magazin
foto:atb
229 17|04|2002
besprechung
anne berning über sein und schein
first chapter, last page

eine ausstellung in der
Galerie aktueller Kunst im Osramhaus
von 10.4.2002 bis 7.6.2002

Bis zum 7. Juni sind werktags von 9.oo bis 16.oo Uhr in der Galerie aktueller Kunst im Osram-Haus Arbeiten der in Berlin lebenden Künstlerin Anne Berning zu sehen. Laut dem Veranstalter wird dem Betrachter in der Ausstellung "First chapter, last page" Anne Bernings "ironische Liebesbeziehung zur Malerei" näher gebracht. Ob diese Beziehung allerdings ausreichend ist, um damit eine Ausstellung zu bestreiten, davon soll sich der Betrachter selber eine Meinung machen.
   
foto:atb

Wenn man allerdings "First chapter, last page" im Kontext der von Christian Schön bisher vorgegebenen Konzeption betrachtet, so zeigt sich ein homogenes Gesamtbild, innerhalb dessen die Arbeiten von Anne Berning durchaus eine Legitimation aufzuweisen vermögen. Ging es Christian Schön bei den letzten drei Ausstellungen darum, die enge Verflechtung von Malerei und Photographie in den Fokus der Betrachtung zu rücken - wobei dieser Bezug vor allem durch technische Perfektion zu glänzen vermochte -, so steht nun der Umgang mit der Geschichte der Kunst im Vordergrund. Anne Berning zitiert, modifiziert und falsifiziert den gebräuchlichen und den kunstwissenschaftlichen Umgang mit den Werken aus der bildenden Kunst. Das Ganze manifestiert sich in mittelgroßen Formaten, die kopierte Ausschnitte aus bekannten Gemälden zeigen, in überdimensionale, auf Leinwand gemalte Buchrücken, in auf Postkartengröße minimalisierte Meisterwerke und auf ein minutiös angeordnetes Ensemble verschiedenster Gegenstände, die sich im Lauf der Zeit wohl in einem Atelier so ansammeln. Summa summarum: Gezeigt werden gut vier verschiedene methodologische Ansätze, in welcher Form ein Umgang mit Kunst möglich ist.

   
foto:atb

Die fragmentierte Kopie: Wenn nur das existiert, was gesehen werden kann (philosophische Grundfrage!), dann existiert Kunst auch nur, wenn sie gesehen wird. Aber was heißt schon sehen, stellt sich der Maler als Experte die Frage. Zumeist sieht man in Fragmenten, letztlich nie das Gesamte. Die fehlenden Informationen über das Gesehene ergänzt das Gehirn auf durchaus phantasievolle Weise. Wenn aber nur das tatsächlich Gesehene existiert, dann besteht die Realität eines Kunstwerkes auch nur aus einer Verbindung diverser Fragmente. Die konsequente Schlussfolgerung aus einer solchen Hypothese ist die fragmentierte Kopie.

 

   
foto:atb

Eine andere Form der Fragmentierung ist der Buchrücken. Der klassische Buchrücken nennt den Autor, bereits in abgekürzter Form den Titel des Werkes und vielleicht noch den Verlag. Moderne Kunstbücher zeigen an diesem am häufigsten exponierten Fleck zudem immer häufiger einen gefälligen Ausschnitt aus einem Werk des Künstlers. Nun ist es natürlich schön, dass es Kunstbücher gibt, ersparen sie uns Mühen und Kosten wegen dem einen oder anderen Bild extra nach Madrid oder Paris oder London oder gar Moskau zu reisen. Das Kunstwerk muss nicht mehr in der Ferne aufgesucht werden, es kann auch in der Ferne betrachtet werden. So schön und angenehm diese technische Errungenschaft ist, so verheerend wirkt sie sich auf die Existenz der Kunst aus: Nach Jahren des vereinsamten im Regal Stehens degeneriert das im Kunstband abgebildete Werk zum bloßen Wort des ursprünglichen Schöpfers oder zu einem dekorativen Ausschnitt auf dem Buchrücken. Da nur das existiert, was gesehen wird, so existiert das eigentliche Kunstwerk konsequenter Weise nur noch als Fragment auf einem Buchrücken unter vielen im verstaubtem Regal.

   
foto:atb

"First chapter, last page" ist sicherlich keine Ausstellung, die mit dem bloß Gesehenen zu beeindrucken vermag, außer vielleicht eine kleine Gourmetschaft realistischer Malerei. Aber das scheint nicht das entscheidende zu sein. Denn Anne Bernings Arbeiten verweisen in ihrer Thematisierung der Frage nach Wirklichkeit über sich selbst hinaus. Das Gesehene steht für etwas, das selbst nicht gesehen werden kann. Und obgleich sie damit innerhalb der philosophischen Diskussion über die Tatsächlichkeit der Realität eine klare Position bezieht, bewahrt sie sich das recht vor, spielerisch mit dem Thema zu jonglieren. So gesehen: eine schöne und bereichernde Ausstellung.

alescha birkenholz



email
impressum


kunst in münchen
suche

berichte, kommentare,
archiv

meinungen,
thesen, aktionen

kulturinformation
im internet