26.11.2020

Willkommen in der Realität

Und morgen die ganze Welt
Einer der letzten Filme vor der erneuten, corona-bedingten Schließung der Kinos – Und morgen die ganze Welt
(Foto: Alamode)

Warum die temporäre Kino-Schließung wichtig ist und der Start einer Diskussion um das neue bayerische Hochschulgesetz erst recht

Von Nora Moschuering

Ich weiß nicht, ob die Schließung der Kinos nötig ist, ob sie sinnvoll ist, oder nicht. Die Kinos, die ich besucht habe, haben alles versucht, um einen Besuch in ihnen so sicher wie möglich zu machen. Alles war ange­messen entspannt, weit gesetzt und alle trugen Masken. Trotzdem verstehe ich, warum man sie schließt und auch die Theater, Museen und anderen Kultur- und Veran­stal­tungs­orte.

Es ist für mich keine »staatlich verord­nete, corona-bedingte Schließung der Kultur«. Die Kultur ist nicht geschlossen, sie hat bestimmte Orte temporär verloren, ja, und das ist ziemlich schlimm und einige werden viel­leicht nicht wieder öffnen. Aber es gibt Bücher, Zeitungen, Streams, Podcasts, Festivals im Internet – die wir hier bespre­chen. Die Kultur und Kunst verlagert sich gerade in andere Räume und viel­leicht auch, um hinterher zu wissen: Das ging gar nicht.

Eine Art Lobby­ismus für Kinos und Kinofilme zu betreiben, ist wichtig und richtig. Ich habe selbst 12 Jahre in Kinos gear­beitet in Teilzeit. Um mir mein Studium zu finan­zieren, aber das auch immer ganz bewusst an diesem Ort, weil es das Schönste ist, Menschen etwas zu geben, worauf sie sich freuen, worauf sie neugierig sind, es wichtig ist, mit ihnen davor oder im Anschluss darüber zu sprechen, ja näch­te­weise dort abzu­hängen. Mein Leben war und ist durch das Kino als Ort – und eben nicht »nur« die Filme – auf so viele Arten erweitert und berei­chert worden. Dabei ging es natürlich um den Film, den Inhalt, die Größe der Leinwand, den Ton, aber auch um das Kino als Ort des Austau­sches, des Diskurses, der Gemein­schaft, der Öffent­lich­keit. Ich habe außerdem meine Abschluss­ar­beit übers Kino geschrieben und die Folgen der Digi­ta­li­sie­rung für die gesamte Produk­tions- und Distri­bu­ti­ons­kette eines Filmes. Es hängen viele Arbeits­plätze an einem Film.

Trotzdem ist es für mich kein »Kultur-Verbot« und keine »Reali­täts­ver­wei­ge­rung«, wie es Rüdiger Suchsland auf artechock vor einem Monat formu­liert hat. Die Realität ist diffus. Wo stecken sich die Menschen an und wie? Passiert es im Kino oder auf dem Weg dahin? Das ist alles nicht eindeutig, und man hat beschlossen, dass das Risiko ,z.B. die Schulen offen zu halten, einge­gangen wird, damit die Bildung weiter­läuft, aber sicher auch, um Kindern und Jugend­li­chen, aber auch ihren arbei­tenden Eltern einen Alltag zu ermö­g­li­chen. Bei der Schließung bestimmter Insti­tu­tionen und auch der Kinos geht es auch um Risi­ko­mi­ni­mie­rung, darum, Gruppen von Menschen zu verhin­dern, die sich schon beim Fahren zum Kino in U- oder S-Bahnen treffen, in Foyers, auf den Toiletten. Risi­ko­mi­ni­mie­rung mit räum­li­cher Entzer­rung. Ob man die Menschen damit tatsäch­lich ins Private treibt, ist erst mal nicht sicher, ist eine Behaup­tung. Wahr­schein­lich geht es neben der Risi­ko­mi­ni­mie­rung und Entzer­rung eben auch darum, wieder ein Bewusst­sein dafür zu erzeugen, vorsichtig zu sein. Extrem frag­würdig ist für mich das Offen­halten von Läden und Einkaufs­zen­tren (und ich meine nicht Lebens­mit­tel­läden), weil man hier natürlich doch sieht, was für wichtig erachtet wird.

Vorfreude auf die Kino-Öffnung und Verständnis für die Schließung!

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Was für mich besorg­nis­er­re­gend ist und auch länger­fristig einen starken Einfluss auf Kunst und Kultur und damit auch auf das Kino haben könnte, ist die von Markus Söder lancierte baye­ri­sche Hoch­schul­re­form. Bisher wurde lediglich ein Eckpunk­te­pa­pier dazu veröf­fent­licht. Allein der Zeitpunkt, die Geschwin­dig­keit und die Wortwahl irri­tieren, und wenn man sich einliest, auch noch vieles mehr. Konzi­piert ist das Ganze am Leitbild größt­mö­g­li­cher Freiheit, womit die Eigen­ver­ant­wor­tung und der Exzel­lenz­ge­danke gestärkt und weiter voran­ge­bracht werden soll. Diese Begriffe werden gestreut, als wären sie per se positive Begriffe und nicht auch frag­wür­dige. Der gesamte Text beschreibt »unter­neh­me­ri­sche« Hoch­schulen. Hoch­schulen, in denen die Macht an der Spitze gebündelt wird und Gremi­en­ar­beit nicht vorkommen muss. Eine Durch­ö­ko­no­mi­sie­rung der Hoch­schulen, mit allem, was dazu gehört: Dritt­mittel, Fund­rai­sing & schwam­mige Findungs­ver­fahren. Es scheint, als wird hier der alte Neoli­be­ra­lismus neu aufge­brüht und als was frisch Erdachtes verkauft.

Was wird aus den kleineren, nicht monetär-gewinn­brin­genden, oder doch zumindest pres­ti­ge­be­haf­teten Fächern? Wie bleibt die Freiheit der Wissen­schaft erhalten? Wie misst sich Erfolg? Was ist mit dem stei­genden Einfluss von Privat­un­ter­nehmen? Der Konkur­renz nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Hoch­schulen? Ganz zu schweigen die Frage, warum ein demo­kra­ti­scher Staat ausge­rechnet seine Bildungs­ein­rich­tungen einem ganz anderen System aussetzen sollte. Ich zahle übrigens auch gerne Steuern für gute und unab­hän­gige Bildungs­ein­rich­tungen.

Natürlich sollte es eine Hoch­schul­re­form geben. Es gibt etliche Baustellen, an denen man arbeiten könnte, die Verbes­se­rung der Arbeits­be­din­gungen, Aufstiegs­chancen, Beru­fungs­ver­fahren, Grün­dungen aus Hoch­schulen heraus ... aber doch nicht so und besonders nicht so schnell. Das Eckpunk­te­pa­pier könnte einen Prozess einleiten, einen Prozess des Für-und-Widers, einen Prozess, der am Ende viel­leicht zu einem ganz eigenen neuen Weg führt. Der aber viel­leicht auch das beinhaltet, was sich viele wünschen: Zusam­men­ar­beit, Gemein­schaft­lich­keit, Gleich­heit und Soli­da­rität, so wie es auch in der Protest­note der Akademie der bildenden Künste zu lesen ist.

Das Eckpunk­te­pa­pier als Debat­ten­start, aber bitte nicht mehr.

Zurück zu den Kinos und der Kultur: wenn an Hoch­schulen nur nach einem Markt für bestimmte Fächer geschaut wird und daran ihr Nutzen gemessen wird, dann heißt das natürlich nicht, dass das irgend­wann auto­ma­tisch auch auf Theater oder Museen ange­wendet wird, aber die Menschen, die studieren, werden sozia­li­siert in einem solchen System, und so etwas lässt sich auch später nicht mehr so einfach abschüt­teln. Das Kino an sich liegt zwischen Kultur und Kommerz, aber es sollte auch die Freiheit haben, sich beides zu gönnen und dafür ein Publikum zu finden.