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vortrag von
hans ulrich reck
kunst als kritik des sehens? - bemerkungen zu problemen einer medientheorie der bildenden künste

vortragsreihe der fachschaft kunstgeschichte im januar und februar

Die Frage hätte lauten müssen: Was ist ein Kunstwerk? - stattdessen lautete der Titel von G. Boehms vielgelesenem Buch bezeichnenderweise: Was ist ein Bild?
Hierin offenbart sich - so Hans Ulrich Reck - das Dilemma der Kunstgeschichte gleich auf mehrfache Weise. Zum einen erhebt die Kunstgeschichte den Anspruch zu wissen, was ein Bild ist und wie dieses funktioniert. Zum anderen setzt sie voraus das Bilder automatisch Kunstwerke sind, zumindest wenn sie mit ihnen beschäftigt. Sie entlarvt sich somit als eine ‘Bildwissenschaft’, die sich ausschließlich mit 'gereinigten' Bildern auseinandersetzt, Bilder, die dem allgemeinen Konsens von 'Kunst' entsprechen.
Die Kunstgeschichtsschreibung entlarvt sich auch noch Ende des 20. Jahrhunderts als Aufklärungs-
programm des bürgerlichen Subjekts: “Sie widersteht den Phantasmen, den Bedrohungen des Imaginären, kontrolliert seine Obzessionen.” Das von der Kunstgeschichte postulierte Kunstwerk ist statisch und auf die zweidimensionale Reproduktionsoberfläche (Foto/Dia) reduzierbar. Für jede Rezeption von Kunst wird eine rigide moralische, hermeneutische Disziplinierung der Ästethik gefordert und auch präsentiert.

cogito ergo sum

Es ist nicht nur die Angst vor neuen Techniken, die die Kunstgeschichte zögernd sich mit neuen Bildmedien beschäftigen läßt. Die Schwierigkeiten, die bei Kunst entstehen, die sich nicht so einfach mit dem etablierten Gebrauch von Diaprojektion vermitteln läßt, ist eher nebensächlich. Das eigentliche Problem ist inhaltlicher Natur und demnach existenziell. Es geht um die Frage nach der Wahrheit der Dinge. Die Kunstgeschichte besetzt die Kunstwerke mit Zuschreibungen, mit Wahrheiten, um sie kontrollieren zu können. Das Anathema für sie ist das Kunstwerk, das sich nicht dementsprechend beugen bzw. zurechtstutzen läßt. Was die ‘neuen Medien’ angeht, wäre die Kunstgeschichte froh, wenn sie sich dieser entledigen könnte. Eine eigens ins Leben gerufene Medienwissenschaft würde die klassische Kunstgeschichtsschreibung vor dem Horror bewahren, sich klar zu machen, daß sie nie wirklich die Kunstwerke selbst zum Thema hatte, sondern immer die eigenen Interessen verfolgte. Reck äußert die Vorstellung, daß die Kunstgeschichte sich nie hat darauf einlassen wollen (oder können), daß die Kunst als Kritik des Sehens verstanden werden kann.

video ergo sum

Um das zu erkennen, muß man nicht einmal die ‘neuen Bildmedien’ bemühen. Malewitschs suprematistische Bilder stellen eine Abkopplung von Zeichen und Bedeutung dar. Dem Entschlüsseln seiner Bilder geht die Erkenntnis voraus, daß es eine Differenz gibt zwischen dem was dargestellt ist und dem was es bedeutet (oder bedeuten könnte). Das Kunstwerk gibt sich somit als ein dynamisches Medium zu erkennen, in dem Zeit und Raum miteinzubeziehen sind. Das Bild zeigt in gewissen Maße, was nicht zu sehen ist. Das Bild zeigt das Bild als ein Abwesendes und thematisiert die (post)moderne Krise des Sichtbaren.

cogito ergo video

Ein Bild der anderen Art stellt J.-L. Godards “L’Histoire du Cinéma” (1980/81) vor: Es handelt sich um eine Bildmontage, in der sich Filmsequenzen von Kinoklassikern mit klassischen Meisterwerken überlappen. Allerdings ist es selbst kein Kinofilm, sondern eine videographische Arbeit, die für den Heimgebrauch, also das individuelle Ein- und Auschalten oder Vor- oder Zurückspulen gedacht ist. Hiermit kommt die Zeit ins Spiel mit der der Kunsthistoriker und seinem klassischen Werkzeug nicht umzugehen vermag.
Das Zeitmotiv ist eines der wichtigen Themen in der Kunst der Moderne und daß nicht nur im Film oder im Video. Das von H. U. Reck gewählte Beispiel des ‘Großen Glases’ von Duchamp belegt dieses auch für andere Bereiche und deckt gleichzeitig den Mangel in der Rezeption auf. Eine seltene Aufnahme zeigt das ‘Große Glas’ als das, was es ausgestellt war: Der Bildträger war nicht ein Tableau, sondern das Glas, in (auf) dem man die Motive erkennen konnte, durch das man jedoch gleichzeitig blicken und sich selbst auch spiegelnd sehen konnte. Man konnte sich also selbst beim Sehen zusehen, wobei das klassische Motiv des Spiegels erwähnt wäre und man den Schritt schließlich zu J. Lacans weiterführen könnte.

Das Leitmotiv von Godards Film ist die sich an Descartes anlehnende These: Cogito ergo video. Diese alte Vorstellung, daß das Auge eine klare Sicht auf die Welt verschafft (Platos Bild der Wahrheit) wird vom (post)modernen Bild verworfen. Das Sehen ist jedoch nicht nur Modell der Wahrheit aufzufassen, sondern eben auch als Quell von Irrtümern.
Die Kunst wendet sich gegen die Kunstgeschichte, die ein klares Bild der Welt konstruiert. Von der Kunstgeschichte wiederum wird die Kunst mit einem modernen Bilderverbot belegt, weil die Bilder, die sie entwirft, nicht dem heilen, sich stringent entwickelnden Weltbild der Kunstgeschichts-
schreibung entspricht. Die Kunstgeschichte müßte ihre Chance nutzen, um die eigene Wahrnehmungspotenz zu steigern und sich eine visuelle Kompetenz anzueignen.
Auf zu neuen Bildern! Nicht mehr kleben vor den Meisterwerken!

Christian Schoen

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