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227 03|04|2002
besprechung
stories - die erzählung kehrt zurück
stories

eine ausstellung im
haus der kunst
vom 08.03.2002 bis 02.06.2002

Der Gang durch die Ausstellunge "Stories" ist zeitgenössischen Erzählmodellen vergleichbar: Der Anfang ist offen, und wo das Ende ist, ist auch nicht ganz klar (-daher gleich zu Anfang: Die Tür unterhalb der Installation von Anna Gaskell im hinteren Treppenhaus darf durchaus betreten werden!).
Hirnhelme von M+M laden im unteren Bereich der Ausstellung zum Ausprobieren ein. Irritiert über die "behirnten" Menschen, die einem entgegen kommen, weiß man anfangs nicht so recht, ob hier ein Casting zu einem Sciencefictionfilm stattfindet oder ob man sich schlicht in den Räumlichkeiten vertan hat. Ein kleines Schallplattenkarussell und Zeichnungen des deutschen Künstlers Andreas Siekmann bieten dann einen klassischen Auftakt zur Ausstellung, aber schon ab dem nächsten Raum muss der Besucher sich entgegen seinen geläufigen Museumsbesuchsgewohnheiten bewegen. Nicht von Bild zu Bild kann er gehen, vielmehr wird er im Zickzackkurs durch die Installation von Rachel Harrison geführt, die dem Besucher narrative Elemente als unzusammenhängende Bildergeschichten vorlegt: eine Barbiepuppe im Rollstuhl, Fotografien von Menschen, die eine Glasscheibe berühren (eine Fensterscheibe, an der in New York die heilige Jungfrau erschienen ist!), oder Kartonstellwände konstruieren einen sogenannten Erzählraum, innerhalb dessen die Erzählung - ganz im Sinne des postmodernen interdisziplinären Ansatzes - geradezu wörtlich auf die Kunst übertragen wird.
   
Querschnitte
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Die Stories-Ausstellung im Haus der Kunst widmet sich der narrativen Kunst seit Beginn der 90er Jahre. Mit über 20 zeitgenössischen Künstlern wird eine Spannbreite verschiedener narrativer Modelle angerissen, die vor allem eines deutlich machen: Es geht nicht um bestimmte Geschichten, sondern es wird das Geschichtenerzählen an sich thematisiert. Narrationsmodelle wie die lineare Erzählung, die Fiktion, aber auch Anti-Narratives wird auf die Kunst übertragen und in der Kunst weitergeführt.
Allerdings würde in der Ausstellung vermutlich das eine oder andere "Erzählmodell" deutlicher werden, wenn es durch weitere Arbeiten des jeweiligen Künstlers ergänzt worden wäre. Insgesamt weniger Künstler, aber von diesen mehr Arbeiten hätte manches Fragezeichen klären helfen können - eine Aufgabe, die nun der Katalog übernehmen muss (für dessen unmögliches Format man im übrigen viel Platz zum Lesen braucht). Nicht bei allen Künstlern wird verständlich, ob es hier um formale oder inhaltliche Auseinandersetzungen zum Narrativen geht bzw. welcher Art diese Auseinandersetzung überhaupt stattfindet. Während Arbeiten von William Kentridge, Raymond Pettibon oder Lars Arrhenius für sich sprechen, bleiben andere Arbeiten zumindest in ihrem narrativen Ansatz im Dunkeln. So wirkt die Arbeit von Julia Loktev, die sich mit den Gedanken von New Yorker U-Bahn-Insassinnen beschäftigt, etwas beliebig und auch Tracey Emin bleibt angesichts des gestellten Themas dem Betrachter ein Rätsel. Aber trotz dieser Kritik an der Masse - keineswegs ein neues Phänomen aktuellen Kunstgeschehens - gibt die Ausstellung einen hervorragenden Einblick in herkömmliche Erzählmodelle und damit auch in ein wichtiges Thema zeitgenössischer Kunst. Die Arbeiten von Sam Taylor-Wood, Abigail O'Brian oder Lars Arrhenius scheinen wie eigens gemacht für die Ausstellung und sind doch nur konsequentes Ergebnis ihres Kunstschaffens. Sam Taylor-Wood etwa, die mit einer Fotografie aus ihrer Serie "Five Revolutionary Seconds" vertreten ist, hat in den vergangenen Jahren immer wieder das "Wesen" der Erzählung in Fotografie und Film untersucht. "Five Revolutionary Seconds" steht dafür als Paradebeispiel: Mit einer sich drehenden (!) Kamera hat sie filmisch festgehalten, was doch nur die Fotografie leisten kann: Ein Porträt der (Londoner) Boheme, das in dem "festgefrorenen" fotografischen Moment einen Spiegel seines Daseins erfährt. Auch Anna Gaskell hat sich Mittel des Films angeeignet, die allerdings weniger ihre Produktionsweise als das Ergebnis bestimmen. In ihren Fotoserien "by proxy" und "sally salt says" arbeitet sie mit den schnellen Filmschnitten, die auf die Fotografie übertragen zu Close-Ups und Motivfragmenten führen. In Piktogrammen erzählt Lars Arrhenius das Leben eines Schilder-Männchens und tituliert damit das als Wegweiser gedachte Symbol zur schillernden Lebensgeschichte.

   
Geschichte der Geschichte
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Schade ist, dass die Ausstellung erst in den 90er Jahren einsetzt, schließlich ist das Narrative doch schon viel früher in die Bildende Kunst zurück gekehrt. Künstler wie Eileen Cowin, Cindy Sherman, Jeff Wall u.v.m. haben bereits Ende der 70er Jahre begonnen, sich mit Formen des Narrativen auseinander zu setzen, ebenfalls ohne dass es ihnen um die Geschichte im Sinne des Erzählens ging. Sherman und Cowin haben etwa auf Erzählweisen des Fernsehens rekurriert, um damit die Frage der Wirklichkeit ins Spiel zu bringen, die wiederum für das Medium der Fotografie erst neu bestimmt werden musste. Das heißt ihre Suche nach Erzählmodellen entsprang keinem plötzlichen Einfall, sondern sie geht viel mehr auf die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Medien zurück. Damit klärt sich auch die Frage des Warum, die schließlich die Basis für die Beschäftigung mit der Erzählung in der Bildenden Kunst ist - und für die die aktuelle Ausstellung klärt, wie diese Beschäftigung aussehen kann.

christine walter




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