen Ripley verkörpert sozusagen den gesunden Menschenverstand, den subjective-expected-utility-Pragmatismus (vgl. Esser 1991) in einer, in ihrer Welt, die voll ist von Narren, Teufeln und Schurken.

Diese subjektive Welt scheint relativ 'rund', sozusagen 'vollständig' zu sein. Es ist eine entzauberte, eine säkularisierte, aber keine sinnlose, keine absurde Welt: Fremdes (das Alien) ist gefährlich. Nichtmenschliches (die Company) ist menschenfeindlich. Technokraten (die Marionetten der Company) sind verschlagen oder dumm oder beides. Menschen (Kollegen, Waffenbrüder, Schicksalsgenossen) sind verletzlich und sterblich. Diese Welt ist für uns in hohem Maße plausibel: Es ist eine Welt, in der das erfahrende Subjekt ein gefährliches, aber kein hilf- und wehrloses Leben führt, ein riskantes, aber damit auch ein 'eigenes' Leben. Ein Leben unter dem selbstgewählten, Situationsmächtigkeit erhaltenden Imperativ: "Kläre, was vor sich geht! Triff eine Entscheidung! Handle!"

Dieses Leben der Ellen Ripley endet mit dem Tod. Aber nicht, wie 'jedes' Leben mit irgendeinem Tod, sondern mit dem Entschluß zum Tod, mit der Entscheidung zum letzten Sprung, nachdem ihr zuvor die Gnade versagt geblieben war, zu sterben, ohne ein 'Jetzt' bestimmen zu müssen. Der Kelch geht nicht an Ripley vorüber. Im Gegenteil: Ähnlich wie Jesus in Martin Scorceses Film muß auch Ellen Ripley der 'letzten Versuchung' widerstehen: Das eigene Leben zu retten, endlich eine 'normale' Zukunft mit einem Heim, einem Mann und Kindern vor sich zu haben und dafür darauf zu verzichten, die Menscheit vor dem Bösen zu bewahren und ihre 'reine' Seele zu erlösen. Ripley-Jesus widersteht: Im finalen Fall noch 'gebiert' sie ihr Monster, umfaßt es - und nimmt es mit sich in die reinigenden Flammen.

Dieser nun in der Tat, und wie es sich für große Mythen gehört, pathetische Schluß gibt der ganzen Trilogie ihren Sinn: ALIEN 1-3, das ist, wie eingangs schon bemerkt, die Passionsgeschichte der Ellen Ripley, die nach einer langen, fast schamanistisch anmutenden Lebens-Reise durch manigfaltige Über- und Unterwelten (vgl. dazu Hitzler 1982), die nach vielen kleinen Toden und Wiedergeburten am Ende bereit ist für die eigene Transsubstantiation.

Die Welt der Ellen Ripley verweht mit dieser letzten, entschiedenen Tat und endet eben nicht, wie es manche Cineasten aus ästhetischen Gründen gern gehabt hätten, mit dem erfolgreichen Widerstand gegen das erste Alien am Ende des ersten Teils. Die biblische Passionsgeschichte endet schließlich auch nicht damit, daß Jesus der satanischen Versuchung widersteht, sondern... und genau das ist nun die Frage: Endet die biblische Passion nun eigentlich mit dem Tod Jesu am Kreuz? Mit der Auferstehung? Oder erst mit der Himmelfahrt? (Oder wird sie womöglich eben so lange fortgeschrieben, wie es eine sie erinnernde Christenheit gibt?)

Analog dazu war für uns genau das auch hinsichtlich der Ripley-Saga die Frage: Werden wir nach diesen drei Teilen nun das endgültige Ende eine säkularisierten, individualisierten Existenz gesehen haben, oder treibt die Profitgier die 'Company', die Twentieth Century Fox, dazu, den Aliens weiter nachzuspüren oder gar Ellen Ripley auferstehen und womöglich gen irgendeinen Himmel fahren zu lassen? - Und in der Tat, eben das scheint zu dräuen: Gerüchten und Berichten nach ist nicht nur ein vierter Teil beschlossene Sache, sondern auch Sigourney Weaver konnte wieder dafür gewonnen werden. Und wie es sich für das Genre gehört, sollen diejenigen Skripte favorisiert sein, die Ellen Ripley als gentechnisch hergestellter Klon wiederaufleben lassen: Ein Fitzelchen Haut oder ein Fingernagel wird sich hierfür zweifellos irgendwo im Weltall schon noch finden...

Man darf also gespannt sein: Welcher 'Gott' wohl läßt sie auferstehen (die 'Company' oder deren Feinde) und warum? Und blüht Ripley jetzt womöglich das Schicksal einer ewigen Wiedergeburt, das sie immer wieder ihre Hölle durchleben läßt - ohne Hoffnung auf eine endgültige Erlösung (ähnlich Prometeus, Sisyphos u.a.) -, zumindest bis der Teufel, die Fox oder der Zuschauer, genug hat?

V.

Aus ästhetischen wie auch romantischen Gründen bleiben wir gegenüber jeder Fortsetzung (vorläufig) skeptisch. Nicht zum wenigsten deshalb, weil fraglich ist, ob Sigourney Weaver tatsächlich noch einmal so attraktiv aussehen kann wie in ALIEN 3. Wünschenswert wäre hingegen - aufgrund eines soziologischen Interesses an Perspektivenwechseln (vgl. dazu Honer 1993) - eine ganz andere Art der 'Fortsetzung' von ALIEN (allerdings ohne jede Hoffnung auf Realisation), nämlich auf der Basis der Idee, den gleichen Stoff aus zwei anderen Perspektiven - sozusagen 'reflexiv' (im Sinne von Beck/Giddens/Lash 1995) - nochmals zu verfilmen:

1. Aus der Perspektive der 'Gesellschaft', also der Firma (bzw. Company). Denn: Was wäre, wenn statt der Profitgier, die Ripley (und ihre geistesverwandten Kumpels) sieht und vermutet, tatsächlich ein Forschungsinteresse, eine wissenschaftliche Neugier - zum Wohle der Menschheit - oder ein moralischer Skrupel gegenüber der frag- und hemmungslosen Ausrottung einer fremden Lebensform, also eine praktische Maßnahme gegen Xenophobie, gegen Fremdenfeindlichkeit, hinter den Aktionen der Company steckt?

2. Aus der Perspektive der Aliens. Denn: Was tun die Aliens eigentlich, was wir Menschen nicht tun? - Sie sehen zwar schon ziemlich fremd aus, und ihre Lebensweise erinnert uns stark an die Organisationsformen von Insektenstaaten, die Menschen gemeinhin schon immer etwas unheimlich waren. Aber ansonsten versuchen sie eben, sich Nahrung und Nistplätze zu verschaffen, ihren Nachwuchs großzuziehen und sich selbst und die eigene Art gegen einen kampflustigen, technisch ungleich überlegenen Gegner zu schützen. Wahrhaft ökologisch gesinnten Zeitgenossen jedenfalls müßte doch das Herz bluten angesichts dieser Vernichtungsschlacht der technisch-militärischen Zivilisation gegen die reine Natur jener Außerirdischen.

Literatur

  • Beck, Ulrich u.a. (1995): Eigenes Leben. Ausflüge in die unbekannte Gesellschaft. München
  • Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth (1994) (Hrsg.): Riskante Freiheiten. Frankfurt a. M.
  • Beck, Ulrich/Giddens, Anthony/Lash, Scott (1995) : Reflexive Modernisierung. Frankfurt a.M.
  • Brunotte, Ulrike (1991): Im Spiegel des Grauens. Zum Verhältnis von Projektion und Reflexion im erzählerischen Werk Edgar Allan Poes, in: Schäffter, Ortfried (Hrsg.): Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeit zwischen Faszination und Bedrohung, Opladen, S. 195-210
  • Bundtzen, Lynda, K. (1987): Monstrous Mothers: Medusa, Grendel, and now Alien, in: Film Quarterly, V. XL, No. 3, Berkeley, S. 11-17
  • Cinema (1986), H. 11: Aliens, Hamburg, S. 12-18
  • Cinema (1992), H. 9: Alien 3, Hamburg
  • Esser, Hartmut (1991): Alltagshandeln und Verstehen. Tübingen
  • Fitting, Peter (1980): The Second Alien, in: Elkins, Charles (ed.): Symposium on Alien, in: Science-Fiction Studies, V. 7, S. 278-304
  • Foucault, Michel (1986): Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte, Berlin.
  • Foucault, Michel (1993): Leben machen und sterben lassen: Die Geburt des Rassismus, in: Sebastian Reinfeldt/Richard Scharz/Michel Foucault: Bio-Macht, Duisburg, S. 27-52.
  • Giger, H. R. (1992): HR GIGER ARh+, Köln.
  • Greimas, A. J. (1970): Du Sens, Paris
  • Hitzler, Ronald (1982): Der 'begeisterte' Körper. Zur persönlichen Identität von Schamanen. In: Unter dem Pflaster liegt der Strand, Band 11 (hrsgg. von Rolf Gehlen und Bernd Wolf). Berlin, S. 53-73
  • Hitzler, Ronald (1992): Der Goffmensch. Überlegungen zu einer dramatologischen Anthropologie. In: Soziale Welt, 43. Jg, H. 4, S. 449-461
  • Hitzler, Ronald/Honer, Anne (1988): Der lebensweltliche Forschungsansatz. In: Neue Praxis, 18. Jg., H. 6, S. 496-501
  • Hitzler, Ronald/Honer, Anne (1994): Bastelexistenz. Über subjektive Konsequenzen der Individualisierung. In: Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hrsg.): Riskante Freiheiten. Frankfurt a. M., S. 307-315
  • Honer, Anne (1993): Das Perspektivenproblem in der Sozialforschung. In: Jung, Thomas/Müller-Doohm, Stefan (Hrsg.): 'Wirklichkeit' im Deutungsprozeß. Frankfurt a.M., S. 241-257
  • Kavanagh, James H. (1990): Feminism, Humanism and Science in Alien, in: Kuhn, Annette (Hrsg.): Alien Zone. Cultural Theory and Contemporary Science Fiction Cinema, London/New York, S. 73-81.
  • Murphy, Kathleen (1992): The Last Temptation of Sigourney Weaver, in: Film Comment, V. 28, No. 4, New York, S. 17-20
  • Newton, Judith (1990): Feminism and Anxiety in Alien, in: Kuhn, Annette (Hrsg.): Alien Zone. Cultural Theory and Contemporary Science Fiction Cinema, London/New York, S. 82-87.
  • Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas (1979 und 1984): Strukturen der Lebenswelt. Band 1 und 2. Frankfurt a.M.

Autoreninformation:

Ronald Hitzler: Jahrgang 1950, Dr. rer. pol., Professor für Allgemeine Soziologie
Arbeitsschwerpunkte: Hermeneutik, Wissens- und Kultursoziologie, Soziologie politischen Handelns, Theorie der Individualisierung.
www.hitzler-soziologie.de

Daniel Barth: Jahrgang 1969, Soziologe
U.a. Veröffentlichung zusammen mit Dirk vom Lehn: "Trekkies im Cyberspace. Über Kommunikation in einem Mailboxnetz" in "Geschwätzige Gesellschaft" (Hrsg. Hubert Knoblauch), Konstanz (Universitätsverlag).

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