magazin


1 2 1     2 6 0 1 2 0 0 0
besprechung
viola tricolor - fotografien von klaus oberer
klaus oberer - viola tricolor

11 fotobilder aus der quadratischen serie, viola tricolor, 1996

10 fotobilder aus der rechteckigen serie
viola tricolor, 1996
eine ausstellung in der galerie wolfgang tumulka
von 26.01.2000 bis 25.02.2000
Die Fotografie vermag es, die einfachen Dinge des Lebens in ihrer Schönheit wiederzuentdecken und so zu erretten, so schrieb dereinst Siegfried Kracauer über das neue Bildmedium. Schön sind die Fotos von Klaus Oberer, die derzeit in der Galerie von Wolfgang Tumulka zu sehen sind.

Es sind Pflanzen, Blüten und Blätter, die Klaus Oberer als Motive seiner fotografischen Bilder wählt. Eine Blume steht im Zentrum der Bilderserie, die in der Ausstellung gezeigt wird. Es ist die Viola tricolor, eine Pflanze die in den unterschiedlichsten Ländern verschiedenste, phantasievolle Namen trägt: das Spanische und Französische kennt sie unter dem Namen „pensamiento“ bzw. „pensée“, Gedanke und auch im Italienischen wird sie „Viola del pensiero“ genannt. Das polnische und ukrainische „bradkie“ (bzw. „bratky“) nennt sie Geschwister und weiß dazu eine Sage zu erzählen: Und zwar heiratete ein junges Paar, ohne zu wissen, dass sie Geschwister waren. Als die beiden ihr unfreiwilliges Verbrechen erkannten, hatte sie solchen Kummer, dass sich Gott ihrer erbarmte und sie in die Blume verwandelte. Schon seit dem 16. Jahrhundert heißt diese Pflanze im deutschsprachigen Raum „Stiefmütterchen“. Man könnte auch hier eine Geschichte oder ein Märchen hinter der Namensgebung vermuten. Der Name wird jedoch eher nüchtern botanisch gedeutet: Fünf schlanke grüne Kelchblätter tragen die fünf bunten Blütenblätter. Das unterste breite, stark gefärbte Blütenblatt sitzt auf zwei Kelchblättern - es ist die Stiefmutter. Rechts und links von ihr, ebenfalls bunt gekleidet, ihre zwei richtigen Töchter auf je einem Kelchblatt. Die beiden oberen Blüttenblätter sind die Stieftöchter; sie müssen sich mit einem Kelchblatt gemeinsam begnügen. Die Kunstgeschichte kennt das Stiefmütterchen spätestens seit der Frührenaissance als Symbol für das Leiden Christi und als Zeichen der Trinität.
   
ein stiefmütterchen durch den blick der kamera


Wie nähert sich Klaus Oberer dieser Blume, die also christlich-symbolisch befrachtet ist und der seit der Romantik fast etwas liebliches, fast sogar biederes anzuhaften scheint?

Zu allererst bleibt festzuhalten, dass der Blick der Kamera sich auf die Blüte selbst konzentriert, also nicht aus einer botanisch-objektiven Warte die Pflanze in Gänze widergeben will. Die Bilder sind dabei durch und durch komponiert: Mal ruhen sie in sich, mal sind sie rhythmisch, mal explosiv. Vielerlei Formen- und Farbakzente gestalten die Bildoberfläche zu einer harmonischen oder spannungsvollen Komposition. Es war allerdings nicht der Pinsel des Malers, der diese Bilder entstehen ließ. Es war der “Stift der Natur”, der Pencil of Nature, wie Henry Fox Talbot - einer der Väter der Fotografie Mitte des 19. Jahrhunderts - die neue Technik genannt hatte. Hier offenbart sich die Dualität des künstlerischen Konzepts von Klaus Oberer: einerseits zu fotografieren, d.h. kühl, distanziert zu dokumentieren, andererseits Bilder zu gestalten, d.h. künstlerisch-kreativ und somit subjektiv und ‘malerisch’ zu sein. Die Fotografie, die sich normalerweise bemüht, das darzustellende Objekt möglichst scharf und mit seinen charakteristischen Eigenschaften abzubilden, löst bei Oberer die einzelne Blüte aus ihrem biologischen Kontext heraus. Zu sehen sind nicht die Konturen, d.h. die Form der Blüte, die ihre Klassifizierung bestimmt. Die Kamera, das Auge kriecht förmlich in die Struktur der Natur hinein.

das prinzip chaos


Bereits das Sammeln der Blüten erfolgt durch eine Auswahl nach bestimmten ästhetischen Kriterien. Schon zu diesem Zeitpunkt verwandelt sich das Blatt im Auge des Künstlers erstmals in ein Bild. Der Blick antizipiert die Kleinbildkamera, die eine Fläche in dem Blatt aufnimmt. Das Aussortieren kommt dem Versuch gleich, im Chaos der Natur gewisse Gesetzmäßigkeiten zu finden. Diese Gesetzmäßigkeiten werden von Klaus Oberer jedoch nicht in der botanischen Klassifizierung gefunden, sondern - paradoxerweise - im Dokumentieren der Unendlichkeiten der Formen und Farben, der Geometrien und Strukturen - also des Prinzips Chaos. Das ordnende Prinzip der Fotografie verbindet sich hier mit dem natürlich-chaotischen der Natur.
Zur Verdeutlichung kann man sich die Fotografien von Karl Bloßfeld zum Vergleich vornehmen. Bloßfeld nahm in den 20er Jahren - einer Zeit in der um die Erscheinung der abstrakten Kunst gestritten wurde - mit seinen Fotografien von Pflanzen vehement zu dieser Diskussion Stellung. Er wollte deutlich machen, dass die Kunst in ihrer Abkehr von der Schönheit und der Erhabenheit der Natur ihre Seele verloren habe. Seine gestochen scharfen Fotos lassen den Gegenstand der Natur wie ein Konstrukt der Kunst (aus Architektur oder Skulptur) erscheinen, wobei das Gegenteil gemeint ist: Die Natur sollte Maßstab für die Kunst sein. Bei Bloßfeld wirkt die Natur geordnet, architektonisch und ornamental. Der augenfälligste Unterschied der Aufnahmen Oberers zu denen Bloßfeldts liegt auf der Hand: Bloßfelds Fotos sind mit einer gestalterischen Konsequenz gemacht, die sie zu Inkunabeln einer unpersönlich-neutralen Fotokunst machen, ohne jede literarische Aufladung oder theatralisch-mystische Inszenierung des Sujets und das nicht nur, weil es sich um Schwarz-weiß-Fotografie handelt. Grund für diese kühle Strenge ist vor allem das Herausreissen des Gegenstandes aus seinem natürlichen Umfeld und seine Isolation im Bild. Klaus Oberers Fotografien sind anders. In seinen Bildern ist das Blatt oder die Blüte nicht Isoliert - sie ist vielmehr das Bild. Naturkosmos und Bildkosmos verschmelzen miteinander.

Seine Fotografie ist eine reine: Sie begnügt sich damit, das ausgesuchte Motiv abzulichten, ohne digitale Manipulation, nur mit den rein fotografischen Gestaltungsmitteln Licht, Schärfe und Ausschnitt. Obwohl Klaus Oberer auch große Bildformate wählt, benutzt er mit Absicht die Kleinbildkamera, nimmt somit eine gröbere Bildauflösung und Körnigkeit in Kauf. Und dennoch: keine Blüte gleicht der anderen. Ja bei manchen mag man gar vergessen, dass es sich um eine Pflanze handelt und man beginnt zu assoziieren. So mag der helle Mittelpunkt der einen zum mystisch beleuchteten Akteur auf einer Theaterbühne werden; eine andere erinnert wiederum an den Tanz der Loie Fuller (Anfang des 20. Jh.) mit ihren weiten, fliegenden Gewändern. Wieder andere werden bestimmt von einer recht prallen Erotik oder einer fast strenge Religiösität. Dabei steht das schöne Bild im Zentrum von Oberers Interesse, ein Bild auf dem das Auge sich tastend aufmacht, die Formen und Farben der Natur zu erkunden. Dabei darf sich das Auge auch durchaus den Luxus erlauben, an einem Fleck eine Weile auszuruhen.

christian schoen



email
impressum


kunst in münchen
suche

berichte, kommentare,
archiv

meinungen,
thesen, aktionen

kulturinformation
im internet