0 2 7      1 8 0 2 1 9 9 8

magazin



 
besprechung
Wer hat Angst vor Lady Lilith?

Der Symbolismus in England
1860-1910

eine ausstellung im haus der kunst

[...] War
Je Einer, Lilith, der in sanften Blick
Und Duft und Kuß und Schlaf sich nicht verfing?
Sieh, da sein Aug entbrannt an deinem, ging
Dein Bann durch ihn; gebeugt bleibt sein Genick,
Und um sein Herz ein drosselnd goldnes Haar. (D.G. Rossetti)

Lilith ist die hexengleiche erste Frau Adams und sie gilt dem Maler und Dichter Dante Gabriel Rossetti als Verkörperung des „gefährlichen Prinzips in der Welt, das von Anbeginn weibliche Züge trägt“.

Schön sind sie und sinnlich und doch immer der Welt entrückt, diese Frauen der englischen Maler und Bildhauer um Rossetti, Edward Burne-Jones und dem Altmeister George Frederik Watts. Die Züge der Geliebten verschmelzen mit den mythologischen und biblischen Vorbildern zu allegorischen Porträts eines Gedankens oder Gemütszustandes. Die Bilder verlassen damit das vertraute Terrain des klassischen Bildnisses, entheben es seiner moralischen Pflicht und narrativen Deutung.
Doch der Blick der Geliebten zum Betrachter ist immer auch ein selbstgenügsamer, selbstverliebter Blick in den Spiegel, der sich des Mannes nur bedient. Und so erscheinen auch die milchigen Oberflächen der Bilder oft wie Spiegel, in dem sich ebenso der Maler und sein inneres Begehren spiegelt: Die Angst vor der weiblichen Sexualität und dem eigenen Verderben. Aber offensichtlich auch die unterschwellige Lust daran; der Marquis de Sade stand nicht ohne Grund hoch im Kurs. Zugleich aber auch die alte romantische Hoffnung auf die läuternde Kraft der reinen weiblichen Seele, die Geliebte als Heilige. Den Symbolismus kennzeichnet diese Doppelbödigkeit von Idealismus und Dekadenz.
Doch damit nicht genug. Immer wieder scheinen die Maler in ihren allegorischen Frauenporträts und persönlich gedeuteten Mythen auch die eigene Weiblichkeit zu erproben, das eigene soziale Geschlecht in Frage zu stellen. Die Androgynität vieler Figuren fällt ins Auge. Doch im 19. Jahrhundert wird natürlich stets nur gefragt, was die Frau für den Mann ist: Verführerin und Heilige oder Agens zur Entdeckung eigener Feminität.




Der Begriff Symbolismus wurde erstmals auf eine Gruppe französischer und belgischer Dichter der 80er und 90er Jahre angewandt (von Gérard de Nerval über Stéphane Mallarmé bis zu Maurice Maeterlinck), die sich ihrerseits auf die dekadente Dichtung eines Charles Baudelaires und den ihm verwandten Ästhetizismus, das l’art pour l’art eines Théophile Gautier um die Jahrhundertmitte besannen. In England selbst befand man es nie für nötig, zwischen all diesen Bewegungen so klar zu trennen und so wurde die Rolle der englischen Dichter und bildenden Künstler für die Ausbildung eines europäischen Symbolismus bislang kaum bedacht. Die Ausstellung im Münchener Haus der Kunst, die von der Tate Gallery in London übernommen wurde, versucht nun erstmals die Engländer ins rechte Licht zu rücken. Schriftsteller wie Keats, Tennyson und die Maler der präraffaelitischen Bruderschaft (mit ihrer Vorliebe für die Unmittelbarkeit und Einfachheit der mittelalterlichen Kunst vor Raffael) spielten als Vorläufer eine entscheidende Rolle. Und Thomas Carlyles Sartor Resartus (1832) avancierte auch in Frankreich und Belgien zum Kultbuch. In den 80ern und 90ern wirkten sich die Dichtungen Walter Paters und Algernon Charles Swinburnes wie die Bilder ihrer Malerfreunde auch auf neuere Kunststömungen auf dem Kontinent aus. Die Ausstellung zeigt den wechselseitigen Einfluß anhand von Vergleichen mit den bedeutendsten europäischen Symbolisten (Knopff, Puvis de Chavannes, Moreau, Hodler, Klimt, u.a.)


Gegenstand der neuen Kunst war nicht mehr die äußere Natur um ihrer selbst willen, sondern die „Idee“. Alle Erscheinungen der äußeren Welt, seien sie physischer oder psychologischer Natur, waren lediglich Vehikel für die Offenbarung der Idee. Doch „die Idee ... sollte niemals ohne das üppige Beiwerk äußerer Analogien in Erscheinung treten, denn es ist ein wesentliches Charakteristikum der symbolistischen Kunst, daß sie den Begriff der Idee selbst niemals unmittelbar ausspricht.“ (Jean Moréas) Die Idee offenbart sich allmählich und lückenhaft. „Das wesentliche Ziel unserer Kunst ist es," so schreibt Gustave Kahn "das Subjektive zu objektivieren (die Veräußerlichung der Idee) statt das Objektive zu subjektivieren (die durch das Temperament der Persönlichkeit wahrgenommene Natur).

Die Betonung von Innerlichkeit, von Traum und Psyche einerseits und die Loslösung von Bedeutung, die Betonung von Form und Farbe bis hin zum Dekorativen andererseits, kennzeichnen den Symbolismus als wichtige Schnittstelle zwischen Akademie und Moderne, von der Abstraktion bis hin zum Surrealismus.

Bocca Baciata - lautet in Anlehnung an eine Novelle Bocaccios der Titel eines Bildes von Rossetti: „Der Mund, der geküßt wurde, verliert nicht seine Frische“. Läßt sich nur noch ergänzen: auch die Ausstellungsräume, die im Sinne der symbolistischen Farbsymbolik gestrichen wurden - rot wie die Liebe und grün wie die Hoffnung - verlieren nicht ihre Frische und im Sinne Swinburnes als Kritiker: „Überwältigender als sich mit anständigen Worten sagen läßt.“

Imke Bösch



email
impressum

kunst in münchen
suche

berichte, kommentare,
archiv

meinungen,
thesen, aktionen

kulturinformation
im internet