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Notizen von der Berlinale

  20.02.1997
 
 
 
 

Einmal im Jahr feiert das alte Westberlin Wiederauferstehung. Für 14 Tage verlagert sich das Zentrum aus der neualten Mitte wieder zurück ins Herz der Nachkriegsstadt, rund um den Zoo Palast zwischen KaDeWe und Ku'damm. Dort findet sie dann statt: die berühmte Berlinale, das vermeintlich beste und wichtigste deutsche Filmfestival. Sie findet statt in herrlichen 50er Jahre-Kinos, die allen Glamour der großen Anfangsjahre dieses Festivals noch in sich tragen. Neuerdings gibt es auch ein einziges Ost-Kino wo ein paar wichtige Wiederholungen stattfinden. Dieses Alibi verstärkt den Eindruck noch, daß es sich im Grunde um eine reine West-Veranstaltung handelt, und wie könnte es auch anders sein, bei einem Großereignis, das seit 47 Jahren stattfindet, und seit über 20 Jahren von den gleichen Leuten gemacht wird. Stürzen wir uns also hinein!

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Alte Berlinale-Hasen, berichtet Christiane, die auch akkreditiert ist, fangen ihre Glossen gerne damit an, wie sie mit Festivalleiter Moritz de Hadeln in der Paris-Bar einen saufen waren. Wenn sie, was für die Mehrzahl zutrifft, nicht zu dieser Gruppe gehören, dann schreiben sie halt, was alles an de Hadeln schlecht ist. Typisch für die Berliner Zeitungen ist, das über de Hadeln geschimpft wird, dessen Kollegen Ulrich Gregor lobt man dagegen in den Himmel. Jeder weiß, daß sich beide nicht ausstehen können, und es dann aber kurz vor der Berlinale immer einen Waffenstillstand gibt.

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Ein Film, der ein gutes Thema hat, ist deswegen noch kein guter Film. Trotzdem schwärmen hier alle ganz euphorisiert von The People vs. Larry Flynt, der am zweiten Tag im Wettbewerb lief. Gelassen, aber auch gleichgültig schildert Forman das Amerika des Hustler-Verlegers. Der Film knüpft an an die 70er Mode, aber eher dekorativ und längst nicht so konsequent wie Scorseses "Casino" im vergangenen Jahr. Auch vermeidet es der Regisseur, das wirklich Interessante und Herausfordernde seiner Geschichte zum Thema zu machen: die Frage, was von einer Freiheit zu halten ist, die es nötig hat, daß Leute wie Larry Flynt ihre Vorkämpfer werden. Nicht weil er ein Pornoheft macht, sondern weil er sich um die Freiheit die er beansprucht, einen Dreck schert. Könnte er damit mehr Profit machen, würde Flynt alle Grundrechte sofort in Grund und Boden schreiben.

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Zur Eröffnung gab's natürlich eine Eröffnungsfeier: Kanther, Diepgen und Jack Lang hintereinander, "gut daß wir vorher schon gegessen haben" meinte Kollegin Tanja. Kanther erinnerte an einen dieser deutschen Offiziere in Hollywood-Filmen, Diepgen grinste ganz menschlich, und Lang spach darüber, wie das Kino "im Mediendschungel" zu ersticken droht. Das Viertel der 4000 akkreditierten Journalisten, das es bis in den Saal geschafft hat, schaute ganz betroffen, der eine oder andere grinste auch, "viel Liebe" braucht das Kino, sagte Lang dann noch - wer braucht das nicht, dachten wir.

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Die Berlinale hat ihren ganz eigenen Rhythmus. Während das Münchner Filmfest erst am Abend richtig losgeht, muß man ausgerechnet hier ganz früh aufstehen. Schon um 9 Uhr laufen die ersten Wettbewerbsbeiträge, dummerweise die, die sowieso nicht ganz so begehrt sind, mit dem Ergebnis, daß sie dann im nur ein Fünftel gefüllten Saal stattfinden. Dumm gelaufen etwa für "Port Djema" von Eric Heumann oder Bruno Barretos gelungenen Beitrag "O que é isso companheiro?" , und selbst Spike Lee wird es schwerhaben mit "Get on the bus" die Kritikermassen zu locken.
Am Abend dagegen kommt es zur Wiederauferstehung der Klassengesellschaft. Während die einen -Promis, geladene Gäste, Freunderl und wenige Glückliche, die eine Karte an der Kasse bekommen haben, in den Zoo-Palast pilgern, wo die offiziellen Premieren stattfinden, durften wir Journalisten die Filme schon um 12 anschauen, als die Promis gerade erst ihr Frühstück auf Zimmer gebracht bekamen, und hacken derweil unsere Verrisse in den Laptop, um später auch ja pünktlich in der Paris-Bar zu sein. Wer fleißig war, oder heute nix schreiben muß, geht in die Kim-Novak Retrospektive im Astor am Ku-Damm, ein kleines, feines Kino, oder schaut sich einen der Off-Filme an, die sonst noch laufen.

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Und dann die Empfänge. Manche machen sich ihren Sport, bei möglichst vielen dabei zu sein. Man könnte ohne Zweifel ein eigenes Buch schreiben über die Berlinale-Empfänge, und es stimmt auch, daß die manchmal gar nicht so feinen Unterschiede zwischen den Empfängen ziemlich typisch sind für das, was da sonst so produziert wird; zum Beispiel die Ordner. Bei arte waren sie so rabiat und unhöflich, daß selbst gestandene Promis, denen man woanders sofort einen Tisch frei gemacht hätte, in der Kälte stehen mußten. Als gälte es, die Besucherzahl ähnlich klein zu halten, wie die Menge der arte-Zuschauer. Oder die Buffets. Bei arte gab's gar keines, für die Kunst muß man halt leiden. Beim NDR mußte man erst einmal eine eineinhalbstündige Rede über sich ergehen lassen, die überdies kein Mensch verstand, weil die Tonübertragung nicht funktionierte. Wie bei den "Hören sie mich, Herr Wickert?"-Interviews in den Tagesthemen. Das Buffet war dann gut, kein Vergleich freilich mit dem WDR, wo man sich erst sattessen durfte, bevor die kurzen Reden kamen. Wo's so nett ist, tauchten dann auch viele Promis auf, Helmut Dietl zum Beispiel, und es wäre alles wunderbar gewesen, wenn nicht der Ort des Geschehens, eine leere Halle, so stillos gewesen wäre. Und erst die Dekoration! "Wie das Betriebsfest eines mittelständischen Unternehmens" meinte Christiane. Das genau war es wohl.

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Harald Juhnke erhob den rechten Arm: "Heil Hitler" schrie er, offensichtlich betrunken, durch den ganzen Saal - nein, diesmal keine neue Schreckensnachricht aus den Staaten, sondern eine Szene aus Conversation with the beast. Das war wirklich witzig. Ein Glucksen war schon durch den Saal gegangen, als Armin Mueller-Stahl, offensichtlich kein Leser von Boulevard-Zeitungen und insofern nicht ganz auf dem Laufenden, allen seinen Schauspielern, darunter namentlich auch Juhnke für ihr "hervoragendes Engagement" dankte. Das waren dann aber auch so ziemlich die einzigen beiden befreienden Moment bei der Premiere zu Mueller-Stahls erster Regie. Da auch das Drehbuch von ihm stammt, ist er verantwortlich für den angestrengten, in allen Ehren gescheiterten Versuch, Hitler als heimlich Überlebenden, inzwischen 107jährigen, auf die Leinwand zu holen. "Sie dürfen ruhig lachen" meinte Mueller-Stahl vor Beginn des Films. Irgendwie hatte aber keiner Lust. Nur eben als Juhnke auftrat.

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Frankreich stellt mal wieder das stärkste europäische Kontingent im Wettbewerb. Auffälliger waren aber bisher britische Beiträge, und bestätigten damit den Trend des vergangenen Kinojahres. Während die Franzosen auch sonst sehr jung und experimentierfreudig daherkommen, entwickeln die Briten auch großes Kino für das breite Publikum, ohne ihren eigenen Stil zu verleugnen, und sich ganz dem Publikumsgeschmack anzupassen
Ein britischer Regisseur ist auch Nicholas Hytner: "The Madness of King George" war vor zwei Jahren sein excellentes Debüt, das auch beim Festival von Cannes gezeigt wurde, und einen Oscar gewann. Jetzt hat Hytner "The Crucible" nach Arthur Millers "Hexenjagd" gedreht. Prompt wurde er zu seiner eigenen Überraschung auf der Pressekonferenz mit der Frage konfrontiert, ob er damit nicht Werbung für Scientology mache, schließlich liegt das Zeitalter von McCarthy und dem Stalinismus scheinbar hinter uns. Und ist die Verteidigung von Hexen nicht auch eine von Sekten ?
Mehr Showeffekte hatte die Pressekonferenz zu Anthony Minghellas "The English Patient". Souverän und charmesprühend wickelte Juliette Binoche die Journalistenschar um den Finger, ganz im Gegensatz zu Kristin Scott-Thomas, die die Binoche im Film zwar in den Schatten stellt, von dem Andrang und den Fragen aber sichtlich genervt war.

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Die Berlinale ist ein Ereignis. Und das Ereignis mit dem dazugehörigen Drumherum ist wichtiger als die Filme. Man mag das bedauern, aber es ist so. Die Journalisten sind Kulisse, Staffage, Statisten des Ereignisses, aber auch Akteure, gelegentlich zumindest, und sie sind Lautsprecher, die das Erreignis in die ganze Welt hinausposaunen. Weil das Ereignis wichtiger ist, als die Filme, ist es auch wichtiger, wann man wo ist, als in welche Filme man geht. Die Wettbewerbsbeiträge bekommt man eh zu sehen, manche liefen schon auf Pressevorführungen im Vorfeld, und haben nur hier in Berlin -werbetechnisch geschickt- ihre offizielle Welt-Premiere.
In allen Programmsektionen lauern die Enttäuschungen. Neugierig muß man schon sein, wenn man das alles überstehen soll, gefaßt auf Enttäuschungen und dankbar schon für kleine Filmfreuden, denn die großen sind selten hier. "Wo sind die neuen Stoffe?" fragte ein Journalist. Wissen wir natürlich auch nicht. Vielleicht beim nächsten Empfang um 8.

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Wir waren mit de Hadeln noch immer keinen trinken. Worüber Christiane und Tanja auch ganz froh sind. Dafür gab's neulich in der Kim Novak-Retrospektive "Pushover", ihren ersten Film. Ein sehr modern, sehr schnell und konsequent erzählter Copfilm. Wunderbar unmoralisch, wie das nur in den 50er Jahren möglich war. Solche Filme muß man sich merken, die nichts Unnötiges zeigen. Vergleicht man damit das Neue, was hier zu sehen ist, kann man schon melancholisch werden. Vielleicht war früher wirklich alles besser, jedenfalls im Kino? Schaun' mer mal, am Freitag sehen wir "Vertigo" im Zoo-Palast.

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Bald wird das alles vorbei sein. Dieser Tage verkündete man den Beschluß, daß die gesamte Berlinale im Jahr 2001 an den Potsdamer Platz umziehen wird. Vorbeisein wird es dann auch mit den schönen Kinos im Stil der 50er Jahre. Ein Multiplex auf dem Potsdamer Platz wird neue Heimat der Berlinale. So uncharmant das ist, es hat seine praktischen Vorteile. Wie das alles hier aber vonstatten geht, ist das Schlimmste zu befürchten. De Hadeln beklagt nicht ohne Grund die Riesenmängel des künftigen Gebäudes, das im Handstreich aus dem Boden gestampft wurde, ohne die Festivalleitung auch nur einmal nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu befragen. Wenn die Berlinale nach ihrer Ost-Odyssee 2001 sterben sollte, ist das die Chance für andere. Ein Schelm, wer denkt, daß damit nicht auch in München kalkuliert wird.

Rüdiger Suchsland

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