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magazin



 
besprechung
sag mir, was du ißt...

julia jacquettes 'paintings'

eine ausstellung in der galerie oliver schweden

"I Dreamt I Kissed Your Perfect Lips", raunt ein Schokoladenkuchen mit rauchiger Stimme dem Betrachter zu. "I Want to Know What it is Like to Taste Your Mouth", singen die Desserts von gegenüber im Chor.
Julia Jacquette schlägt in der Galerie Oliver Schweden den Ton des Menschens liebstes Kind direkt, ohne Umwege über kognitive Sicherungen des Verstandes an. Jeder, ohne Ausnahme kann sich begeistern für diese emailierten Hochglanztableaus, für die minitiöse Darstellung kulinarischer Errungenschaften und für die eingängigen Slogans, die sie begleiten. Personifizierte Kuchen hängen da beispielsweise, Männer als süßes Zuckerwerk, der Nachtisch der Famme Fatale, den sie sich auf der Zunge zergehen läßt: eine Reihe von Bildern versammelt tatsächlich jeweils einen männlichen Vornamen mit einem Glibberpudding oder einem Sahnebaiser. - Die Männer, die diesen Darstellungen ihren Namen liehen, kann man sich wahrhaft bildlich vorstellen.
Dann die redenden Bilder: Der Wunsch, von Lippen zu kosten, den Mund zu schmecken, ihn gar gegen den eigenen Mund zu drücken geht mit schimmernden Kalorienbomben einher. Weiß nicht jeder, was gemeint ist? Essen und Liebe, Erotik und Schlemmen - Assoziationen, die auf der Hand liegen. Schließlich ist jeder damit aufgewachsen. Von jedem Plakat, von jeder Fernsehwerbung bekommen wir das zu hören: Iß und du bist schön. Je schöner die Speisen, desto begehrenswerter die Köchin. Oder funktioniert das doch nicht so leicht? Ist die Wurstplatte lediglich Zeugnis exzessiver Freßanfälle aufgrund von Liebesfrust? Sind die Sahnetörtchen doch nicht übereinzubringen mit dem lockenden Kußmund? Ist Begehren doch nicht auf Hochglanz trimmbar und mit Esslust zu vergleichen?

heißer brei und
honigkuchen



Unser gesellschaftliches Verhalten, die Struktur unseres Lebens dreht sich doch - Hand aufs Herz - um solcherart kleinmütiger Genüsse und Gelüste. Und verrät dabei unendlich viel über die Konstitution unserer pragmatischen Einschätzung von Bedürfnisbefriedigung. Freud läßt grüßen: Triebsublimierung. Wer keinen Mann abbekommt, muß Torten lieben. Doch es muß sich nicht gleich ums Ärgste drehen. Essen ist auch Gelegenheit für Liebe, Liebesbeweis, Konstruktion der Lebensart. Von der Mutterbrust bis zur intravenösen Ernährung ist der Mensch von Nahrung abhängig, und die so unterschiedlichen Lebensphasen lassen sich an der Konsistenz erkennen. Torten und Wurstplatten signalisieren in unserer Kultur unmißverständlich: Fest und Feiern, Zelebrieren, oft eben gerade diese Übergänge von einem Lebensabschnitt zum nächsten, und selbst am Schluß wird da ein Leichenschmaus bereitet. Die kulturelle Komponente ging zwar allmählich verloren, der freigewordene Posten wurde von sogenannten niedrigen Begierden besetzt: Frust, Lust, Sucht kreisen wie ein Dreigestirn um den "heißen Brei". Apropos - auch in die Sprache hat sich dieser menschliche Grundpfeiler eingeschlagen, man denke nur an das "Honigkuchenpferd" und an das "Pizzaface". Schließlich hängt die ganze körperliche Konstitution von der Nahrungsaufnahme bzw. -abnahme ab. Abertausende von Anleitungen existieren, wie man mit einem bestimmten Speiseplan glücklicher wird. Und daß ein hungriger Manager schlechter arbeitet als ein satter, ist inzwischen wirtschaftspsychologisch auch keine Offenbarung mehr.
Noch bis zum 4.Juli ist die Ausstellung in der Damenstiftsstraße zu sehen, die man nicht so schnell vergißt.
"I Can't Get the Tought of You Out of My Mind", säuselt zum Abschluß die Wurstplatte zärtlich.

milena greif



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