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besprechung
mit dem rücken zur wand
some works with sound waves...

eine ausstellung im kunstverein
von 16.06.2000 bis 13.08.2000

Zwei dunkle raumhohe Leinwände, ein lautes Geräusch. Das Geräusch kommt von einem Helikopter, in der Ausstellung natürlich vom Band. Auf den Leinwänden streift nun ein Lichtstrahl die geballte Dunkelheit, erst sachte, dann stärker. Farben werden erkennbar, Formen. Mitten in tiefster Nacht erhellen uns Suchscheinwerfer den Waldrand. „Edge of a Wood“ heißt diese Arbeit des Kanadiers Rodney Graham, die im Kunstverein zu den neueren unter den präsentierten gehört. Aber was bitte sucht Graham da mitten in der Nacht am Waldrand? Einen entflohenen Häftling wohl kaum, wenn uns fernsehverbildeten Betrachtern diese Szenerie auch als erste in den Sinn kommt. Was tatsächlich im dunklen Wald zu finden ist, ist viel unspektakulärer, dafür aber auch viel erhellender, im wahrsten Sinne des Wortes: es geht um die Wahrnehmung. Die Erscheinung des Waldes erinnert an ein Kinderspiel: die Gegenstände im Dunklen damit zu überraschen, sie anzusehen. Als Kinder hatten wir gelernt, dass die Dinge nur im Licht farbig sind. Aus Neugier wollten wir nun wissen, wie ohne Licht aussehen. Uns ist das Experiment natürlich nie geglückt.
   
weg von der wahren berufung?


„Es ist manchmal notwendig, dem den Rücken zuzukehren, was man zu sehen hofft“, sagt Rodney Graham über sein aufwendiges Musikprojekt, das ebenfalls im Kunstverein vorgestellt wird, und das man sich in der Listening Lounge zu Gemüte führen kann. Zuerst sollte es nur eine Single werden. Um eine Single auszuwählen, befand er schließlich ein ganzes Album von nöten. Ein Jahr lang war er mit der Musik beschäftigt. Von seiner „wahren Berufung“, von der Kunst abgelenkt. Und doch führte ihn auch dieses Projekt wieder zu seinem Thema.
Ein Jahr lang hatte er sich auch früher schon mit einem Nicht-Kunst-Thema aufgehalten, von dem Plakate, ein Diagramm und ein Videoband von einem Vortrag zeugen (siehe das Videostill, von der Einladungskarte): Mit Freuds „Traum von der botanischen Monographie“ von 1898 und dessen Implikation in seine Schuldenverhältnisse gegenüber seinem Lehrer. Die Plakate kündigten den Vortrag an und das Diagramm diente damals zur Veranschaulichung vor dem Auditorium. Diesen Aktivitäten stehen Fotografien wie „Fishing on the Jetty“ scheinbar völlig befremdlich gegenüber. Dargestellt ist eine Einstellung aus Hitchcocks Film „Über den Dächern von Nizza“, in der Cary Grant so tut, als sei er ein Sportfischer. Für das fotografische Diptychon hielt allerdings Vancouver her, an Nizzas Stelle. Dessen Hafenansicht wurde jedoch erst nachträglich digital eingefügt. Und Cary Grant wird verkörpert von Rodney Graham. Die Wiedergabe der Szene sei übrigens nicht besonders genau, so der Künstler.
Was das alles soll? Führt Rodney Grahams vielfältiges Betätigungsfeld ihn nicht vom Hundertsten ins Tausendste? Und damit ins Ungenaue, unscharfe? So wie seine Arbeit „Coruscating Cinnamon Granules“: Ein eigener Verschlag beherbert sechs Stühle. Er hat die Maße der Küche des Künstlers. Vorgeführt wird im finsteren Inneren ein Film: eine glühende Spirale ist zunächst zu sehen, dann viele helle Punkte, die aufblinken und verschwinden, sehr viele, dann weniger, dann wieder von vorne als Endlosschleife. Der Aufwand erscheint riesig verglichen mit der Ursache des filmischen optischen Eindrucks: handelsüblicher Zimt verglüht im Dunklen auf einer heißen Herdplatte.
   
wie eine camera obscura


Aufschluss gibt endlich, trotz der Verschiedenartigkeit aller Arbeiten, der „Siesta Room in the Country“. Auch eine ganz neue Arbeit, die aber ein Motiv wiederholt, das sich leitmotivisch durch Grahams bisheriges Werk zieht: die Camera Obscura. Dargestellt ist das Modell eines Hauses, dessen eine Front eine Glasscheibe bildet. Im Inneren steht ein Bett und eine kreisrunde Leinwand hängt an der gegenüberliegenden Wand. Vor dem Haus zieht ein Segelboot auf einem Fluß vorüber. Nun lässt sich die Glasfront mit einer versenkbaren Wand komplett verschließen. In diese Wand ist eine Linse eingelassen. Taucht die Wand den Raum in komplette Dunkelheit, dann wird innen auf der gegenüberliegenden Leinwand das Bild des Segelbootes als Projektion erscheinen. Der Raum wird also zur Kamera. Wäre sie lebensgroß und begehbar, könnte man sich das Bild ansehen. Solche Räume hat Graham auch schon gebaut, zum Beispiel eine Postkutsche, in der zwei Personen tatsächlich Zeugen der Bildentstehung werden konnten, wie im Inneren eines Fotoapparates („Camera obscura mobile“, nicht ausgestellt). Das Modell ist aber nicht begehbar. Das Bild ist daher nicht sehbar, wiewohl man weiß, dass es sichtbar ist. Und darum geht es Rodney Graham letztlich immer: Erstens um den Prozess der Bildentstehung. Darum, dass was pures Dunkel zu sein scheint, einen Wald beinhaltet. Oder dass sich blitzende Sterne im Dunkel als Zimtverglühungen entpuppen. Dass im Dunklen alles anders zu sein scheint, als es ist. Die Dunkelheit im Sinne von verwehrter Wahrnehmung ist nicht einmal unbedingte Bedingung, sie kann sich auch als im Hellen anwesend offenbaren: Dann, wenn man glaubt, Popmusik zu hören. Oder Cary Grant zu sehen. Die oftgesehensten Dinge halten sogar die gemeinsten Täuschungen bereit, weil man glaubt, diese nicht anzweifeln zu müssen. Genausowenig, wie man gedacht hat, dem Freudschen Traumkomplex pekuniäre Verstrickungen abgewinnen zu können. Erst wenn man mit dem Künstler den Dingen den Rücken zukehrt, sieht man sie besser als zuvor. Ob man auch besser sieht als zuvor?

Der komplette Titel der Ausstellung lautet: „some works with sound waves, some works with light waves and some other experimental works“. Am 5. Juli hält der Künstler um 19 Uhr einen Vortrag vor Ort.

milena greif



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