04.09.2023

Schlimmer geht’s immer

Zukunft der Berlinale

Carlo Chatrian ist kein perfekter Berlinale-Chef gewesen, aber den jetzigen Umgang mit ihm hat er nicht verdient – die Berlinale, die stillose Kulturstaatsministerin und eine gelähmte deutsche Kulturpolitik

Von Rüdiger Suchsland

»Ich dachte, dass Konti­nuität gewähr­leistet werden könnte, wenn ich weiterhin Teil des Festivals bliebe, aber in der neuen Struktur, so wie sie nun vorge­stellt wurde, ist ganz klar, dass die Bedin­gungen für mich, als künst­le­ri­scher Leiter weiter­zu­ma­chen, nicht mehr gegeben sind.«
– Carlo Chatrian am 02.09.23

Zur Berlinale fällt einem schon lange nichts mehr ein. Aber dafür fällt der Berlinale immer wieder irgend­etwas Neues ein, um noch schlechter dazu­stehen als zuvor.

Der neueste Streich, wie absicht­lich mitten ins Festival von Venedig gelegt, ist die öffent­lich verkün­dete, angeblich auf vielen Gesprächen mit Unge­nannten basie­rende »Umstruk­tu­rie­rung« der Berlinale und der öffent­liche Umgang mit dem schei­denden künst­le­ri­schen Leiter.

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Carlo Chatrian ist ein feiner Mensch. Zurück­hal­tend, vergleichs­weise bescheiden, kein Mann der großen Gesten, auch keiner, der gerne auf die Pauke haut, oder mit Macht und Tricks seine Inter­essen durch­setzt. Auch ist er keine Rampensau, der gerne den großen öffent­li­chen Auftritt hat und sich wohlfühlt, wenn er vor großen Massen redet. Viel­leicht war er auch deswegen keines­wegs der ideale Direktor für ein A-Festival. Denn dort ist es manchmal nötig, mit härteren Bandagen zu kämpfen und genau diese genannten Eigen­schaften an den Tag zu legen. Und es ist für den öffent­li­chen Auftritt auch manchmal nötig, diesen Auftritt zu genießen und entspre­chendes Charisma zu entfalten, entspre­chende Massen­wir­kung. Man muss Zirkus­di­rektor sein (wollen).

Dieter Kosslick konnte das perfekt. Darum war er viel­leicht kein guter, aber ein sehr effi­zi­enter und in gewissem Sinn erfolg­rei­cher Berlinale-Leiter. Und vor allem darum hat er sich fast 20 Jahre auf diesem Posten gehalten.

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In den letzten Jahren, den meisten der Ära Kosslick und auch in den letzten vier Jahren, die von Carlo Chatrian und Mariette Rissen­beek geleitet wurden, habe ich viel an der Berlinale zu kriti­sieren gehabt. Ich habe kaum etwas davon zurück­zu­nehmen, im Gegenteil bestätigt eigent­lich alles, was in den letzten 20 Jahren passiert ist und auch in den letzten vier Jahren, all das, was ich schon vor 15 Jahren geschrieben habe. Ich gehöre auch nicht zu den Leuten, die alles guthießen, die alle kura­to­ri­schen Entschei­dungen von Chatrian über­zeu­gend fanden oder seine Entschei­dungen für die Struktur der Berlinale und für bestimmte Perso­na­lien. Ganz im Gegenteil! Es gibt daran eine Menge auszu­setzen.

Es geht nicht darum, dass die Minis­terin nicht das Recht hätte einen Vertrag nicht zu verlän­gern. Worum es aber sehr wohl geht, das ist der Stil des Hauses BKM.

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Das Ganze ist vor allem ein weiterer Beleg dafür, wie nach­haltig Dieter Kosslick die Berlinale beschä­digt hat. Denn die Probleme der Berlinale sind ja nicht vor vier Jahren vom Himmel gefallen. Es sind Kosslicks Altlasten. Die beiden neuen Leiter als Doppel­spitze schienen insbe­son­dere struk­tu­rell eine gute Lösung zu sein, um den von Kosslick hinter­las­senen Augi­as­stall aufzu­räumen. Im Ergebnis ist die Berlinale aber jetzt noch chao­ti­scher, noch schlechter, noch margi­naler, als sie vorher war.

Was am jetzigen Zustand mit am Schlimmsten ist, ist die Tatsache, das die nicht so kleine Gruppe der funda­men­ta­lis­ti­schen Kosslick-Anhänger, insbe­son­dere in der West-Berliner Lokal­presse, also der »Berliner Morgen­post«, dem »Tages­spiegel«, dem »rbb«, dass die alle sich jetzt auch noch ein bisschen im Recht fühlen können und argu­men­tieren können: »Wir haben es ja immer gesagt, keiner kann es so gut wie Dieter.«
Das ist natürlich Bullshit! Keiner kann es so schlecht wie Dieter, das beweist der Vergleich mit Cannes oder mit Venedig, das jetzt gerade wieder statt­findet.

Carlo Chatrian und Mariette Rissen­beek waren im Wesent­li­chen die Konkurs­ver­walter, genau gesagt dieje­nigen, die den ästhe­ti­schen und kultur­po­li­ti­schen Bankrott der Berlinale aufhalten sollten – und die durch ihre poli­ti­schen Entschei­dungen komplett enttäuscht haben, nicht mal ernst­hafte Versuche unter­nommen haben, um das zu leisten.

Sie sind feige gewesen, sie hätten von Anfang an viel mehr und deut­li­cher verändern müssen.
Sie sind kommu­ni­kativ Total­aus­fälle gewesen.
Sie haben falsch program­miert.
Und dass jeder wusste, dass sie beide nicht erste Wahl waren, hat ihre Position zusätz­lich geschwächt.

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Zu recht wurde darum von vielen Verbänden, auch vom »Verband der deutschen Film­kritik« (VdFk), eine neue Struktur gefordert und ein Ende dieser Art von Doppel­spitze.

An Venedig sieht man, wie man es machen kann und machen muss: Direktor Barbera macht alles, ihm redet kein Präsident rein.
Ein Intendant muss sich aber gute Berater suchen und darf nicht glauben, er könne alles selber und alleine. Und er muss auch auf die hören.

Die Minis­terin hat selbst genau dieses Problem: Sie glaubt, sie könne alles selber. Aber Claudia Roth hat nur die Kraft zu zerstören, nicht aber neue Struk­turen zu schaffen. Sie verschleppt ihre Aufgaben, ist ungeliebt in der Film­branche wie in weiten Teilen ihrer eigenen Partei. Manche Zungen in Berlin flüstern, der letzte Film, den sie gesehen habe, sei der von ihr gern erwähnte Panzer­kreuzer Potemkin gewesen – bei der Urauf­füh­rung.

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Zugleich hat Claudia Roth noch nie besonders guten Stil gehabt, und sich in der Art und Weise ihres Vorgehens hier einmal mehr unter­boten. Neben wider­sprüch­li­chen Aussagen und Irre­füh­rung der Betei­ligten stört mich vor allem Roths Feigheit, nicht dazu zu stehen, dass sie Chatrian raus­werfen wollte, sondern alles zu verflos­keln und zu verklau­su­lieren, dass er, wollte er nicht würdelos dastehen, gezwungen war, selbst den Schnitt durchs Tischtuch zu machen.

Nun stellen sich neue, wichtige Fragen: Was heißt Intendanz? Wer wird die Intendanz? Wer sitzt in der Findungs­kom­mis­sion? Traut such das BKM zu einer öffent­li­chen Ausschrei­bung? Es besteht die Gefahr, dass Roth die Berlinale mit einem weiteren Fehlgriff zerlegt.

Wer könnte es werden? Leider viele schlechte Lösungen. Drei gute, leider unwahr­schein­liche wären: Ex-Locarno und Quinzaine-Chef Olivier Père. Vanja Kalud­jercic, die Chefin von Rotterdam. Und Sebastian Höglinger, einer der zwei bishe­rigen Diagonale-Leiter (sein Co-Direktor Peter Schern­huber), hat vermut­lich jetzt einen zu guten Job.

Wer immer es wird, muss aber wissen: Es gibt so viele Baustellen, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll.

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Schließ­lich: es nervt echt total. Nicht nur mit Deutschen und mit Öster­rei­chern sondern auch in Gesprächen mit Auslän­dern selbst aus anderen Konti­nenten, aus Asien oder aus Amerika ist die Berlinale ein Dauer­thema, selbst ihnen muss man erklären, was da los ist, und warum sich eine deutsche Minis­terin derart stillos an einem bis vor kurzem gewollten und verdienten Festi­val­leiter vergeht.