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Die Oscarnacht eines Filmvorführers

  27.03.1997
 
 
 
 

In der Nacht vom Montag auf Dienstag, um halb zwei, nachdem ich vom arbeiten kam, bin ich mit Bier und Erdnußflips ins Bett gegangen, da die Frau meiner Träume leider nicht bei mir sein konnte. Ein Fernseher kann einem in diesen Situationen auch gute Dienste erweisen, dachte ich mir und stellte Premiere an. Denn gänzlich uncodiert wurde dort im Pay-TV von der Nacht der Nächte im Filmgeschäft berichtet: Viele glatzköpfige, schwerttragende Oscars suchten wieder stolze neue Besitzer, damit diese dann aufregende Reden schwingen konnten.

Doch noch war es nicht so weit, erst mußten einmal alle wichtigen Gäste, Laudatoren und potentielle Gewinner in die Arena einziehen. Dabei wurden die besonders Wichtigen und Schönen von einer Reporterin irgendeines amerikanischen Senders angehalten, ein paar recht freundliche Worte in die Kamera zu sprechen. Es wurde konsequent mit jedem Opfer, ob Mann oder Frau, das wichtige Thema der Abendgarderobe erörtert: Wer ist denn Ihr Designer? Der geneigte Leser mag mich hier nicht falsch verstehen, tatsächlich bin ich der Ansicht, daß es sich hierbei um das durchaus wichtigste Thema des Abends handelte. Was ist denn an einer Oscarverleihung schöner als der Anblick solch bezaubernden Damen, wie Kristin Scott Thomas, Mira Sorvino und Sean Young (die edelste der Schönen, seit einiger Zeit leider viel zu selten zu sehen - man erinnere sich an den Blade Runner!)? Zumal wenn besagte Damen in sehr schöne Stoffe gehüllt sind.

Ein paar fesche Burschen waren auch dabei, deren Namen sind hier aber von geringerem Interesse. Allein Dennis Rodman soll erwähnt werden, der große Paradiesvogel des amerikanischen Basketballs, bester Rebounder und schlechtester Schütze der Chicago Bulls, kam in einem Dr. Doolittle-Kostüm. Die ganze höfische Prozedur dauerte Stunden, wurde immer wieder von Werbepausen unterbrochen und hatte einige Wirkung bei mir. Der Stil der Reporterin trug schon zu einem gewissen physischen Unbehagen bei. Als sie dann aber Faye Dunaway, die vom Bauchnabel aufwärts zerliftet scheint, auf schmierigste Art ein wundervolles Äußeres attestierte, floß grüner, übelriechender Schleim aus dem Fernseher. Das brachte nun das Bier und die Flips in meinem Magen zum rebellieren: sie wollten sich mit dem grünen Schleim vor meinem Bett vereinigen. Ich konnte mich beherrschen.

Wieder beruhigt schlief ich dann auch ziemlich schnell ein. Ein, zwei Stunden später wurde ich noch mal kurz wach und sah, daß die Preisverleihung doch codiert gesendet wurde. Mit einem Schmunzeln machte ich die Glotze aus und schlief weiter.

Am nächsten Tag konnten alle Eingeschlafenen die Namen der Preisträger in allen Medien erfahren. DER ENGLISCHE PATIENT hatte mit seinen neun Oscars alle geschlagen. Na klar, war ja auch der einzige nominierte Film mit epischen Qualitäten. Die Nominierungen mögen noch etwas überraschend gewesen sein, da mit JERRY MAGUIRE nur eine Hollywoodproduktion dabei war, die Preisträger wirkten bis auf Frances McDormand (weibliche Hauptrolle in FARGO) aber recht vorhersehbar. Der Hauptdarsteller von SHINE bekam den Behindertenoscar, INDEPENDENCE DAY den für die Special Effects. FARGO wurde noch für das beste Originalscript ausgezeichnet, was die Cohen Brüder hoffentlich nicht davon abhält auch in Zukunft gute Filme zu machen. Fast der ganze Rest ging eben an den englischen Patienten: Nebenrolle: Binoche, Regie: Minghella, bester Film, ... Das wird wohl nun dazu führen, daß der Film an den Kinokassen noch weiter kräftig abräumt. Dem Produzenten Saul Zaentz sei's vergönnt, trotzdem hab ich den Eindruck, daß dem Publikum mal wieder kräftig in den Arsch gefickt wird - keine Entschuldigung für diese Ausdrucksweise. Da werden also noch einmal Scharen von Leuten das Geld für einen mittelmäßigen Film aus der Tasche gezogen und die müssen den Film dann auch noch gut finden, denn neun Oscars können nicht lügen.

Als ich mir diesen englischen Patienten angesehen habe, war ich überrascht, daß der Film gar nicht so extrem auf die dramatische Tränendrüse drückt, wie ich nach dem Trailer erwartet hatte. Trailer geben eben keinen angemessenen Eindruck von Filmen wieder, jüngstes Beispiel ist das idiotisch widerliche Werbefilmchen für John Sayles LONE STAR. Um ehrlich zu sein, der Patient hat mich trotz der hervorragenden Besetzung recht kalt gelassen. Vielleicht kann man ihm das ja auch positiv anrechnen, aber außer ein paar interessanten Ansätzen sah ich nicht viel mehr in dem Film. Das Buch mag gut sein - ich hab's nicht gelesen - aber aus einem Roman läßt sich kaum ein guter Film machen, das ist fast so sicher wie das Amen...

Nun, die ganze Geschichte hat sicher auch ‚was Positives. Es gibt ja Leute, die sich gerne in den Arsch ficken lassen, einige meiner besten Freunde sind Po-Sex-Fanatiker. Und mein Arbeitgeber, die Kinowelt, die den Patienten verleiht, wird sich an dem Film gesundstoßen, was ihre Zahlungsmoral hoffentlich verbessern wird. Das Schönste aber ist, daß Mike Leighs SECRETS AND LIES in der Oscarnacht leer ausgegangen ist. Und das bedeutet, daß er wohl auch in Zukunft hervorragende kleine Filme machen kann, ohne von Hollywood gestört zu werden.

Max Herrmann

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