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besprechung
where to start from
leuchtende neonschriftzüge: where to start from

eine ausstellung in und um das europäische patentamt vom 08.06.1999 bis 30.11.1999

„Where to start from“ ist eine Frage, die man sich stellen mag, falls man vor hat, Maurizio Nannuccis Werke in und in der Nähe von München zu besichtigen. Zur „Ausstellung“ des gleichen Titels im und am Europäischen Patentamt hat der Neonkünstler die Frage auch an die Fassade gebannt. Fängt man hier an das Gebäude, das „gleich einer Insel“ umrundbar ist, abzuschreiten, läuft man einen Pfad in der Form einer 8 ab. Interpretiert wird diese als Unendlichkeitszeichen. Auf der Schleife ohne Ende kommt man an fünf weiteren Neonschriften vorbei. Im Eingangsbereich streitet sich „The possible plan of the impossible“ mit „The impossible plan of the possible“. Dem Europäischen Patentamt, so Präsident Ingo Kober bei der Eröffnungsveranstaltung um den Bogen zu spannen, werden nur zu oft vorgeblich mögliche Pläne des Unmöglichen vorgelegt. „Vielleicht handelt es sich dabei ja um Kunstwerke!“ tönte daraufhin ein Zwischenruf aus dem Publikum. Ja, vielleicht. Vielleicht handelt es sich auch bei Nannuccis Arbeiten um Kunst.
nur die titel



Stringent entwickelte der heute sechzigjährige Italiener sein Konzept, indem er die Kunst von ihren Titeln löste und nur die Beschriftung übrig ließ. Auf einer rote Leinwand brachte er die Neonschrift „red“ an. Eine rote Neonröhre endete mit den Worten „red line“. Er ließ ein Flugzeug über die Biennale von Venedig einen Banner ziehen mit der Aufschrift „das Bild des Himmels“. Auch in Photoarbeiten ließ er die Schrift in Konkurrenz zum Bild treten. Die leuchtenden Neonschriften dominieren in der Gegenwart sein Werk. Nach der „red line“ begannen die Schriftzeichen in Bewegung zu geraten. Sie überlagerten, dehnten sich und schoben sich übereinander bis an die Grenze der Lesbarkeit.

kunst mit worten



Das Wort ART beispielsweise, so Helmut Friedel bei der Eröffnungsrede, könne von einem Deutschen auch als RAT gelesen werden, von einem Italiener hingegen als TRA (ital. 'durch'). An den Vorzug, den man bildender Kunst vor der Schrift gemeinhin gibt, nämliche ihre internationale Verständlichkeit, werde auf diese Weise zumindest wieder angenähert. Am Patentamt verwendete Nannucci die dort üblichen Amtsprachen Deutsch, Englisch und Französisch, wo er außer den bereits zitierten Sätzen installierte „La Question n’est pas la non plus“ (Es gibt auch keine Frage), „Decouvrir differentes directions“ (Verschiedene Richtungen entdecken), „Ein anderer Begriff des Möglichen“, „Mehr als das Auge sehen kann“ und „Open to undefined meaning“. An der Germeringer Stadthalle im Münchner Westen ließt man aber auf lateinisch „Id quod erat demonstrandum“ und auf italienisch „non monologo ma dialogo“ anbringen, ohne daß die Germeringer besonders für ihre Latein- oder Italienischkenntnisse bekannt wären. Mancher Betrachter wird auf diese Weise vom Verständnis ausgeschlossen. Doch auch Kunst ohne Worte wird allzu oft nicht oder mißverstanden.

where to end?



Dieses Spiel mit der kognitiven Erschließbarkeit des Werks entwickelt zudem Eigendynamik. Denn das Bezeichnende entspricht nicht dem Bezeichneten. Oder der Warenwelt entliehen einfacher: „Es ist nicht drin, was drauf ist“. Die Gemeinplätze, und um solche handelt es sich in der Regel, laufen nicht konform mit ihrem Hintergrund, obwohl sie doch mit der Architektur und dem Raum in Beziehung treten. „You can imagine the opposite“ steht am Münchner Lenbachhaus. Das Gegenteil wovon? Des Gebäudes? Seiner kulturellen Nutzung? Seines Bestehens? Oder das Gegenteil des Schriftzugs? Das Haus ohne Schriftzug oder mit einem anderen Werk an seiner Stelle?
„Zuerst sieht man aber die leuchtende Farbe“, so der Künstler, noch "bevor man die Bedeutung erfaßt". Noch bevor man also tiefer einsteigt, wird die Reihe von Schrift- zu Raumzeichen, auf das unwillkürliche Aufmerken folgt eine Irritation der Wahrnehmung und die physische Annäherung. Die Erfahrung der Umgebung, insbesondere innerhalb der Stadt ändert sich: Bezüge zu „profanen“ Lichtern wie Neonreklame und Ampeln treten auf.
Auf die Eingangsfrage „Where to start from?“ läßt sich nurmehr entgegenen „Where to end?“ Die Frage nach der Kunst stellt sich nicht, „n’est la non plus“.

milena greif

Fotos: Pressefotos u.a. von Michael Weseley, Galerie Walter Storms



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