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05.06.1997
 
 
 
 
 
   
 
 
 
 

Mit etwas Glück wird’s dieser Tage endlich so "richtig Sommer" (Rudi Carrell) in diesem, unserem Lande. Aber, uneingedenks der meteorologischen Verhältnisse, auf keinen Fall "Sommer, wie er früher einmal war", zumindest wenn es nach den deutschen Filmverleihern und Kinobetreibern geht.

Sommer, das hieß noch bis vor kurzem verwaiste Zuschauersäle, Start mittelmäßiger Dutzendware und leere Kino-Kassen. Und weil die ersten beiden Phänomene schon noch irgendwie zu verschmerzen gewesen wären, das daraus resultierende letztere aber nimmer und nimmermehr, haben Verleiher und Kinobesitzer sich zusammenge- und entschlossen, hier Abhilfe zu schaffen. Resultat: die Aktion "Sommer-Hit Kino (- hier je nach Grad der spontanen Begeisterung bitte beliebig große Anzahl an Ausrufezeichen einfügen -)". Mittels eines gar peppig-frischen Logos, zahlreicher Funk- und Fernsehspots und flächendeckenden Plakatierungsmaßnahmen soll dem deutschen Unterhaltungskonsumenten suggeriert werden, daß auch in lauen Sommernächten ihn nirgends mehr Vergnügen erwartet als im dunklen Innern seines nächstgelegenen Multiplexes, und daß es zwischen all den im Rahmen der Aktion beworbenen Filme ein mystisches Band der Super-Duper-Top-ja, Mega-Qualität gibt, das es zwingend notwendig macht, sie auch wirklich alle, alle anzusehen.

Den eigentlichen Ursprung verdankt diese Aktion dabei nicht nur den immensen Betriebskosten der großen Kinokomplexe à la Maxx (vade retro, satanas!), die saisonale Schwankungen der Auslastung nicht mehr zulassen, sonder vor allem einer kulturellen Differenz zwischen den U.S.A. und Deutschland.

Als Un- und Mistwettergeplagter Mitteleuropäer sehnt man hierzulande die gar zu knapp bemessenen Tage der Wärme und Sonne herbei und hat das Bedürfnis, diese auch richtig auszukosten. Sommer heißt für Deutsche Urlaub, Baden gehen, Radltouren machen, Eis essen, in der Sonne liegen und im Biergarten sitzen. Kaum jemand kommt da freiwillig auf den Gedanken, sich in einen großen, dunklen Raum vor eine Leinwand zu hocken. (Obwohl ja seltsamerweise das Kino, von der Oper abgesehen, der einzige Ort ist, wo man es in Deutschland traditionsgemäß gewöhnt ist, das ganze Jahr über die Frage "Will jemand Ei-heis?" potentiell zu bejahen. Das aber nur am Rande - wenngleich diese mysteriöse Verbindung zwischen lichtlosem Lichtspielhaus und "Ice in the Sunshine" sicher mal die ein oder andere soziologische Studie wert wäre.)

In Amerika verhält sich die Sache hingegen ganz anders. Zunächst sind weite Teile des Landes durch ihre südliche Lage ohnehin von sonnigen Tagen deutlich häufiger verwöhnt als die kalte BRD - in Staaten wie Kalifornien würde der deutsche Durchschnittssommer grade mal als Winter durchgehen. Und da: a) die Sommermonate unangenehm heiß werden können, b) die größeren Städte wenig Freizeitmöglichkeiten unter freiem Himmel bieten und c) der Amerikaner vergessen hat, den Biergarten zu erfinden, ist man es in den U.S.A. gewohnt, sommerliche Erfrischung nicht bei Baggersee, Eisdiele und Zapfhahn
zu suchen, sondern bei der Air-condition. (Zumal, um ein zweites mal vom Thema Eis zu einer Abschweifung animiert zu werden, das amerikanische Speiseeis à la Häagen-Dasz und Ben & Jerry’s sich seinem Charakter nach deutlich der Butter annähert, und somit eher als leckerer Ersatz für eine Mahlzeit denn als Erfrischung geeignet ist.)
Der typische Einwohner einer nordamerikanischen Großstadt versteht unter einem gelungenen Sommerabend den Besuch von THE CREATURE FROM THE BLACK LAGOON mit anschließender Kühlung aus dem U-Bahnschacht - siehe THE SEVEN YEAR ITCH.

Seit vor 20 Jahren mit STAR WARS der Blockbuster erfunden wurde, haben die Hollywoodstudios deshalb die Starttermine ihrer Großproduktionen bevorzugt auf die Wochenenden im Sommer verteilt, da ihnen diese die höchsten Zuschauerzahlen versprachen.

Früher hatte diese Diskrepanz der bevorzugten Kinosaison die Konsequenz, daß man in Deutschland stets einige Monate auf neue amerikanische Filme warten mußte. Im Zeitalter der vielgepriesenen globalen Wirtschaft und der weltumspannenden Medienkonglomerate birgt diese einstmalige Rücksicht der Verleiher auf nationale Gegebenheiten allerdings für ein Industrieprodukt (wie es der Film, wohl oder übel, nun mal doch vordringlich ist) die Gefahr der Störung des
Verwertungsablaufs. Je mehr sich Werbefeldzug und Kinoauswertung kontinentenübergreifend gleichschalten lassen, um so geringer sind logistischer Aufwand und verwaltungstechnische Kosten.

Deshalb soll nun also auch das deutsche Kinopublikum dazu erzogen werden, die Sommerzeit als idealen Starttermin für alles zu akzeptieren, was in der Herstellung mehr als $100 Mio. gekostet hat und viele, viele Explosionen enthält. Obwohl letztes Jahr, als die "Sommer-Hit Kino" Aktion erstmals zum Einsatz kam, die qualitative Ausbeute der Blockbuster nicht gerade berauschend war, scheint die Planung voll aufgegangen zu sein, betrachtet man die saisonal unerreichten Zuschauerzahlen.

Immerhin, sinkende Hautkrebsraten werden es den Verleihern einst danken. Und wenigstens erlebt nun, dank des vermeintlich attraktiven sommerlichen Filmangebots, auch der durchschnittliche Kinogänger einmal die Entscheidungsnöte des wahren Cinéasten und Movieheads: Sonne oder Sirk? Soll man die Schritte lenken hinab in den heimelig-schwarzen Vorführsaal des Filmmuseums oder schnurstraks in den Innenhof des Stadtcafés? Und vor allem: wieviel des Programmangebots des Filmfests ist wirklich unverzichtbar? Denn merke: nur diese eine Wetterprognose ist völlig sicher - die schönste Sommerwoche des Jahres ist partout immer die des Münchner Filmfests.

Thomas Willmann

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