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27.02.1997
 
 
   
 

Berlinale 1997 - Bilanzen

Berlinale 1997
   
     
 
 
 
 

Buhs, Gelächter, Klatschen - durchwachsen und reserviert war die Reaktion der internationalen Presse, als Jurypräsident Jack Lang am Montag den diesjährigen Preisträger des "Goldenen Bären" verkündete.
Dabei war die Preisvergabe an "The People vs. Larry Flynt" keine Überraschung mehr für denjenigen der den diesjährigen Wettbewerb verfolgt hatte. Da gab es viel Konfektionsware, keine künstlerischen Wagnisse, und kaum hochkarätige Spitzenleistungen.

"Larry Flynt" ist ein Film der vielen gefällt, der aber keinen so richtig überzeugt. Nur gab es nun einmal auch keinen besseren Kandidaten, sieht man einmal von "The English Patient" ab, der aber, da für 12 Oscars nominiert, immer nur Außenseiterchancen hatte. Denn in Berlin möchte man ein Gegengewicht zu Hollywood setzen. Da traf es sich gut, daß man zuerst aus den USA von Protesten gegen "Larry Flynt" hörte, dann aus Frankreich, und schießlich aus Bayern. Wer möchte da nicht gerne ein Zeichen setzen, gegen Intoleranz und Zensur, und für Meinungsfreiheit ? Jack Lang und mit ihm die Jury wollten es.

Auch sonst bewies die Preisvergabe viel Gespür für PC. Fein säuberlich wurden da die silbernen Bären aufgeteilt: nach Asien (für den langatmigen Film "Der Fluß"), an Eric Heuman für das engagierte hochmoralische Afrika-Drama "Port Djema", an Juliette Binoche (damit "The English Patient" nicht leer ausging), für Leonardo DiCaprio (der in "William Shakespeare's Romeo&Juliet" einen fetzigen Romeo gibt, dem bestimmt viele Teenies verfallen werden) als quasi-Referenz an das Pop-Kino und das jugendliche MTV-geschulte Publikum. Lobende Erwähnungen gab es für den einzigen Beitrag des Gastgeberlandes, "Das Leben ist eine Baustelle" von Wolfgang Becker, stellvertretend für das schwarze Kino für Spike Lee, und für Anna Wielgucka (Darstellerin in Andrzej Wajdas "Panna Nikt"), damit auch Osteuropa ein Stücklein vom Kuchen abbekam. Wo es so ordentlich zugeht, sind Überraschungen und mutige, pointierte Entscheidungen natürlich nicht zu erwarten. Wer darauf gehofft hatte, daß mit Preisen auch Maßstäbe für die Zukunft gesetzt werden könnten, sah sich enttäuscht.

Schon in der Wettbewerbsauswahl -die freilich wesentlich von den Interessen der großen Verleihe mitbestimmt wird- dominiert die Scheu vor Experimenten, bekannte Namen ersetzen das Niveau.
Unerklärlich wäre sonst, warum künsterische Bankrotterklärungen wie Richard Attenboroughs "In love and war" im Wettbewerb auftauchen konnten. Und für "La jour et la nuit" von Bernard-Henri Levy (der wie man erfahren konnte, nur gezwungenermaßen aus filmpolitischen Gründen in Berlin vertreten war) hätten manche Kollegen eigens einen Preis stiften wollen: für den schlechtesten Film im Wettbewerb. Trotz Laureen Bacall.

Nun gab es schon auch viele gute Filme zu sehen: im Wettbewerb wie die schon erwähnten "The English Patient" und "Romeo & Juliet", aber auch "Twins Town", eine walisische Max und Moritz-Geschichte, die ein ziemlich fertig-kaputtes Bild der Gegend und ihrer Menschen zeigt. Der von Danny Boyle produzierte Film bekam viel Beifall, aber auch Buhs.Vielleicht weil die Macher etwas zu trendy sein wollten.
Außerhalb des Wettbewerbs, im Panorama und im Forum gab es vor allem viel. So viel, daß es dem Zufall und guten Tipgebern überlassen blieb, ob man die Highlights erwischte, oder einen Reinfall nach dem anderen erlebte. Wie oft im Leben mischten sich beide Extreme zu einer seltsamen Melange, die nicht erst nach dem fünften Film des Tages vor allem irritiert, und kaum klare Aussagen zuließ. Die Antwort, daß der Zeitgeist halt weht, wohin er will, ist zu einfach. Einige dieser Filme haben durchaus das Zeug zu Kinoerfolgen und hohes künsterisches Format. Sofort könnten "Love etc." (von Marion Vernoux), "Level Five" (vom 75 Chris Marker, der allerdings selbst auf die angebotene Wettbewerbsteilnahme verzichtet hatte) und selbst "Clubbed to death" (von Yolande Zauberman) im Wettbewerb mithalten. Andere, besonders die Filme von und über junge Frauen wie beispielsweise "Slaves to the Underground" von Kristine Peterson und "All over me" von Alex Sichel gewannen die Zuschauer durch ihre frische unverbrauchte Art Geschichten zu erzählen, und einen unbefangenen Blick auf die Gegenwart.

Und trotzdem vermißt man etwas: die "großen" Filme, die übereinstimmend alle in ihren Bann schlagen, oder zumindest beeindrucken, und über deren Niveau nicht mehr gestritten werden kann. Es muß ja nicht gleich der "Supermegaüberhammer", von dem so mancher träumt, sein. Aber doch ein Film, der jedenfalls für einen Augenblick die verschiedensten Erwartungen und Geschmäcker befriedigt.
Und ein Film, der seine eigene Gegenwart nicht nur nacherzählt, sondern in einer Weise abbildet, daß sie selbst etwas Neues erfährt, und sich anders ansieht, als vorher. In Berlin fanden sich solche Filme nicht.

Das Kino der Gegenwart bleibt derzeit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Bewußt wurde das erst recht in dem, was in den Retrospektiven für G.W.Papst und Kim Novak gezeigt wurde. Besonders einige über dreißig Jahre alte Streifen mit Kim Novak überraschten durch ihre Qualität, und zeigten den Reichtum, den das Mainstream-Kino schon einmal hatte, und den man heute vermißt.

So leidet der "Berliner Patient" wie ein Kritiker ironisch zum Abschluß des Festivals titelte, nicht nur an eigenen Problemen, sondern auch an der Schwäche, die das derzeitige Kino in all seinem Reichtum hat.
Was kann da überhaupt der Sinn eines solchen Festivals wie der Berlinale sein, das mit der Riesenmenge von rund 2000 gezeigten Filmen nach Cannes das weltweit größte seiner Art ist ? Es kann eine Bestandsaufnahme der Gegenwart bieten, es kann Signale setzen, und es kann einen zusätzlichen Anschub für die Filme geben, die im Frühjahr starten. Nur diese letzte Absicht gelang in Berlin, allzu durchschaubar sogar, Signale aber wurden nicht gesetzt, und die Bestandsaufnahme ließ viel zu wünschen übrig. Doch kann ein Festival auch nicht besser sein, als die vorhandenen Filme.

Rüdiger Suchsland

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