14.01.2021
Cinema Moralia – Folge 240

Die Ordnung in der Welt und das Chaos in der Ordnung

Zurück in die Zukunft
Mad Mind oder Genius Mind? Robert Zemeckis Zurück in die Zukunft
(Foto: Ralph Nelson, Universal, Veroeff | Amazon)

Schöne Genies: Wissenschaftler im Film – ein Streifzug ohne Virologen; Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 240. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»You won’t play, you're no fun
Well, I don’t care what they think
Drag racing my little red sports car
I’m not unhinged or unhappy, I’m just wild«
Lana Del Rey, Meta­phy­si­kerin

Die Corona Krise hat auch dies bewirkt: Wissen­schaftler sind in. Vor allem Virologen. Sie haben das Zeug zum Medi­en­star.
Christian Drosten, den berühm­testen Virologen Deutsch­lands, hält man tatsäch­lich für medi­en­scheu, obwohl der Mann einen eigenen Podcast hat und regel­mäßig auch in anderen Sendungen in Radio und Fernsehen zu Gast ist. Für manche taugt der gutaus­se­hende Drosten sogar zum Sexsymbol.
Der Erfolg von Drosten und seinen Kollegen hat auch etwas damit zu tun, dass die aller­meisten von ihnen so gar nicht den Klischees zu entspre­chen scheinen, in denen uns Medien und Künste norma­ler­weise die Wissen­schaftler präsen­tieren.
Höchste Zeit, einmal einen Blick darauf zu werfen, wie das Kino uns eigent­lich in den ersten 125 Jahren seines Bestehens Wissen­schaftler gezeigt hat.

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Wissen­schaftler im Kino – das sind selten Virologen. Beliebter sind andere: Wie Action-Star Russel Crowe in A Beautiful Mind, wo er gegen sein Action-Image als schi­zo­phrener Psycho­tiker und genialer Mathe­ma­tiker besetzt wird, dessen Krankheit gerade die Bedingung seines Genies ist – dass Genie und Wahnsinn einander bedingen, trifft auf viele Kino-Wissen­schaftler zu. Sie sind ein bisschen verrückt. Entweder putzig und kauzig, oder einfach Nerds. Wenn sie das alles nicht sind, dann sind sie gefähr­lich.
Dr. Jekyll und Professor Hyde – einer von beiden. Oder beide zusammen.

Eines jeden­falls ist klar: Wissen­schaftler im Kino sind schräg, anders, merk­würdig – nicht normal.

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Zunächst einmal kurz: Zurück in die Zukunft. Viele Zuschauer werden sich an Dr. Brown erinnern, den Albert-Einstein-Verschnitt mit Zeitreise-Fimmel, einen so genialen wie naiven, wie anstren­genden Wissen­schaftler.
In der Szene, in der er sich an die Erfindung des Flux­kom­pen­sa­tors erinnert – »der 5. November 1955 – ja, da passierte es! An dem Tag habe ich die Zeitreisen erfunden. Ich erinnere mich noch lebhaft: ich stand auf dem Klo, und wollte 'ne Uhr aufhängen. Der Becken­rand war nass, da rutschte ich ab, und schlug hart mit dem Kopf auf. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich eine Offen­ba­rung, eine Vision.« – in dieser Szene steckt auch schon das zweite, was uns das Kino in dem Zusam­men­hang auch gerne zeigt: Das Nach­denken und Brüten, mit dem Forscher tatsäch­lich zu ihren Ideen kommen, ist visuell nicht attraktiv. Es muss schon ein Zufall sei, eine kuriose Szene wie der Sturz vom Klodeckel.
Viel­leicht müssen wir alle ja auch nur mal hart mit dem Schädel aufschlagen, damit wir geniale Einfälle bekommen?

Ähnlich liebens­wert wie Brown ist Professor David Huxley, der von Cary Grant gespielte Saurier­for­scher in Howard Hawks' Komö­di­en­klas­siker Bringing Up Baby (Leoparden küßt man nicht)

Etwas schus­selig und etwas weltfremd – diese Mischung funk­tio­niert immer für Lein­wand­wis­sen­schaftler – offenbar auch, um dem Publikum etwas von der Angst zu nehmen, die es vor dem Genie, größeren Geist und der tieferen Einsicht der Menschen im Labor­kittel hat, die so oft recht haben, und auf die, nicht nur im Fall Drosten, sogar Politiker hören.
Darum stellen wir sie uns gern als Narren vor, Narren des Alltag, Kind geblieben und asexuell.

So wie Der verrückte Professor, den Jerry Lewis 1963 auf die Leinwand brachte: Der trot­te­lige Chemie-Professor Julius Kelp, der mit seinen Expe­ri­menten regel­mäßig den Univer­si­täts­campus in die Luft sprengt.

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Von Wissen­schaft­lern erwartet man, dass sie Ordnung in die Welt bringen – auf der Leinwand jedoch bringen sie zunächst einmal Chaos in die Ordnung, und vergessen das Nahe­lie­gende, Alltäg­liche.

Wissen­schaftler im Kino muss jeden­falls nicht so öde sein wie im letzten George-Clooney-Netflix-Schmarrn aka Film Midnight Sky, wo der alternde Star mit Hipster-Vollbart als Kosmologe und letzter Mensch auf Erden nach einer globalen Kata­strophe ausge­rechnet auf dem Nordpol ausharrt und sich seine Tochter als Gefährtin imagi­niert. Tatsäch­lich sitzt diese im Raum­schiff im All und muss als zweite Eva die Mensch­heit neu gründen.

Nie war George Clooney näher dran an Gott – nie aller­dings auch am Überdruss des Publikums.

Mindes­tens Halbgott in Weiß war Robert Koch – nicht in »Schmarité«, sondern dann bitte richtig im Nazi-Schinken »Robert Koch – Bekämpfer des Todes«.

Die ernstere, boshaf­tere, abgrün­di­gere Variante solcher Figuren spielte keiner je besser und schöner als Peter Sellers in Stanley Kubricks Dr. Stran­gelove. Ein »Mad Scientist«, ein verrückter Wissen­schaftler par excel­lence als Regie­rungs­be­rater: »That won’t be difficult mein Führer! Äh I am sorry: Mr. President....«

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Richtig seriöse Wissen­schaftler-Figuren sind im Kino eher die Ausnahme: Einer der tollsten Auftritte ist der von Mont­go­mery Clift als Sigmund Freud, der in John Hustons Filmdrama Freud nach Drehbuch von Jean-Paul Sartre das Unter­be­wusste entdeckt.

So wie in diesem Fall, so steht oft hinter oder neben dem klugen Mann auch eine starke, kluge Frau. Dass Frauen aber selbst als Wissen­schaft­le­rinnen zu sehen sind, ist dagegen überaus selten. Die Physi­kerin Marie Curie kam gerade zwar erst auf die Leinwand, in Marjane Satrapis Marie Curie – Elemente des Lebens, gespielt von einer tollen Rosamund Pike. Sie erscheint hier aber als schroff und stur, und wahr­schein­lich geht das auch nicht anders, will man nicht umgekehrt in die Honig­falle falscher Romantik tappen.

Wissen­schaft­le­rinnen im Kino sind entweder beflissen oder Karikatur, oder sogar beides. So wie Diane Krüger, die im Film Das Vermächtnis der Tempel­ritter eine Archäo­login spielt, die auf der Rückseite der ameri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keits­er­klärung eine Botschaft entdeckt, die in Geheim­tinte geschrieben wurde – ein unfrei­willig komischer Verschwörungs­thriller im Groschen­heft-Format.
Und dann ist da noch Eva Pflug als Leutnant Tamara Jagel­l­ovsk vom Galak­ti­schen Sicher­heits­dienst in dem zum Mythos gewor­denen deutschen Science-Fiction Raum­pa­trouille Orion.

Kino-Wissen­schaft­le­rinnen sind also vor allem Fiktion: Science-Fiction. Das gilt auch für die berühm­teste von allen: Sigourney Weaver als Ellen Ripley in den Alien-Filmen – vergessen wir nicht, dass auch Ripley zunächst einmal eine Wissen­schaft­lerin ist, die dann bald die Quali­täten eines weib­li­chen Termi­nator erlernt. Notge­drungen wird sie zu einer Wissen­schaft­lerin des Tötens.

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Solche Wissen­schaftler handeln mit einer immer knapper werdenden Währung, deren Stabi­lität gerade während der 2020er-Pandemie in viel­fa­cher Hinsicht erschüt­tert wurde: Vertrauen. Ihr Schwinden, die Skepsis gegenüber Auto­ri­täten, Ordnungs­hü­tern, Macht­ha­bern ist der heimliche Text des Wissen­schafts­themas.

Es ist nicht neu, hat mit Coro­na­leug­nern nichts zu tun und stammt aus jenen guten alte Zeiten, als man bei Wort »Quer­denker« noch an Peter Glotz und Heiner Geißler dachte, die beiden lagerü­ber­schrei­tenden Gene­ral­se­kre­täre von SPD und CDU.
Dr. Kimble war zwar in der zum Kinofilm gewor­denen Serie immer »Auf der Flucht«, er war eines Kapi­tal­ver­bre­chens angeklagt, und redete wie ein Verschwörungs­theo­re­tiker (»Sie sind hinter mir her« – »wer sind 'sie'?«), aber das war im Kalten Krieg, als man Paranoia noch glaubte und nicht öffent­lich für verrückt erklärte, und er war Arzt.
Wem kann man im Film noch vertrauen? Bevor Christian Drosten in Mission Impos­sible 2021 die Haupt­rolle spielt und die Reihe übernimmt? Vorschläge erbeten.

(to be continued)