16.02.2023

„I don't care a shit about cinema, I live Cinema!“

Cinema of Care Panel
v. l. n. r. Devika Girish (Moderation), Claire Denis, Abby Sun und Marek Hovorka
(Foto: A. T. Purr)

Die Eröffnungskonferenz zur „Woche der Kritik“ – »Cinema of Care. Wer kümmert sich ums Kino?« überrascht mit schonungsloser Transparenz und Diskursausflügen an die Grenzen des Kinos

Von Axel Timo Purr

Die seit acht Jahren parallel zur Berlinale statt­fin­dende Woche der Kritik hatte es nie leicht. Unter­fi­nan­ziert wie so viele Kultur­pro­jekte, haben im Laufe der Jahre etliche Player das Team verlassen. Und jene, die geblieben sind und neu hinzu­ge­kommen sind, machen halt weiter, so gut es denn geht. Umso höher ist es der kollek­tiven künst­le­ri­schen Leitung um Dennis Vetter, Petra Palmer, Elena Friedrich und Amos Borchert anzu­rechnen, als Auftakt der Eröff­nungs­kon­fe­renz zur Woche der Kritik die Karten so auf den Tisch zu legen, wie das viel­leicht jedes Projekt, jede Redaktion es dann und wann tun sollte. Petra Palmer findet mit diesem Trans­pa­renz­vor­stoß, der davon erzählt, dass empa­thi­sches Streiten auch nicht immer vor Enttäu­schungen und Hier­ar­chie­bil­dungen, vor Entfrem­dungen bei der Film­aus­wahl und vor dem finalen Aufgeben schützt, einen sinn­vollen Übergang zum etwas schwammig ausge­ru­fenen Thema der Veran­stal­tung: dem Cinema of Care, eine Begriff­lich­keit, die dann aber eher die Vorzüge eines Schwammes präsen­tiert, der in seiner viel­zel­ligen Komple­xität tatsäch­lich einen Diskurs anbietet, der über die stan­dar­di­sierten Erwar­tungs­hal­tungen an das Kino hinaus­reicht und das Kino wie die gesell­schaft­lich imple­men­tierten Produk­ti­ons­be­din­gungen des Umfelds hinter­fragt.

So wie die Keynote der deutschen Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin Isabell Lorey, die als Profes­sorin für Queer Studies in Künsten und Wissen­schaft an der Kunst­hoch­schule für Medien Köln lehrt und in einem konzen­trierten Vortrag den Begriff »Care« auf seine gesell­schafts­po­li­ti­sche Macht abklopft, präzise dekon­stru­iert und nahelegt, ihn aus seinen neoli­be­ralen und patri­ar­chalen Hier­ar­chien heraus­zu­reißen und neu zu defi­nieren, um letzt­end­lich auch die viel zu lange vernach­läs­sigten Außen­posten unserer Gesell­schaft zu erreichen.

Dass dieser Außen­posten nicht unbedingt von Huma­no­iden besetzt sein muss, darauf macht in einer »Case Study« die Junior-Profes­sorin Julia Bee im Gespräch mit der Künst­lerin Elke Marhöfer aufmerksam, die über einen Kurzfilm Marhöfers, Soils_Habit_Plants, eine Kontem­pla­tion in ein Pflanzen- und Erdbiotop, deutlich machen, dass es immer einen Versuch wert ist, die anthro­po­zen­tris­ti­sche Sicht zu verlassen und über einen pflan­zen­zen­tris­ti­schen Exkurs neue Wege zu beschreiten. Neue Wege, die auch neue Filme bedeuten, gerade weil sie den Anthro­po­zen­trismus stan­dar­di­sierter Filme nicht nur durch ihren Topos verlassen, sondern der filmische Prozess selbst zum Bezie­hungs­aufbau mit dem gefilmten Subjekt, also Erde und Pflanzen werden kann. Und mehr noch, kann über diese neue formu­lierte »Asthetics of Care« eine Art der Deko­lo­nia­li­sie­rung gegen­wär­tiger Produk­ti­ons­be­din­gungen vor allem im Doku­men­tar­film­be­reich statt­finden, mit einem Ethos, das sich auch an die Arbeiten von Jean-Marie Straub anlehnt, indem er nicht die fertige Meinung ins Zentrum stellt, sondern die Suche danach.

Die abschließende Podi­ums­dis­kus­sion wendete sich dann doch aber wieder ganz dem Menschen und seinen Dilemmata als Teil der Film­in­dus­trie zu, die die Regis­seurin Claire Denis (Meine schöne innere Sonne), der Festi­val­leiter Marek Hovorka (Ji.hlava Inter­na­tional Docu­men­tary Film Festival) und die Film­ku­ra­torin und Film­kri­ti­kerin Abby Sun nicht unter­schied­li­cher wahr­nehmen könnten und von Claire Denis viel­leicht am provo­kan­testen abgelehnt wird, die nicht einmal die viel zu aufge­la­dene, miss­brauchte Begriff­lich­keit des »Care« für sich instru­men­ta­li­sieren will – weil »Care« selbst schon ein geka­perters Wort sei – und eine Art Solitär für sich bean­sprucht, indem sie sagt: »I don’t care a shit about cinema, I live Cinema!«

Abbey wie auch Hovorka als Zulie­ferer der »zweiten Reihe« betonen hingegen die refor­mis­ti­sche Kraft des Kinos und den imma­nenten Bildungs­auf­trag, der auch bedeutet, politisch zu arbeiten und zu kämpfen und eine Trans­pa­renz zu versuchen, von der auch Petra Palmer in ihren einlei­tenden Worten gespro­chen hat und zu der auch die von Marhöfer formu­lierte »Asthe­thics of Care« gehören.

Auch wenn Denis von »Ästhetik« in diesem Kontext nichts wissen will, weil man jeder Ästhetik miss­trauen muss und wie in Ozus Filmen »Care« nicht anders und besser zu bewerten sei als »Harm«, findet das Panel über diese Ausein­an­der­set­zung dann doch zu einem gemein­schaft­li­chen Statement. Denn Streit, Angriffe, also »Harm«, müssten viel­leicht tatsäch­lich am Anfang jeder trans­pa­renten »Care« und eines neuen empa­thi­schen Mitein­an­ders im Bereich des Kinos sein. Denn dass es ohne Kino trotz einer Welt, die aus den Fugen fällt, nicht geht, davon sind am Ende alle Betei­ligten überzeugt. Am meisten sicher­lich Claire Denis, für die das einsame Streamen in einsamen Betten nichts weiter als Mastur­ba­tion ist und Länder ohne Kinos, die es ja inzwi­schen schon zur Genüge gibt, am Ende Länder ohne Health Care seien.

Doch wie jede Health Care ist auch die des Films nun einmal von »indus­tri­ellen Faktoren« abhängig, also letzt­end­lich vom Geld, das Hovorka wie alle anderen gerechter verteilt sehen will. Womit die Diskus­sion dann am Ende ganz bei Marx und seinen frühen Schriften ist: »Wenn Geld das Band ist, das mich ans mensch­liche Leben bindet, die Gesell­schaft an mich bindet, ist Geld dann nicht das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen und binden? Ist es daher nicht das univer­selle Mittel der Trennung?« Und das ist dann fast schon ein Segen.