03.02.2022
Cinema Moralia – Folge 265

Wer nicht mag, geht nicht hin

Berlinale 2022
Als Screener oder im Kino? François Ozons Berlinale-Eröffnungsfilm Peter von Kant
(Foto: Berlinale Presseservice)

Kinofestivals in Zeiten der Liebe zur Pandemie. Oder: Wie nicht nur Medienpartner der Berlinale das Festival beschädigen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 265. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Es gibt Genüsse, die von der Wieder­kehr leben. Das sind die ewigen Genüsse. Spargel zum Beispiel, den schon Juvenal bejubelte. Oder diese langen Abende auf West­ber­liner Balkons, an denen wir noch einmal WG spielen, diese alten Abende wieder holen, an denen sich westliche Schärfe mit östlichem Zeit­ge­fühl zu mischen lernten, im Schutze der Mauer und subven­ti­ons­ge­stützt: Das war nicht West­bin­dung, das war nicht Verostung, das war mensch­li­ches Maß. Und diese Gespräche auf West­ber­liner Balkons, in der mentalen Mitte zwischen Paris und Omsk, Kirsch­garten und schmut­zigen Händen, Habermas und Oblomov – die sind wie guter Spargel. ... Später erst bereden wir den Abfall Bran­den­burgs, die taz-Krise und die Globa­li­sie­rung. Jetzt wird es aber Zeit für die Kerzen, noch einmal zischt die Butter, aus der Wohnung kommt das B-Dur-Klavier­kon­zert, Andante, und bis zu den Erdbeeren ist es noch sehr weit.« – Matthias Greffrath

Nur für all die, die es noch nicht mitbe­kommen haben: Der Karrie­rist ist jetzt zum Gärtner gemacht worden. Björn Böhning (SPD), einst im Berliner Senat für Film zuständig und inhalt­lich komplett inkom­pe­tenter Manager der vorletzten Neube­set­zung des dffb-Direk­to­riums, zuletzt dann Staats­se­kretär im Finanz­mi­nis­te­rium unter Olaf Scholz, geht als Geschäfts­führer zur Produ­zen­ten­al­lianz. Nach bishe­riger Erfahrung kann der Mann auf dem Gebiet des Films nicht viel, aber er kann Karriere machen. Was Böhning auch gut kann: seine Inkom­pe­tenz bei öffent­li­chen Auftritten weglächeln.

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Dass wir hier noch mal die Berlinale in Schutz nehmen würden – wer hätte das gedacht? Corona sei Dank, uff!!

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Der »Extre­mismus der Mitte«, den Gesell­schafts­wis­sen­schaftler seit bald 30 Jahren zunehmend gerade unter Wohl­stands- und Bildungs­bür­gern konsta­tieren, hat neben poli­ti­schen auch kultu­relle Seiten. Und keiner sollte sich vorschnell über diese erhaben fühlen. Es ist ein Extre­mismus des Bieder­meier, eines neuen Bieder­meier. Ein Extre­mismus kultu­reller und sozialer Blasen, die den Reali­täts­bezug und Geschmacks­sinn durch ein gutes Gewissen ersetzen.

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Es ist eine solche, sich selbst für ganz harmlos und menschen­freund­lich haltende Haltung, die sich in diesen Tagen vor allem in Kreisen von insbe­son­dere Berliner Film­kri­ti­kern äußert.

»Wie im falschen Film« fühlte sich die für Film zustän­dige Redak­teurin von »Zeit-online« bereits am 19. Januar. In ihrem Text kommen­tierte sie die doch eigent­lich selbst­ver­s­tänd­liche Entschei­dung, ein inter­na­tio­nales Festival in Präsenz in Berliner Kinos statt­finden zu lassen, mit einem »Echt jetzt?«

Die Autorin schreibt »Die Qualität eines Films hängt nicht nur an seinem Abspielort.« Was ja niemand behauptet hat. Umgekehrt gibt sie dem Gedanken keinen Raum, dass die Qualität der persön­li­chen Film­erfah­rung nicht nur am Film hängen könnte, sondern auch an der Form, wie und mit wem dieser rezipiert wird.
Sie sehnt sich statt­dessen nach einem »digitalen Ausweich- oder Hybrid­kon­zept für den inter­na­tio­nalen Wett­be­werb oder die Galae­vents der Berlinale-Special-Reihe im Fried­rich­stadt­pa­last« und resümiert »Es klingt wie Hohn.«

Tatsäch­lich klingt dieser Text wie Hohn auf die von der Autorin ausgeübte Profes­sion. Da ist eine Frau Redak­teurin für Film, kann oder will aber offen­kundig nicht einmal ein Kino­film­fes­tival von einem Fern­seh­fes­tival unter­scheiden, oder einen im Kino auf Leinwand, womöglich sogar von analogem Film­ma­te­rial, proji­zierten Film von den digitalen Pixeln im Computer oder Fern­seh­bild­schirm. Oder die Vorfüh­rung vor einem Publikum, das aus lauter im dunklen Saal zusam­men­sit­zenden Fremden besteht, von dem Zustand als einsame Couch-Potato zuhaus. Oder die Festival-Erfahrung des leben­digen Austauschs zwischen fremden Zuschauern von dem neuesten Post auf einem sozialen Netzwerk.

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Ähnlich dann an diesem Dienstag. Da gibt es einen auch verschrift­lichten und daher nach­les­baren Kommentar einer freien Mitar­bei­terin beim RBB-Kultur­radio, der mit der markigen Schlag­zeile betitelt ist: »Sagt die Berlinale ab!« Ein bisschen klingen ihre weiteren Ausfüh­rungen erstmal so, als sei die Autorin traurig, dass sie sich nach zwei Jahren bequemem Home­of­fice, während denen die Verleiher sie mit Gratis-Streams belie­ferten, wieder mal ins Kino schleppen muss.

Dann aber wird der Ton schriller: »grob fahr­lässig ... Ein Schlag ins Gesicht derer, die sich die letzten zwei Jahre in Soli­da­rität geübt und an die Regeln gehalten haben« sei eine Präsenz­ber­li­nale. Und allen Ernstes wird von der Autorin behauptet, die Tatsache, dass es dazu kein paral­leles Onli­ne­an­gebot geben werde, sei »Reali­täts­ver­wei­ge­rung«. Als Jour­na­list auf die Berlinale zu gehen, sei »wie Russisch Roulette spielen«. »Zu spielen« müsste es heißen. Ist aber auch sachlich Quatsch.

Im Ernst: Welcher Realität verwei­gert sich denn hier die Berlinale? Der Realität einer Pandemie, die im Abklingen ist, bei der die Inten­siv­betten trotz Abbau der Betten­zahl längst nicht mehr über­laufen und in der Infek­ti­ons­zahlen nicht mehr aussa­ge­kräftig sind? Der Realität der inter­na­tio­nalen Film­pro­duk­tion und der Film­dis­tri­bu­tion? Oder einfach der Realität der Autorin, die ihr Haus nicht verlassen möchte oder die Online-Streams einfach bequemer findet?

Und wem schlägt das Festival ins Gesicht? All den Film­schaf­fenden, die danach dürsten, ihre Werke vor Publikum vorzu­führen, und all jenen profes­sio­nellen und nicht­pro­fes­sio­nellen Zuschauern, die den Besuch im Kino genießen und sich geimpft, geboos­tert, getestet und auf Abstand im Schach­brett­muster sitzend sicher und wohl­fühlen und sich dieses Gefühl nicht von Panik­ma­chern vermiesen lassen wollen – viel­leicht gerade nach zwei Jahren Pandemie?

Nein! Wenn ein Präsenz-Festival überhaupt »ein Schlag ins Gesicht« von irgendwem ist, dann viel­leicht ins Gesicht eben dieser Panik­ma­cher. Ein Schlag ins Gesicht all der Kino-Verächter, für die der Ort der Rezeption immer schon egal war, die das Kino und das Film­schauen mit Mitmen­schen nicht schätzen können.
Diese Panik­ma­cher dürfen gerne zu Hause bleiben und warten, bis der Film auf DVD rauskommt.

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Aber von der Kritik an den einzelnen Texten mal abgesehen, zunächst eine Beob­ach­tung: Der RBB ist Medi­en­partner der Berlinale, genauso der Holtz­brinck-Verlag, bei dem »Die Zeit« erscheint. Ausge­rechnet bei diesen Medi­en­part­nern erscheinen derartige Texte, die nicht etwa mit besseren oder schlech­teren Argu­menten das Programm kriti­sieren, sondern in denen sich Film­jour­na­listen als Pandemie-Experten aufspielen und den Komplett­stopp einer öffent­lich geför­derten Kultur­ver­an­stal­tung fordern. Man kann das gut finden und sagen, dies zeige doch, wie frei die deutsche Presse ist. Stimmt! Man kann aber auch resü­mieren: Die Medi­en­partner der Berlinale beschä­digen das Festival.

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Wäre es nur eine einzelne Stimme, oder zwei, könnte man sie igno­rie­rend übergehen. Was sich aber in diesen zwei öffent­li­chen Stimmen äußert, spiegelt eine gras­sie­rende grund­sätz­liche Haltung, die Haltung einer starke Minder­heit, womöglich schwei­genden Mehrheit unter den die Film­kritik flan­kie­renden Medi­en­jour­na­listen, die sich in persön­li­chen Gesprächen zu Wort melden, am Rande von Pres­se­vor­füh­rungen herum­grum­meln oder mit den Berli­na­le­mit­ar­bei­tern Debatten über Test­stra­te­gien und Sicher­heits­kon­zepte führen. Es ist das Juste-Milieu des deutschen Jour­na­lismus. Ein Milieu, das vor allem im eigenen Saft schwimmt und sich von der Welt da draußen ungern irri­tieren lässt, dieser Welt dann aber gern »die Welt wie sie eigent­lich ist« erklärt.

Was daran am meisten nervt, ist gar nicht mal der unselige Jammerton und die Beden­ken­trä­gerei. Es ist die dahin­ter­ste­hende absurde Anspruchs­hal­tung, die mit einer Verach­tung für das Kino einher­geht, und oft genug der Unfähig­keit, den Unter­schied zwischen Kino und Stream/Fernsehen überhaupt wahr­zu­nehmen.
Ich sehe überhaupt nicht, worauf Film­kri­tiker einen Anspruch begründen sollten, im Fall der von ihnen selbst aus welchen Gründen auch immer verant­wor­teten Absage eines Festi­val­be­suchs oder umgekehrt des Festivals selbst, einen Online-Zugang zu irgend­wel­chen Filmen zu bekommen.

Angeführt wird da gern die prekäre ökono­mi­sche Lage mancher Kritiker. Aber es gab auch »vor Corona« Menschen, die aus gesund­heit­li­chen oder ökono­mi­schen oder poli­ti­schen oder einfach persön­li­chen Gründen nicht nach Berlin reisen konnten. Obwohl es auch in solchen Fällen gute oft bessere Gründe gab, um so etwas zu bitten, hatten auch sie selbst­ver­s­tänd­lich keinen Anspruch auf Online-Besuch des Festivals – was immer das sein könnte.
Sondern es ist dann eben so. Pech, schade. Aber nicht zu ändern.

Die Forderung nach Streamer-Zugängen zu Film­fes­ti­vals, die jetzt aus Kriti­ker­kreisen zu hören ist, ist absurd. Ein Festival, das parallel oder komplett online statt­findet, entwertet die Kino­sich­tung und beschä­digt die Idee eines Festivals nach­haltig. Und damit auch zumindest meine Vorstel­lung von Film­kritik.

Denn so gern ich gute Streaming-Angebote sehe: Wenn Filme fürs Kino gemacht sind, sollten sie auch im Kino gesehen werden. Alle Formen von Online/Stream/Hybrid/Screener sind in diesem Fall nur Notlö­sungen.
Die Berlinale 2021 fand in einer völlig anderen Pandemie-Situation statt als die dies­jäh­rige. Die Kinos waren geschlossen. Der Lockdown war allgemein.
In dieser Situation war eine Online-Berlinale eine akzep­table Notlösung. Sie hat den betei­ligten Filmen trotzdem geschadet, und manche Filme, die in Pres­se­vor­füh­rungen im Kino gezeigt wurden, haben davon profi­tiert. Dies war aber die Option einer Ausnah­me­si­tua­tion.
Heute kann diese nicht wieder­holt werden, schon weil viele Rechte­inhaber aus guten Gründen einer Online-Berlinale gar nicht zustimmen würden.
Leider gibt es schon in der Praxis des Kino­all­tags viel zu viele Pres­se­screener, und Kollegen, die solche fordern, wenn sie es mal wieder »leider nicht ins Kino geschafft« haben. Viele Verleiher/Welt­ver­triebe/Agenturen stellen Jour­na­listen, die sie kennen, solche Screener übrigens natürlich längst auch vor der Berlinale zur Verfügung. Aber zur Regel sollte das nicht werden, auch nicht in der Pandemie, und es ist unsere Aufgabe als Film­kri­tiker, die sich und das Medium Kino ernst­nehmen, hier an ästhe­ti­schen Prin­zi­pien fest­zu­halten, die wir sonst doch auch gern einfor­dern.

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Das alles ist auch unsach­lich. Der Virologe Christian Drosten, lange der Heros aus dem »Team Vorsicht«, plädiert seit Wochen für vorsich­tige Locke­rungen und sieht, ähnlich wie seine Kollegen, das Ende der pande­mi­schen Lage in Sicht, Dänemark macht komplett auf und schafft auch alle Masken­z­wänge ab, England sowieso, in Spanien setzt man das Virus mit der Influenza gleich – nur das Berlin-Mitte-Deutsch­land hält dicht.

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Das alles kann einen wütend machen. Es macht vor allem traurig. Denn diese Kritiker beschä­digen sich vor allem selber. Sie ziehen sich den Boden unter den Füßen weg.

Nun bleibt es jedem unbe­nommen, keine Lust zu haben, auf die Berlinale zu gehen, und zu beschließen, persön­lich die Berlinale zu meiden. Die Frage ist bloß, wieso man den Rest der Gesell­schaft dazu zwingen muss, die eigene Haltung zu über­nehmen, und nicht das zu machen, was man selber offenbar nicht gerne machen würde.
Es ist mir komplett unver­s­tänd­lich, wieso immer wieder und immer noch in Deutsch­land Menschen glauben, dass alle sich so benehmen müssen wie sie selber und dass an ihrem Wesen die Welt genesen muss.

Man ist auch erstaunt über das Selbst­be­wusst­sein von Leuten, die es nicht anzu­fechten scheint, dass es ja so etwas wie wissen­schaft­lich abge­si­cherte Pandemie-Maßnahmen und Verhal­tens­emp­feh­lungen gibt, nach denen das Leben in Deutsch­land in den letzten zwei Jahren orga­ni­siert ist, egal ob die einzelnen Bürger nun jede Maßnahme verstehen oder akzep­tieren. Diese Maßnahmen gelten auch für die Berlinale. Genau genommen hat diese noch ein paar zusätz­liche Maßnahmen wie eine tägliche Test-Pflicht für alle Berlinale-Akkre­di­tierten einge­führt.
Natürlich ist das alles nicht genug, wenn man sich so absolut schützen möchte, dass man das Haus nur noch verlässt, um schnell im Super­markt die Dosen­ra­violi und das Klopapier einzu­kaufen. Bio versteht sich. Die löffelt man dann vor dem neuesten Netflix-Stream.
Das kann ja auch jeder tun. Wer nicht mag, geht nicht hin. Nur muss es den Rest der Welt nicht weiter angehen. Schon gar nicht die Berlinale.

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Mich nervt auch die tägliche Test­pflicht für Geboos­terte, von mir aus könnte man darauf und auf manches andere verzichten, und einfach ein Festival durch­führen. Jeder Kritiker wie jeder andere Gast nimmt an derar­tigen Veran­stal­tungen letztlich auf eigenes Risiko teil. Wir sind alle erwach­sene Menschen, die für uns selbst verant­wort­lich sind und entspre­chend handeln können.
Aber die Berlinale sieht es enger und verhält sich sehr deutsch, also über­vor­sichtig und »sicher­heits«-fixiert. Das macht den Alltag etwas unan­ge­nehmer, aber damit kann ich leben und finde, wir Film­kri­tiker können und sollten das aushalten.

Denn ein Festival, das hybrid oder gar nur digital statt­findet, findet quasi nicht statt. Ein Festival im Kino ist dagegen ein begrüßens­wertes Signal für das Medium Kino.

Im vergan­genen Jahr 2021 fand die Berlinale notge­drungen als soge­nanntes Hybrid-Festival statt. Das wurde von den gleichen Leuten, die die Berlinale jetzt dicht­ma­chen wollen, als »Sommer­mär­chen« gelobt – dabei war es eine traurige Veran­stal­tung, die weder online noch analog funk­tio­nierte und innerhalb der Branche hart kriti­siert wurde. Nicht öffent­lich, aber intern. Es gab schon im vergan­genen Herbst Gespräche mit Verleihen und Kino­be­trei­bern über die gemachten Erfah­rungen und poten­zi­ellen Verbes­se­rungen, bei denen sich die Berlinale-Leitung viel Kritik über ihr schlechtes (wenn auch von der Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters erzwun­genes) Krisen­ma­nage­ment anhören musste.
Jetzt hat die Berlinale-Leitung aus dieser Kritik gelernt und Konse­quenzen gezogen – und ausge­rechnet dafür werden sie jetzt von Kritikern ange­griffen, denen es nicht gemütlich und sicher genug zugeht.

Statt­dessen sollte das Bekenntnis der Berlinale zum Kulturort Kino als dem privi­le­gierten, besten und normalen Ort für das Ansehen eines für eben diesen Ort eigens herge­stellten Werks von Film­kri­ti­kern gefeiert und nicht kriti­siert werden.
Die Anstren­gung der Berlinale, überhaupt ein analoges Festival durch­zu­führen, muss man unbedingt unter­s­tützen.

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Langsam, ganz allmäh­lich darf man auch in Bezug aufs BKM die Samt­hand­schuhe ablegen und beginnen, sich auch öffent­lich ein Urteil über die neue Kultur­staats­mi­nis­terin zu bilden. Bisher hat man von ihr außer gut gelaunten und sehr allgemein formu­lierten Bekun­dungen zur Berlinale nichts zum Thema Film gehört. Dagegen ist erstmal nichts zu sagen – siehe oben –, aber es genügt natürlich nicht. Es gibt im Bereich der Filmkunst und -kultur ungemein viel zu tun. Mag im Fußball die Regel »Geld schießt keine Tore« auch eine schöne Mär sein, so trifft sie in der Kunst tatsäch­lich zu. Der beste Beweis dafür ist der Zustand des deutschen Kinos.
Die Finanz­spritzen unter Claudia Roths Vorgän­gerin Monika Grütters haben »nicht bewirkt, dass der deutsche Film in künst­le­ri­scher Hinsicht an Strahl­kraft gewonnen hat«, resümiert Ellen Wietstock in der aktuellen »black box« zutref­fend.

Im Koali­ti­ons­ver­trag der neuen Ampel­re­gie­rung steht zum Thema Film nicht viel. Aber immerhin ein Absatz, der aufhor­chen lässt und den Wietstock zitiert: »Mit der Film­för­de­rungs­no­velle wollen wir die Film­för­der­instru­mente des Bundes und die Rahmen­be­din­gungen des Film­marktes neu ordnen, verein­fa­chen und trans­pa­renter machen, in enger Abstim­mung mit der Film­branche und den Ländern. Wir prüfen die Einfüh­rung von Inves­ti­ti­ons­ver­pflich­tungen und steu­er­li­chen Anreize Modellen und schaffen gesetz­liche Rahmen­be­din­gungen, und die steu­er­liche Behand­lung von Film­pro­duk­tionen rechts­si­cher zu gestalten. Kinos und Festivals fördern wir verläss­lich und bewahren unser natio­nales Filmerbe.«
Wietstock skizziert die anste­henden Aufgaben, stellt richtige wichtige Fragen – zum Beispiel »Soll Trans­pa­renz bedeuten, dass die Förde­rungen und ihre Entschei­dung wenigs­tens einmal jährlich ihre Zusagen bzw Absagen bran­chen­öf­fent­lich reflek­tieren? ...dass die Rück­flüsse aus dem bedingt rück­zahl­baren Darlehen öffent­lich einsehbar sind?« – und möchte, so scheint es, opti­mis­tisch klingen, ohne letztlich ein Urteil zu wagen.

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Aufhor­chen muss man schon, weil in den zitierten Sätzen durch die doppelte Erwähnung des Wortes »steu­er­lich« tatsäch­lich neue Finan­zie­rungs­mo­delle in Aussicht gestellt werden. Noch mehr aber, weil hier tatsäch­lich von einer Neuord­nung die Rede ist. Schön wäre es ja!
Auch die Begriffe »Verein­fa­chung« und »Trans­pa­renz« bündeln eine Menge jener Forde­rungen, die in den letzten zwei, drei Jahren aus der Branche selbst, vor allem aus ihren unab­hän­gigen Teilen formu­liert werden. Aller­dings muss man erstmal abwarten, was von den schönen Worten dann an Taten übrig bleibt.
Wenn Claudia Roth tatsäch­lich die Film­för­de­rung für den deutschen Film neu ordnen möchte, dann muss das auch bedeuten, die alten einge­fah­renen Hier­ar­chien zu zerschlagen, und die Verfil­zung der Branche abzu­schaffen.

Das, was ein Cem Özdemir in Bereichen der Land­wirt­schaft vorhat und was Robert Habeck und sein Minis­te­rium für Wirt­schaft Energie und Klima anpacken will, das braucht auch der deutsche Film: ein neues Denken. Und Rück­sichts­lo­sig­keit gegenüber alten Seil­schaften und Lobby-Struk­turen. Wer fossile Brenn­stoffe komplett abschaffen und der Massen­tier­hal­tung den Krieg erklären will, der muss auch erkennen, dass Film­för­der­fos­si­lien und Massen­film­hal­tung nicht besser sind.
Und da ist man nach zwei Jahr­zehnten Beob­ach­tung der Film­branche doch sehr skeptisch gestimmt – und das nicht nur, weil die Grünen bisher keinen erkenn­baren Kultur- oder gar Film­be­griff hatten, der über Multi­kulti-Stadt­teil­feste und Minder­heiten-Förde­rungen hinaus­ging. Alle Erfahrung lehrt, dass eher klima­po­li­tisch das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird, als dass der deutsche Film wieder jene einstigen quali­ta­tiven Höhen aus der Zeit des Neuen Deutschen Films oder der Zwanziger Jahre erreicht und die Kinos den Publi­kums­zu­spruch haben, den heute die Franzosen haben.

Auch die deutsche Kino­land­schaft ist eher eine Dino­land­schaft.

(to be continued)