16.02.2023

Content versus Film

Container
Domink Graf
(Foto: Caroline Link)

Film ist geformte Erzählung und flüssige Form; nicht Look sondern Ästhetik – Ein Statement von Dominik Graf

Von Dominik Graf

Eins der folgen­reichsten Wider­spruchs-Paare im konkreten Filme­ma­chen des Moments ist: auf der einen Seite im Business der soge­nannte »Content«, so wie ihn die zustän­digen Branchen-Tagungen verstehen, wenn sie den Begriff in ihren Ankün­di­gungen im Munde führen. Content – englisch einfach nur »Inhalt«, neudeutsch inzwi­schen auch »Medi­en­in­halt« – beschreibt eine Perspek­tive auf den Film, die den Film selbst nun ganz und gar nicht meint, sondern sie meint das, was zum User »delivered« werden soll. Der »Selling-Point«, der »Pitch«, der »Plot«, die »Story«, auch das »Setting«, was weiß ich, die konstru­ierte Figuren-Konstel­la­tion, der Look, das Feeling, die Mood, das Casting und im portio­nierten Seri­en­format dann letztlich auch sowas wie den Cliff­hanger. Kurz das Große, Ganze eines rundum gestylten Plans, an den sich die Regisseur:Innen dann vertrag­lich halten müssen.

Content ist eine tote Konzept­masse, mit der man den Geldgeber:Innen und später den Zuschauern impo­nieren kann. Eine Kiste mit Aufschrift, die zumeist auf einen segmen­tierten Markt zielt, Fernsehen oder Kino ganz egal, nach Video-Schub­laden geordnet, weit über die klas­si­schen Genres hinaus säuber­lich in Inter­es­sen­ge­biete getrennt.

Was da nicht passgenau hinein stimmt, das wird dann zu Arthaus. Aber auch das Arthaus ist leider inzwi­schen ein inter­na­tional verbun­denes Genre, quali­tativ vermeint­lich über dem eigent­li­chen tradi­tio­nellen kommer­zi­ellen Kinofilm schwebend, mit sehr viel Selbst­bezug, viel gesuchter Origi­na­lität, die aber oft nur wenige inter­es­siert.

Wie man beispiels­weise an der Berlinale vor zwei Jahren sehen konnte, als Pandemie-bedingt – so wurde es jeden­falls behauptet – die Jury nur aus ein paar zu Hause sitzenden Arthaus-Regisseur:Innen bestand, die dann folge­richtig auch einen osteu­ropäi­schen Arthaus­film als »Golden Bear« wählten. Das heißt, sie wählten ihr eigenes Geschäfts­mo­dell. Man kann im Urteil über solche Abläufe auch ruhig noch etwas böser werden, finde ich.

Auch Arthaus dege­ne­riert sich so selbst zu Billig-Content-Konzepten, Ramsch-Regal. Aber lassen wir das Arthaus, bleiben wir beim Kern-Konflikt.

»Film« ist eine lebendige Struktur, deren Detail sich erst während der Arbeit ergibt

»Film« – als Gegensatz zum »Content« – Film, so wie ich ihn im Kino und auch oft im Fernsehen erlebt habe und heute noch verstehe – will und ist etwas ganz anderes. Film ist nicht Inhalt-Transfer sondern geformte Erzählung. Nicht Look sondern Ästhetik.

Ich sehe das, was ich mit Film meine, als eine flüssige Form an..., als eine Vertei­di­gungs­bas­tion des konkreten szeni­schen Details und des Uner­war­teten. Sozusagen auf der Jagd nach den Momenten, den immer flüch­tigen Wild­tieren des Kinos, nach den Szenen, die einen verun­si­chern, und eben deshalb sich der Welt neu versi­chern können. Hier geht’s immer mehr ums »Wie« als ums »Was«.

»Film« in diesem Sinn ist nicht auf Publi­kums­be­fra­gungen zuge­schlif­fener Trend. Im »Film« ist das Drehbuch ein Entwurf, eine Guideline für die Regie, jederzeit vari­ierbar, slalom­artig um-spielbar. Der Film ist eine lebendige Struktur, aber eben auch nur, wenn das Detail glänzt, glitzert, faszi­niert, über­rascht – nur dann lebt am Ende viel­leicht auch das Ganze. Gerade wenn das Detail sich erst während der Arbeit ergibt – und oft nirgendwo genau so aufge­schrieben stand.

Content erkennt man auch an einer grausigen Art der deutsch­spra­chigen Schau­spie­lerei, die ich als Script­ac­ting bezeichnen würde, an mise­ra­blen Standard-Dialogen, weil sie eben alle nur am Inhalt der Szenen kleben. Die Schau­spie­lerin Marie Lou Sellem hat bei einer Studen­tenü­bung in Ludwigs­burg mal 20 deutsche Standard-Dreh­buchsätze hinter­ein­ander losge­lassen, à la »Ich glaube, wir sollten mal mitein­ander reden«.

Nur Pflicht-Sätze für Schau­spieler, keinerlei Kür ist gestattet. Keinerlei Form der Sprache. Wie reden denn die Menschen? Na, jeden­falls reden sie nicht so wie die Schau­spieler. Man sieht: Die Verpa­ckungs-Sprache infiziert den Gegen­stand.

Es gab mal Hoffnung in die Populär­kultur. Denn inno­va­tiver Film ist eben nicht, das sei hier deutlich gesagt, per se immer nur »Film-Kunst«. Um Gottes willen, das bildet sich das Arthaus-Kino nur ein, dass sie die stets Progres­sivsten im Stall sind. Im Gegenteil: Es geht auch um eine Art von Film, der durchaus kunstlos sein kann, aber unter­haltsam und für ein größeres Publikum beein­dru­ckend. Sagen wir’s mit Cocteau abge­wan­delt: kommer­zi­elle Filme wie ich sie hier meine, »dürfen keine Kunst sein wollen. Aber das darf ihnen nicht gelingen.«

Grund­sätz­lich gilt nun heute, dass der filmische Kommerz immer dümmer wird – und der Arthaus-Bereich immer dünn­sup­piger, immer arthau­siger sozusagen… Fatale Entwick­lung. Und die Midcul­ture im Kino bricht komplett weg, bezie­hungs­weise sie wird dem Arthaus zuge­schlagen. Fran­zö­si­sche Schnulzen über Lavendel anbauende Jüngling:Innen werden inzwi­schen der Filmkunst zuge­rechnet.

Plan­or­gien: Endlos gewordene konzep­tio­nelle Dreh­buch­de­batten

So, jetzt mal praxisnah: Wenn es ein ganz prag­ma­ti­sches Symptom gibt, das die Gefähr­lich­keit dieser Plan­or­gien-Entwick­lungen und Wider­sprüche spiegelt, dann zeigt sich dies allem voran an den endlos gewor­denen konzep­tio­nellen Dreh­buch­de­batten in der Branche. Jedes Buch geht in 17 Fassungen, wird um- und umgedreht, und vor allem: jeder Funk­ti­onär (ich verwende hier das gene­ri­sche Maskulin!!) aus der 3. Reihe darf auch zur 17. Fassung nochmal seinen Senf geben. Viel zu viele Mitredner wetzen an jeder Figuren-Charak­te­ri­sie­rung oder Story-Wendung oder auch mal Einzel­szene oder Dialog ihr Messer, um zu schlachten, was nicht in ihrem Sinn des Verkauf­baren ist, was nicht vorher­sehbar ist, und um all das zu verhin­dern, wo sich Unbe­re­chen­bares plötzlich Bahn bricht und den Zuschauer verwirren, verstören, abstoßen könnte. Dafür gibt es einen Aparat­schik-Begriff, der freudig Anwendung findet, überall da, wo ein Augen­blick eben nicht sofort den nächsten Augen­blick erkennen lässt: »Da war ich lost.«

Die Entscheider:Innen der Branche, die sich selbst so bezeichnen, sehen in jedem Umweg eines Films eine bösartige absicht­liche Desori­en­tie­rung.

Ein Produzent rief vor ein paar Jahren einer »Kontrakt 18«-Autor:Innen-Versamm­lung zu: »Für ein sehr gutes Drehbuch reicht auch ein mittel­mäßiger Regisseur.« Laut »Süddeut­sche Zeitung« folgte tosender Beifall. (Schließt sich natürlich sofort die Frage an, was ist ein sehr gutes Drehbuch? Die sinnlos unter­schied­li­chen Posi­tionen hierzu müsste man auch mal durch­de­kli­nieren.) Ersicht­lich wird, worum es allen eigent­lich geht: um Macht über das Erzeugnis. Leider inzwi­schen auch bei Autor:Innen, die alle Showrunner werden wollen. Macht und Kontrolle über das Produkt.

Der Dreh­buch­autor William Goldman schrieb seinen berühm­testen Satz übers Dreh­buch­schreiben und Projekte-Basteln 1983: »Nobody knows anything.« Ist in Verges­sen­heit geraten.

Aber. Die prak­ti­sche und für uns alle – auch für die Content-Anwälte selbst – verhee­rendste Folge der Viel­stim­mig­keit im Dreh­buch­pro­zess ist: die Bücher – also die wirklich letzte Dreh-Ausgabe der Dreh­bücher – werden meistens viel zu knapp vor Drehstart fertig. Häufig wird heute in deutschen Dreh­büchern auch noch während des Drehs umge­schrieben, und zwar nicht etwa vom Regisseur, der sich das ganze ja wie einen Elfmeter zurecht­legen muss – sondern: vom Funk­ti­onärs­kol­lektiv verlangt soll Dreh­buch­autor:In noch eine Runde drehen, weil irgendein/e Producer:in, Entscheider:in, der/die – was weiß ich in einem Sabatical war oder wo auch immer kurz­fristig verschollen, nun jedoch – zurück­ge­kehrt ist und unbedingt nochmal ihren/seinen schlechten Drama­tur­gie­ge­schmack im Film abge­bildet haben möchte... Das kostet alles enorm viel Zeit und kostet vor allem auch Geld. Offenbar haben wir das, ja? In diesem Fall habe ich häufig auch mal Mitleid mit Produzent:Innen, die ja gegen diese syste­mi­schen »Entscheider« gar nicht rebel­lieren dürfen und die die Zeche jedes Mal neu zusam­men­rechnen müssen, die auf sie zukommen wird. Es ist ein kleines Alt-Hollywood, was hier bei uns teilweise gespielt wird, nur nicht mit einem Tycoon hinterm Schreib­tisch, der meint, bestimmen zu müssen, sondern mit 17 meinungs­starken Nichts­wisser:Innen.

Befreien wir also bitte schnell den Film wieder von den Content und Packages-Tendenzen und von Menta­li­täten, die bewirken – wie Klaus Lemke es einst formu­lierte –, dass wir, die Regis­seure (hier kurz wieder gene­ri­sches Maskulin) zu »soft skill Kastraten« mutieren – und dass aus Produ­zenten »Verede­lungs­jun­kies« werden. Content-Denken und vor allem – ja – Content-Handeln greift in seiner hemmungs­losen Banalität den Kern des Filmi­schen an, es entwertet das Medium selbst.

Sie können es überall sehen: Produk­tionen, die primär dem program­miert Content­haften unter­worfen sind, werden auto­ma­tisch zügig zu Schrott­ware. Gerade in den Wieder­ho­lungs­or­gien des Fern­se­hens lässt sich diese Entwick­lung exem­pla­risch beob­achten. Je mehr Planungs-Diktatur und Verkaufs-ideo­lo­gi­sche Hybris in den deutschen Filmen stecken, umso schneller wirken sie uralt.

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Der Text war zuerst Keynote für das 20. Akademie-Gespräch der Akademie der Künste, Berlin. Die Veran­stal­tung fand am 13.02.2023 statt
Veröf­fent­li­chung mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Akademie der Künste Berlin

20. Akademie-Gespräch: Content versus Film
»Was macht gute Filme aus? Wann entstand und woher kommt die Haltung, den Content eines Films über seine ästhe­ti­sche Form zu stellen? Wo bleibt die Wert­schät­zung für Filmkunst als eine Kompo­si­tion von Bildern, Farben, Klängen?«
Jeanine Meerapfel und Dominik Graf sprachen mit Thomas Heise, Nicolette Krebitz und Carolin Schmitz über das Wesen des Kinos, über das, was Filme einzig­artig macht.