„I don't care a shit about cinema, I live Cinema!“ |
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v. l. n. r. Devika Girish (Moderation), Claire Denis, Abby Sun und Marek Hovorka | ||
(Foto: A. T. Purr) |
Von Axel Timo Purr
Die seit acht Jahren parallel zur Berlinale stattfindende Woche der Kritik hatte es nie leicht. Unterfinanziert wie so viele Kulturprojekte, haben im Laufe der Jahre etliche Player das Team verlassen. Und jene, die geblieben sind und neu hinzugekommen sind, machen halt weiter, so gut es denn geht. Umso höher ist es der kollektiven künstlerischen Leitung um Dennis Vetter, Petra Palmer, Elena Friedrich und Amos Borchert anzurechnen, als Auftakt der Eröffnungskonferenz zur Woche der Kritik die Karten so auf den Tisch zu legen, wie das vielleicht jedes Projekt, jede Redaktion es dann und wann tun sollte. Petra Palmer findet mit diesem Transparenzvorstoß, der davon erzählt, dass empathisches Streiten auch nicht immer vor Enttäuschungen und Hierarchiebildungen, vor Entfremdungen bei der Filmauswahl und vor dem finalen Aufgeben schützt, einen sinnvollen Übergang zum etwas schwammig ausgerufenen Thema der Veranstaltung: dem Cinema of Care, eine Begrifflichkeit, die dann aber eher die Vorzüge eines Schwammes präsentiert, der in seiner vielzelligen Komplexität tatsächlich einen Diskurs anbietet, der über die standardisierten Erwartungshaltungen an das Kino hinausreicht und das Kino wie die gesellschaftlich implementierten Produktionsbedingungen des Umfelds hinterfragt.
So wie die Keynote der deutschen Politikwissenschaftlerin Isabell Lorey, die als Professorin für Queer Studies in Künsten und Wissenschaft an der Kunsthochschule für Medien Köln lehrt und in einem konzentrierten Vortrag den Begriff »Care« auf seine gesellschaftspolitische Macht abklopft, präzise dekonstruiert und nahelegt, ihn aus seinen neoliberalen und patriarchalen Hierarchien herauszureißen und neu zu definieren, um letztendlich auch die viel zu lange vernachlässigten Außenposten unserer Gesellschaft zu erreichen.
Dass dieser Außenposten nicht unbedingt von Humanoiden besetzt sein muss, darauf macht in einer »Case Study« die Junior-Professorin Julia Bee im Gespräch mit der Künstlerin Elke Marhöfer aufmerksam, die über einen Kurzfilm Marhöfers, Soils_Habit_Plants, eine Kontemplation in ein Pflanzen- und Erdbiotop, deutlich machen, dass es immer einen Versuch wert ist, die anthropozentristische Sicht zu verlassen und über einen pflanzenzentristischen Exkurs neue Wege zu beschreiten. Neue Wege, die auch neue Filme bedeuten, gerade weil sie den Anthropozentrismus standardisierter Filme nicht nur durch ihren Topos verlassen, sondern der filmische Prozess selbst zum Beziehungsaufbau mit dem gefilmten Subjekt, also Erde und Pflanzen werden kann. Und mehr noch, kann über diese neue formulierte »Asthetics of Care« eine Art der Dekolonialisierung gegenwärtiger Produktionsbedingungen vor allem im Dokumentarfilmbereich stattfinden, mit einem Ethos, das sich auch an die Arbeiten von Jean-Marie Straub anlehnt, indem er nicht die fertige Meinung ins Zentrum stellt, sondern die Suche danach.
Die abschließende Podiumsdiskussion wendete sich dann doch aber wieder ganz dem Menschen und seinen Dilemmata als Teil der Filmindustrie zu, die die Regisseurin Claire Denis (Meine schöne innere Sonne), der Festivalleiter Marek Hovorka (Ji.hlava International Documentary Film Festival) und die Filmkuratorin und Filmkritikerin Abby Sun nicht unterschiedlicher wahrnehmen könnten und von Claire Denis vielleicht am provokantesten abgelehnt wird, die nicht einmal die viel zu aufgeladene, missbrauchte Begrifflichkeit des »Care« für sich instrumentalisieren will – weil »Care« selbst schon ein gekaperters Wort sei – und eine Art Solitär für sich beansprucht, indem sie sagt: »I don’t care a shit about cinema, I live Cinema!«
Abbey wie auch Hovorka als Zulieferer der »zweiten Reihe« betonen hingegen die reformistische Kraft des Kinos und den immanenten Bildungsauftrag, der auch bedeutet, politisch zu arbeiten und zu kämpfen und eine Transparenz zu versuchen, von der auch Petra Palmer in ihren einleitenden Worten gesprochen hat und zu der auch die von Marhöfer formulierte »Asthethics of Care« gehören.
Auch wenn Denis von »Ästhetik« in diesem Kontext nichts wissen will, weil man jeder Ästhetik misstrauen muss und wie in Ozus Filmen »Care« nicht anders und besser zu bewerten sei als »Harm«, findet das Panel über diese Auseinandersetzung dann doch zu einem gemeinschaftlichen Statement. Denn Streit, Angriffe, also »Harm«, müssten vielleicht tatsächlich am Anfang jeder transparenten »Care« und eines neuen empathischen Miteinanders im Bereich des Kinos sein. Denn dass es ohne Kino trotz einer Welt, die aus den Fugen fällt, nicht geht, davon sind am Ende alle Beteiligten überzeugt. Am meisten sicherlich Claire Denis, für die das einsame Streamen in einsamen Betten nichts weiter als Masturbation ist und Länder ohne Kinos, die es ja inzwischen schon zur Genüge gibt, am Ende Länder ohne Health Care seien.
Doch wie jede Health Care ist auch die des Films nun einmal von »industriellen Faktoren« abhängig, also letztendlich vom Geld, das Hovorka wie alle anderen gerechter verteilt sehen will. Womit die Diskussion dann am Ende ganz bei Marx und seinen frühen Schriften ist: »Wenn Geld das Band ist, das mich ans menschliche Leben bindet, die Gesellschaft an mich bindet, ist Geld dann nicht das Band aller Bande? Kann es nicht alle Bande lösen und binden? Ist es daher nicht das universelle Mittel der Trennung?« Und das ist dann fast schon ein Segen.