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SMOKING MINOR, VIOLENCE HEAVY
Die Erbsenzähler von Screen it!

  19.06.1997
 
 
 
 

Welcher Filmfreund kennt nicht das Problem: Man möchte sich einen schönen Abend im Kino machen, aber die Entscheidung für den richtigen Film fällt schwer. Werbung und Trailer versprechen selbstverständlich für jeden Film Spaß, Spannung und Staunen non-stop - aber die bittere Erfahrung lehrt, daß diese Versprechen gar zu oft nicht eingehalten werden. Und die unfehlbaren Artechock-Kritiken sind ja leider (wir geben1s zu) nicht immer für alles, was gerade so läuft, verfügbar.
Woher soll man als geplagter Moviehead also wissen, ob es auch wirklich genügend Explosionen, Schießerein und Faustkämpfe gibt; ob das Blut in ausreichenden Mengen spritzt und Eingeweide und Körperteile so richtig schön durch die Gegend fliegen; ob geflucht wird, was das Zeug hält; ob genügend pralle Titten die Leinwand füllen und stramme Burschen eine ausreichende Zahl williger Maiden besteigen (oder umgekehrt, oder Burschen Burschen und Maiden Maiden); ob die Helden standhafte Säufer und kräftige Raucher sind, und ob man auch mal so richtig erschreckt?

Keine Sorge - Abhilfe ist hier. Man peile mit dem Web-Browser einfach www.screenit.com an, und sofort ist alle Unsicherheit beseitigt. Zu zahlreichen Filmen finden sich dort alle der oben angeführten Details minutiös aufgelistet - und noch mehr: selbst gruselige Musik, "Tense Family Scenes" und respektloses Verhalten finden hier ihre genau protokollierte Erwähnung, und was irgend jemanden mit schädlichen Folgen zur Nachahmung inspirieren könnte sowieso.
Das ganze ist ein Projekt für besorgte amerikanische Eltern, die auch ganz genau wissen wollen, was sich ihre Kleinen da im Kino so ansehen (es gibt darüberhinaus noch Rubriken für Video und Musik). Denn wir wissen ja alle: an Verbrechen und Unmoral, ja am bevorstehenden Untergang des Abendlandes schlechthin sind ja nie verfehlte Politik und gestörte Familienverhältnisse schuld, sondern immer nur Filme und Bücher.
Und da ist es dann schon wichtig, daß jemand im Kino sitzt und zählt, wie oft "fuck" gesagt wird (übrigens fein differenziert ob als Fluch oder in sexuellem Kontext). Das ist eben wahres soziales Engagement, wie es sein sollte - nur so wird die Welt wieder friedlich, schön und lebenswert. Es fehlt nur leider noch der genaue Leitfaden, ab wievielen "f-words", "s-words" und "slang terms for male genitals" man denn nun für immer unrettbar verdorben ist. (Bezeichnenderweise fehlen übrigens sowohl RESERVOIR DOGS, als auch PULP FICTION im Katalog der überprüften Filme - da hat1s halt wohl doch die Zähluhr zerrissen.)

Das ganze Unternehmen zeugt von einem Weltbild, das zum Gruseln einfach und beschränkt ist. Alles Böse dieser Erde ist in fünfzehn rechteckige Kästchen gebannt, zähl- und quantifizierbar wie Scheibletten-Käse, und problemlos dadurch zu bannen, daß man nur Augen und Ohren fest genug verschließt.
Hinter dem Konzept von Screen It! steht eine Reiz/Reaktions- Vorstellung, wie sie einfältiger nicht sein könnte. Der Kontext, in dem die protokollierten "Übel" erscheinen, interessiert nicht im Geringsten. Wer in einem Film Gewalt gegen wen oder was ausübt, ist den moralinsauren Erbsenzählern von Screen It! ebenso herzlich wurscht wie die Frage, wie der Film selbst das Dargestellte bewertet. Da müßte man ja am Ende noch das Denken anfangen - und da läge wohl der Verdacht auf unamerikanische Umtriebe schon wieder zu nahe.

Welch begrenzte Sicht der Dinge die guten Menschen von Screen It! haben (die sich hinter einem editorialen "we" verborgen halten), offenbart sich dann vollends in den sogenannten Kritiken, die sie ihren Greuel-Auflistungen des öfteren beigeben. Da werden selbstverständlich alle Filme auf einer jener tollen "1 bis 10"-Skalen bewertet, die ja soooo geeignet sind, um Kunstwerken differenziert gerecht zu werden.
Und wehe, wenn ein Film es wagt, sich der amerikanischen Mainstream-Ästhetik zu verweigern. Da wird dann allen Ernstes an CRASH bemäkelt, daß die Polizei nicht auftaucht, um dem auf offener Straße stattfindenden, abartigen Treiben der Protagonisten Einhalt zu gebieten - das sei ja wohl unrealistisch. Und bei den Bemerkungen zu David Lynchs visionärem Zelluloid-Alptraum LOST HIGHWAY entblödet man sich tatsächlich nicht, es für dumm zu halten, daß die Hauptfiguren nicht das Licht anmachen, wenn1s ihnen gruselig wird.
Da müsste der Herr denn das Hirn schon containerweise vom Himmel werfen, daß es noch was hilft.

Aber immerhin: zumindest einen unschätzbaren Dienst hat man mit dem Unternehmen der Menschheit schon geleistet. Denn da man mit der Anwendung des Kästchen-Schemas vor nichts und niemandem Halt macht, eröffnen sich nun der Literaturwissenschaft ganz neue Wege. Kann man doch nun erstmals auf einen Blick feststellen, welch (und wieviele) Unziemlichkeiten der gemeine Shakespeare in seine Werke gepackt hat. Jetzt ist1s endlich amtlich, was der HAMLET an Sex (mild), Gewalt (moderate) und Schimpfwörtern (2 "ass" words, 1 damn, and 4 uses of "Oh my God," and 1 use of "God" as exclamations) hergibt.
Na, wer da nicht restlos begeistert ist, dem kann man wahrlich nur noch sagen: Fuck You!

(Dieser Text enthält zweimal das "f-word" und sollte von leicht zu beeindruckenden Kindern unter keinen Umständen nachgemacht werden.)

Thomas Willmann

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