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German Classics - alte Fragen, neue (deutsche) Filme

  26.06.1997
 
 
 
 


Alle Jahre wieder ... - das gleiche Thema: der deutsche Film. Man mag es für überflüssig halten, immer über die gleichen Phänomene zu reden, solange da nicht wirklich etwas Neues am Horizont des deutschen Filmschaffens auftaucht. Aber andererseits gibt es auch viermal im Jahr eine Krise beim FC Bayern, über die man dann gerne etwas in der Zeitung liest; und in der nächsten Woche haben wir unser Münchner Lieblings-Filmfest, in dem wieder viele, viele kunterbunte, waaahnsinnig lustige deutsche Filme zu sehen sein werden. Grund genug also, vor dem Genuß jener sicherlich berauschenden, atemberaubenden Werke von Dominik Graf, Katja von Garnier, und anderen, einmal die Landschaft zu betrachten, die da mit frischer Blütenpracht geschmückt werden wird. Allein schon, damit wir diesmal gewappnet sind, falls sich Katja Riemann wieder -wie vor zwei Jahren im BR-Interview- mit Marlene Dietrich vergleichen sollte.

Deutsche Filme sind schon seit langem ein schwieriges Thema. Vor allem deutsche Komödien. Meist waren es ja mehr Klamotten als Komödien. Die Unfähigkeit zum Witz scheint wie manch anderes eine Eigenschaft von uns Deutschen zu sein, unser Humor ist fast immer grob und derb, selten geistreich, nie so fein und klug, wie in Frankreich, und Selbstironie ist hierzulande sowieso ein Fremdwort.
Insofern darf uns das Niveau der allermeisten deutschen Produktionen auch nicht überraschen. Schaut man nüchtern auf die diesjährigen Bundesfilmpreisträger, dann stimmt es zwar, daß mit „Rossini", „Das Leben ist eine Baustelle" und „Jenseits der Stille" die besten deutschen Filme des vergangenen Jahres prämiert wurden, aber so richtig gut waren doch die beiden letzteren auch nicht, und Dietl’s gelungene Komödie, mal ganz ehrlich, funktioniert auch nur in Deutschland. Im internationalen Vergleich bewegt sich der deutsche Gegenwartsfilm im untersten Mittelfeld, abstiegsgefährdet, und insofern war der Vergleich mit dem FC Bayern eigentlich eine Unverschämtheit gegenüber der Trappatoni-Truppe.
Trotz Ausnahmen: thematisch reiht sich in den Produktionen eine Beziehungskiste an die nächste, fast alle erzählen glatte, spießige, rein private und im Grunde pubertäre Geschichten nach dem Vorbild des "bewegten Mann". Oder nicht minder pubertäre Gangsterstorys, die dermaßen an den Haaren herbeigezogen sind, daß sie noch nicht mal als Metapher taugen. Der Blick auf soziale Zustände, kulturelle Entwicklungen, gar auf Politisches fehlt. Verständlich, und nur konsequent, daß die deutschen Filmemacher fast alle für die A-Festivals von Berlin und Cannes zu feige oder einfach zu schlecht sind, und sich offenbar lieber vor das nachsichtige Münchner Publikum trauen. Was immer man von Wim Wenders halten mag, so bleibt er doch der einzige Regisseur, der sich überhaupt dem Vergleich mit ausländischen Produktionen stellt.

Und dann gibt es da noch Bernd Eichinger. Die Ausnahmeerscheinung. Für den deutschen Film zugleich ein Glücksfall und sein größtes Übel. Als er Ende der 70er Jahre, noch zu den Hochzeiten des Neuen Deutschen Film der oft kopflastigen, unsinnlichen und sozialpädagogisch geprägten Filmszene die Sehnsucht nach „Glamour", „großen Stoffen" und kommerziellen Mainstream-Produktionen entgegenhielt, wirkte das zunächst als frischer Wind, und war von manchen Ideen eines Faßbinder gar nicht so weit entfernt.
Aber was hieß das dann ? Schon Eichingers erster Erfolg, "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (1981) war eine Buchverfilmung. Und so ging es weiter: die nach der einmal entwickelten Masche verfilmten Stoffe "Die unendliche Geschichte" (1984) und "Der Name der Rose" (1986) sind ebenso wie „Das Geisterhaus" und „Fräulein Smillas Gespür für Schnee" samt und sonders Verfilmungen erfolgreicher Bücher (Bemerkenswert ist dabei, wie es Eichinger gelang, so unterschiedliche Regisseure wie Jean-Jacques Annaud, Wolfgang Petersen und Bille August derart gleichzuschalten und ihres eigenen Stils zu berauben, daß am Ende immer ein Eichinger-Film herauskam). Eigenständige Filmstoffe fehlen dagegen fast ganz, „keine Experimente" lautete das Adenauer-hafte Motto Eichingers, der fast immer auf Nummer Sicher ging. Was sich als Buch gut verkauft hat, das wird im Kino kein Reinfall werden. Nun ist es kein Verbrechen, wenn jemand Geld verdienen möchte, und Eichinger hatte Zeiten, in denen er viel riskierte, und hohes persönliches Engagement zeigte. Nie war er ein Abzocker. Aber die Folgen für den deutschen Film waren fatal. Denn Eichinger gab das Muster vor.
Nun sind Eichinger-Filme durchaus keine schlechten Filme. Manchmal sind sie sogar ziemlich gut. Aber zugleich wirken sie -viel mehr als jeder Hollywood-Streifen- wie aus der Retorte. Es fehlt eben das ganz große Geld, und wenn man dann nicht über eigene Ideen, Stoffe und Bilder verfügt, dann kommt so ein James Bond für Arme heraus, wie Mitte Februar „Fräulein Smilla’s Gespür für Schnee".
Der letzte Film aus Eichingers Werkstatt, der in die Kinos kam, war die Adaption des Komödienklassikers „Die Drei von der Tankstelle", mit Wigald Boning in der Hauptrolle („Die drei Mädels von der Tankstelle"). Schon Wilhelm Thieles Film von 1930 kam auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise in die Kinos und beschwor unmittelbare Solidarität („Ein Freund, ein guter Freund, das ist das beste, was es gibt auf der Welt") in Zeiten des Staatsversagens („Drum sei doch nicht betrübt, wenn Dein Schatz Dich nicht mehr liebt"). Aber um platte Parallelen geht es gar nicht. Auch nicht um Verschwörungstheorien, denn Eichinger ist manches, aber kein schlichter Propagandist der Regierungspolitik.

Vielmehr ist Eichinger einfach nur der wichtigste Repräsentant einer allgemeinen Tendenz: auch das Kino ist von dem erfaßt worden, was wir hier einmal den 89er-Virus nennen wollen: unter dem Motto „wir wollen wieder Filme machen wie die UfA" wird die Restauration einer vergangenen oft vor-bundesrepublikanischen, jedenfalls aber vor-demokratischen Kinotradition betrieben. Dazu passen dann auch perfekt jene „German Classics", die Eichinger im Verein mit SAT 1 produzierte, ein Wiederaufschäumen der 50er-Jahre-Stimmungen, aber auch deren Flucht ins Privatistische. Die platte, stumpfe und spießige Klamotte "Die drei Mädels von der Tankstelle" ist nichts anderes, als ein weiterer German Classic aus der Retro-Maschiene des Bernd Eichinger. Heute wie damals dienen Melo („Das Mädchen Rosemarie") und Komödie („Charlies Tante") dazu, wenigstens ästhetisch zu faszinieren, wo politische und ökonomische Wünsche unerfüllt bleiben müssen.
Denn das scheint der gemeinsame Nenner jenes neuen deutschen Filmbooms zu sein: Komödie, Unterhaltung, Glamour - wieder einmal tauchen sie justamente in dem Augenblick auf, wo es gesellschaftlich und politisch bergab geht. Wenigstens im Kino ist die Bundesrepublik tatsächlich jener „kollektive Freizeitpark", den Kanzler Helmut Kohl vor Jahr und Tag vorwurfsvoll beschworen hat.

Rüdiger Suchsland

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