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besprechung
mein held
odysseus - mythos und erinnerung

eine ausstellung im haus der kunst
von 01.10.1999 bis 09.11.1999

Klug und gewitzt, mutig und von schöner Gestalt. So sahen schon im Altertum die Traummänner aus. Und schon damals scheint der Mythos seine Hand mehr im Spiel gehabt zu haben, als es die historische Wirklichkeit je hätte anstellen können. Einer von ihnen ist noch klüger, noch mutiger. Odysseus, von dem in den Sagen der Ilias und der Odyssee die Rede ist, der in der Schlacht um die Stadt Troja eine so entscheidende Rolle spielt und dessen 10 Jahre währende Heimkehr ihn unmenschliches Leid erdulden läßt. Dieser griechische Held wird von der Altertumsforschung gerne als Prototyp des modernen Menschen gehandelt. Modern, weil seine Figur immer wieder Anlaß gibt, zu glauben, hier ist einer, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Fatum hin, Fatum her, nicht die Götter haben hier das letzte Wort, sondern dieser Grieche, der das Schicksal bis zum Letzten herausfordert und dabei alle menschlichen Facetten streift - vom Schlitzohr bis zum Tugendpriester.

Vom diesem Mann berichten nicht nur Sage und Dichtung, sondern vor allem auch die bildenden Künste. Wenig ist erhalten. Und dies Wenige ist wiederum zum Schicksal eines Mannes geworden, der dieser Tage unermüdlich im Haus der Kunst zugange ist: Prof. Bernard Andreae, ehemaliger Leiter des deutschen archeologischen Instituts in Rom, hat sich in dieser Ausstellung (seiner zweiten umfassenden Sonderausstellung zum Thema) einen Lebenstraum verwirklicht und uns in den wörtlich - sagenhaften - Genuß eienr ausgekügelten und doch sinnlich berückenden Ausstellung versetzt.

Aus allen Epochen der griechischen und römischen Antike sind hier die schönsten Beispiele von Bildern des mythischen Odysseus vesammelt, vom Kleinsten zum Monumentalsten, von der spitznasigen Groteske bis zum ehrwürdigen, vom Götterodem belebten Altarbild. Viele neue Wörter kann man hier lernen vom Alabastron, Cameo, Hydria, Kantharos hören, über den Krater, Kylix, Lekythos, Oinochoe und Pelike lesen bis hin zum Skyphos, Stamnos und der Tabula Odysseaca, einer Schreibtafel mit Szenen aus der Odyssee. Und wem es hier nicht bereits den eigenen irdischen Atem verschlagen hat, dem wird spätestens in der Höhle von Sperlonga die Spucke wegbleiben.

skulptur als theater

 

Hier hat sich 2000 Jahre vor der ansehnlichen Rekonstruktion im Haus der Kunst - an der tyrrhenischen Küste zwischen Rom und Neapel - der römische Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr.) ein "Freilichttheater" mit monumentalen Figurengruppen aus Marmor eingerichtet. Natürlich mit Geschichten um unseren Helden. Zunächst, so die These Andreaes, die sogenannten fatalia troiana, wie sie der Römer Servius nennt. Das sind die 3 Bedingungen, die die Griechen - an ihrer Spitze Odysseus - einlösen mußten, um Troja endlich im zehnten Jahr des Krieges zu stürzen: Der Raub des Palladions, die Rettung der Waffen des Achill und die Rückholung der Pfeile des Philoktet. Und schließlich die beiden prominentesten Abenteuer des griechischen Helden: die Blendung des Zyklopen Polyphem und der Kampf gegen das Meeresungeheuer, die Skylla. Über allem thront der Schönste unter den Sterblichen: Ganymed, von dem Göttervater Zeus geraubt und zum Mundschenk der Olympier gemacht. Hier hat alles seinen Anfang genommen. Ganymed hat die Eifersucht der Hera zur Folge. Die stellt sich neben Aphrodite und Athena, um Paris um sein Parisurteil zu bitten. Letzerer wählt Aphrodite, die ihm die schönste Frau auf Erden verspricht. Der raubt die Helena und bringt den Stein ins Rollen.
Kaiser Tiberius habe sich hier ein herrschaftliches Denkmal gesetzt. In seiner Person fielen schicksalhaft zwei Linien zusammen: Als Angehöriger der Familie der Claudier kann er sich auf die Griechen und hier auf den legendären Odysseus zurückführen. Als Adoptivsohn von niemand geringerem als Kaiser Augustus ist er der zweiten mächtigen römischen Familie verbunden, den Juliern, die sich rühmen von Aeneas und den Trojanern abzustammen.

Ein vergleichbares politisches Programm hat sich auch Kaiser Claudius (41-54 n. Chr.) in seinem Nymphäum von Baia im Golf von Neapel bauen lassen, das ebenfalls in einer aufwendigen Rekonstruktion des Bernard Andreae hier im Haus der Kunst zu sehen ist. Auch hier kann man sich den Kaiser leibhaftig vorstellen, wie er mit seinen Gästen am eingelassenen Kanal schmauste und sich von den jungen Mädchen aus dem Wasser die Meeresfrüchte darreichen ließ.

Ja, die Alten, wie sie leibten und lebten, heute noch bis zum 9. Januar 2000.

imke bösch



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