04.02.2016
Cinema Moralia – Folge 126

6 Millionen für Tschiller

Tschiller
Symptomatische Angst – Till Schweiger in Tschiller: Off Duty
(Foto: Warner Bros.)

Wie klein muss einer sein: Was Dieter Kosslick und Til Schweiger gemeinsam haben, 6 Millionen für Tschiller und natürlich die leider unbemerkte Bankrotterklärung der deutschen Filmförderung – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 126. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Die gefor­derte neue Film­kritik kriti­siert die Gesell­schaft, aus der der Film hervor­geht.«
Enno Patalas und Wilfried Berghahn in der Zeit­schrift »Film­kritik«, 3/1961

»Germans do always try to copy American charac­ters; Greeks try not to show too much about Greek charac­ters.«
Hans W. Geißen­dörfer auf der Abschluß­ver­an­stal­tung des »Grie­chi­schen Filmfests« in Berlin.

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Stefanie Stap­pen­beck gehört zu den deutschen Schau­spie­le­rinnen, die ich schon immer ein bisschen unter­schätzt fand. In manchem schlechten Film ist sie der einzige Licht­blick. Und einiges Pech hat sie auch gehabt: Als sie 2009 endlich eine Serien-Haupt­rolle im ARD-Poli­zeiruf bekam, die überaus inter­es­sante und unge­wöhn­liche Figur des Hauptmann Ulrike Steiger, einer deutschen Generals Daughter, die in Uniform in der Bundes­wehr ermittelt, und dann, enttäuscht vor allem vom eigenen Vater, die Bundes­wehr verlässt, aber mit dem ganzen über­holten Disziplin-Befehl&Gehorsams-Müll im Kopf, zur Münchner Polizei kommt – da hätte das mit der Stap­pen­beck das Zeug gehabt, eine würdige Edgar-Selge-Nachfolge-Polzeiruf-Reihe zu werden. Doch ihr Partner Jörg Hube starb nach der ersten Folge und anstatt dann etwas draus zu machen, das reale Leben als Chance der Fiktion zu sehen, stellte die ARD alles und damit auch die Stap­pen­beck-Figur ein.
Vier Jahre später dann spielte sie im neuen Hamburger Tatort, aber nur die Frau, noch dazu geschie­dene, des Ermitt­lers. Und ausge­rechnet an der Seite von Til Schweiger. OMG, die Arme dachte ich als Stap­pen­beck-Sympa­thi­sant, und dann, als sie, natürlich weil der doofe Dödel Nick Tschiller schuld hatte, kurz vor Sylvester erschossen wurde, war das ein tiefer Stich ins Herz. Der Trost kam dann ein paar Tage später, als klar wurde: Für sie ist der Tod als Schweiger-Frau ein Aufstieg. Denn im Sommer spielt sie dann im ZDF wieder eine Ermitt­lerin.

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Gleich zu Anfang eine Ankün­di­gung in eigener Sache: Nächste Woche fängt ja nicht nur am, Donnerstag die Berlinale an, und einen Tag vorher etwa gleich­zeitig mit der nächsten regulären artechock-Ausgabe, sondern bereits ab Montag gibt’s ein artechock-Berlinale-Special mit täglich neuen Texten, und einigen Über­ra­schungen. Und das nicht nur hier, sondern auch auf Facebook, und viel­leicht noch in anderer Form. Es lohnt sich also, regel­mäßig nach­zu­schauen.

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Es wird die 66. Berlinale überhaupt und erst die 15. mit Dieter Kosslick – obwohl man den Eindruck haben könnte, der Mann sei schon ewig da. Immerhin wird er in paar Wochen länger im Amt sein, als Helmut Kohl Bundes­kanzler war, und im Gegensatz zum Pfälzer scheint den Berlinale-Chef die Macht eher jung zu halten. Wahr­schein­lich würde er selber sagen, dass das alles an Yoga und seinem Vege­ta­rismus liegt, aber wer Kosslick am Dienstag auf der dies­jäh­rigen Berlinale-Pres­se­kon­fe­renz beob­ach­tete, der merkte, wie schön es sein muss, wenn einem überhaupt niemand mehr wider­spricht. Diese Stufe hat Kosslick inzwi­schen erreicht. Die, die ihn blöd finden, haben es inzwi­schen aufge­geben, weil man sach­be­zo­gene Debatten mit dem Mann sowieso nicht führen kann. Und die, die ihn anhimmeln, himmeln ihn an.
Es gibt auch innerhalb der Berlinale-Orga­ni­sa­tion natürlich gar nicht so wenige, die einem hinter vorge­hal­tener Hand erzählen (und natürlich auch weil sie wissen, dass ich es gern höre), wie furchtbar und autoritär der Mann im persön­li­chen Umgang sei, und dass sein Essens-Fana­tismus offenbar so weit geht, dass er Fleisch­ge­richte auch in seiner Umgebung nicht duldet, weil er den Geruch nicht erträgt. Aber all das wäre natürlich wurscht, wenn die Berlinale ein gutes Programm hätte. Das finden in diesem Jahr aber noch nicht mal die, auf die sich Kosslick bisher immer verlassen konnte, schon weil eine von ihnen im Auswahl­gre­mium sitzt: Die Kollegen von »deutsch­land­radio kultur«.

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Ein tref­fender Kommentar war dort jetzt von Patrick Wellinski zu hören. »Die gesell­schaft­lich rele­vanten Stoffe in allen Ehren, lange blieb in den letzten Jahren dabei die Filmkunst auf der Strecke.« sagt Wellinski. Und stellt fest: »Jenseits der Berlinale spielt deutsches Kino keine Rolle.«
Tatsäch­lich ist diesmal nur ein deutscher Film im Wett­be­werb vertreten – das ist an sich nicht schlimm und man glaubt ja sofort, dass es einfach nicht viel gute, wett­be­werbs­taug­liche deutsche Filme gibt. Es ist auch gut zu wissen, dass damit im kommenden Jahr »die vielen deutschen Filme, die auf der Berlinale laufen« keine Ausrede mehr sein werden, für die vielen deutschen Filme die auf keinem inter­na­tio­nalen Festival laufen.
Nur: Was sagt uns das eigent­lich über ein Festival, dessen Leiter ange­treten ist mit der doppelten gewagten Behaup­tung, dass es viele tolle deutsche Filme gebe, und dass es, indem er die jetzt auch endlich zeigen werde, bald alle merken? Vor 15 Jahren, im ersten und recht guten Kosslick-Jahr, liefen vier deutsche Wett­be­werbs­bei­träge.
Seitdem ist offenbar nichts besser geworden, und vieles viel­leicht sogar schlechter.

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Diese jetzt noch offen­kun­diger gewordene Krea­tiv­krise des deutschen Kinos ist auch eine Bank­rott­erklärung der deutschen Film­för­de­rung. Und zwar auf allen Ebenen. Natürlich arbeiten da viele gute, sach­ver­s­tän­dige Menschen. Natürlich können die Förderer nichts für das, was einge­reicht wird. Schon eher muss man aber manchmal fragen, warum bestimmte Projekte nicht oder nur unzu­rei­chend gefördert werden, während man einem Film das Geld hinter­her­wirft, sobald ein Schau­spieler Regie führt oder als Dreh­buch­autor genannt wird. Nein, ich meine nicht Til Schweiger und Matthias Schweig­höfer. Die auch, ok. Aber eigent­lich dachte ich an Florian David Fitz. Oder, jüngstes Beispiel, an Karoline Herfurth. Warum müssen die überhaupt selber Filme machen? Und warum muss man es ihnen so viel leichter machen, wie den »ganz normalen Regis­seuren?
Ich behaupte mal, dass deren Filme die Krea­tiv­krise des deutschen Kinos auch nicht lösen.«

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Es war eine Horror­kom­bi­na­tion am letzten Sonntag im »Doppel­pass«, dem »Sport 1«-Fußball­stamm­tisch. Da saß nicht nur Johann Baptist Kerner, was eigent­lich bei mir genügt, gleich abzu­schalten, sondern auch Til Schweiger, was mich dann doch wieder zugucken ließ, denn ich wollte schon wissen, was da jetzt kommt. Ich hätte ahnen müssen, dass Schweiger auch über Fußball nicht inter­es­santer redet, als über Film, aber meistens im Gegensatz dazu, wenn man ihn nach Film fragt, immerhin achsel­zu­ckend zugab, er wisse es jetzt auch nicht.
Das Wort, was er am meisten benutzte, was »Scheiße«, das klang dann etwa so: »Was ist denn das für eine Scheiße mit dem Abseits – das müssen wir abschaffen. Dann wird das Spiel viel attrak­tiver. Ohne Abseits würd' die Post abgehen!«

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Immerhin will Schweiger jetzt nicht auch noch Fußball­re­porter werden. Er will einfach – und schlimm genug, dass »Sport 1« da in dieser Form mitmacht – seinen neuen Film vermarkten.
Das tut er vor allem, indem er sich am Kinn kratzt, und wenn er gerade nicht selber redet, seinen Blick gedan­ken­ver­loren über die Sitz­reihen schweifen lässt, als ginge ihn das alles nichts an.

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Irgendwie passt es gut, dass jetzt in einer einzigen Woche erst Kosslick seine Jahres­pres­se­kon­fe­renz gibt, und dann auch noch Til Schwei­gers neuester Film, der »Tatort«-Ripp-Off Tschiller: Off Duty in die Kinos kommt. Das schreibe ich jetzt nicht, weil ich die Frage stellen will, warum Schwei­gers Film nicht im Wett­be­werb läuft. Da hab ich schon so meine Vermu­tungen.
Aber im Grunde haben Schweiger und Kosslick ja eine ganze Menge gemeinsam: Sie sind egoman, eitel, können weder mit Kritik umgehen, noch sie überhaupt vertragen. Und sie haben keinen Geschmack.
In alldem sind sie leider recht sympto­ma­tisch für das deutsche Kino, für den Weg, den es in den letzten 20 Jahren genommen hat: Ein Weg in die Bedeu­tungs­lo­sig­keit. Aber weil alle sich hier ja selbst ganz toll finden, redet man sich die Sache und sich selber schön. Wie das geht, kann man von Schweiger und Kosslick lernen.

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Sympto­ma­tisch ist die Angst. Vor allem bei Til Schweiger ist sie jederzeit spürbar, je auftrump­fender er auftritt, desto deut­li­cher. Typisch, dass er Kritiker nicht nur einfach doof oder belanglos findet, sondern es nötig hat, öffent­lich dauernd zu erklären, wie unwichtig sie seien.
Til Schweiger ist der einzige deutsche Regisseur, der zu feige ist, Filme in denen er mitspielt, der Presse zu zeigen. Statt­dessen gibt es »Friends & Familiy«-Vorstel­lungen, in denen dann natürlich doch ein paar Jour­na­listen sitzen dürfen. Aber nur solche, die Schweiger persön­lich selek­tiert hat, weil sie dem tollen Herrn offenbar gefällig genug formu­lieren. Wie klein muss einer sein!
Aller­dings muss man es bei der Gele­gen­heit auch sagen: Jeder Jour­na­list, der das faule Spiel mitspielt, hat alle Verach­tung verdient.

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Der berühmte »Tatort«-Vorspann, den Til Schweiger so verab­scheut, ist weg. Kein blau-weißes Faden­kreuz, kein Klaus Doldinger. Sondern Rap. Dass die ARD das mit sich machen lässt, ist aber ihre Sache. Aber schade natürlich schon, dass man dort offenbar glaubt, ein Schau­spieler sei wichtiger als die eigene Marke, obwohl die doch eines der wenigen Dinge sind, die der ARD noch geblieben ist, obwohl ohne Til Schweiger mehr Leute hingucken, als mit ihm.
So gibt man Schweiger die »Tatort« als Spielzeug, und wie kleine Kinder so sind, nimmt er sie erstmal in den Mund und lutscht daran, und dann ausein­ander, um zu gucken, was drin ist. Und dann haut er kräftig drauf. Schweiger ist respektlos. Wie gegenüber allem. Aber nicht aus Bosheit, sondern eher aus Naivität. Er will ja nur spielen.

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Denn das Problem der Til-Schweiger-Tatorte sind ja noch nie die Filme gewesen. Ob das noch irgendwie »Tatorte« sind, darüber kann man natürlich streiten. Aber es sind immer anstän­dige Polizei-Action-Filme gewesen. Ihr Regisseur Christian Alvart ist extrem begabt, einer der besten deutschen Regis­seure. Was aber leider niemand zugibt: Das größte Problem dieser Filme ist ihr Haupt­dar­steller. Schweiger bringt’s einfach nicht. Er spielt schlecht, und wie schlecht, zeigt gerade der Kontrast zu Fahri Yardim, dem Darsteller seines Kollegen. Man glaubt Schweiger kein Wort.

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Da wird es dann kurios, wenn Schweiger wie nach den schlechten Quoten für den letzten Doppel-Tatort geschehen, sein Publikum beschimpft.
Kurios ist auch, wenn Schweiger behauptet, dass zu viel Geld die Freiheit eines Filme­ma­chers gefährdet, und sich selbst »unab­hängig« nennt.
Denn wir alle finan­zieren aus Haus­halt­ge­bühren und Steu­er­gel­dern, dass Til Schweiger weiter dummes Zeug reden und Kritiker beschimpfen kann: Tschiller: Off Duty wurde von der FFA mit etwa einer Million Euro gefördert (556 000 Euro für Produk­tion, 250 000 Euro für den armen Verleih, 200 000 Euro für »Media­leis­tungen«, also dafür, dass Schweiger für sich Werbung machen darf).
Außerdem hat das Medi­en­board Berlin Bran­den­burg in den Film 800.000 Euro gesteckt. Die Film­för­de­rung Hamburg Schleswig-Holstein – komplett steu­er­fi­nan­ziert – hat weitere 280.000 Euro dazu­ge­stopft. Und aus dem Deutsche Film­för­der­fonds der Kultur­staats­mi­nis­terin kommen weitere 1.6 Millionen Euro für Tschiller/Schweiger.
Komplett wird die Rechnung aber erst, wenn man die zwei Millionen Euro dazu zählt, die der NDR gezahlt hat – wie für jeden Schweiger-Tatort. Denn der »Star« genießt auch hier Sonder­be­hand­lung und Extra­wurst­rechte: Norma­ler­weise darf ein »Tatort« nur 1,4 Millionen kosten.
Fazit: Fast 6 Millionen plus Sonder­rechte für Schweiger. Wir sind gespannt auf das Ergebnis.

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Fragen darf man, warum die öffent­li­chen Auftrag­geber ihren Auftrag­nehmer nicht einmal darauf verpflichten können, wie alle anderen Film­pro­duk­tionen auch, den Film vorab in Pres­se­vor­füh­rungen öffent­lich zu machen.
Fragen darf man auch, wie sich Geballer und Gekrache mit dem Kultur­auf­trag vertragen. Denn den haben die Förderer – ihr vieles Geld soll vor allem solche Produk­tionen fördern, die sonst keine Chance auf Finan­zie­rung hätten.

(To be continued)