29.11.2018
Kinos in München – Theatiner Cinema Europas Award 2018

Das beste Kinoprogramm Europas

Theatiner Filmkunst
Nur eine der vielen Sehenswürdigkeiten des Theatiner: der in hellem Ahornholz gehaltene Kinosaal
(Foto: Theatiner Filmkunst)

Marlies Kirchner wird für die Theatiner Filmkunst mit dem Europa Cinemas Award 2018 ausgezeichnet

Von Dunja Bialas

Schon immer war es ein Ausnah­me­kino. Gegründet 1957 von Walter Kirchner, wurde die Theatiner Filmkunst, wie das Kino offiziell heißt, in der gleich­na­migen Passage bald zum cine­philen Herzen Münchens. Während noch alle an das Wirt­schafts­wunder glaubten und es eilig hatten, die Nach­kriegs­ge­schichte hinter sich zu lassen, öffnete der Göttinger Verleih­pio­nier den auf sich gerich­teten Blick­winkel der Deutschen, indem er ihnen das Kino Europas nahe­brachte. Als einer der ersten zeigte er mit seinem haus­ei­genen Verleih die Filme des italie­ni­schen Neorea­lismus, die sowje­ti­schen Tauwetter-Filme und Eisen­stein, die spani­schen Surrea­listen Dalí und Buñuel, später die Filme der Nouvelle Vague. Er erinnerte die Deutschen an ihre Kultur, von der sie der Krieg getrennt hatte, und zeigte, als es noch keine Film­mu­seen in Deutsch­land gab, die Filme aus der Weimarer Zeit. Filme, deren Auffüh­rung im Dritten Reich verboten waren, und mit denen sich die Exil­ge­schichten der Regis­seure, Dreh­buch­au­toren und Schau­spieler verbanden. Filme, die während ihrer Projek­tion immer auch auf ihre eigene Wieder-Sicht­bar­keit hinwiesen: Auch Filme­zeigen kann ein poli­ti­sches Statement sein.

Das Theatiner brachte den Münchnern so wieder die Kultur zurück und öffnete die Stadt auf Europa zu einer Zeit, als man noch keine Fremd­spra­chen sprach. Die Filme liefen meist im Original, mit Unter­ti­teln, alle europäi­schen Sprachen waren will­kommen. Nur die englisch­spra­chigen Filme blieben ausge­spart. Das war noch lange bevor der angelsäch­si­sche Filmmarkt die Leinwände der Welt mit ihren Block­bus­tern eroberten, auch lange vor dem Aufbe­gehren der Franzosen dagegen, mit einer Leinwand-Quote für die eigenen Filme. Das Theatiner war durch und durch von Cine­philie ange­trieben. Es war ein Haus des europäi­schen Autoren­films, bevor das heute allseits beliebte »Arthouse« in die Kinos drängte, zum Main­stream wurde – und die Filmkunst zum Nischen­phä­nomen machte.

Marlies Kirchner, die seit 43 Jahren das Theatiner alleine führt, ist seit über sechzig Jahren mit der Program­mie­rung des Kinos beschäf­tigt. Sie kennt Cannes und Venedig, alle inter­na­tio­nalen Vertriebe und die deutschen Verleiher. Meist bringt sie ihnen mit den Origi­nal­fas­sungen die besten Einspiel­zahlen. Als es noch das Zelluloid gab, gab es spezielle Theatiner-Kopien, in die die Unter­titel ins Original einge­la­sert waren.

Mit der digitale Wenden können nun auch andere Kinos OmU zeigen. Das ist neue Konkur­renz, aber das Theatiner ist dennoch konkur­renzlos geblieben. Denn Marlies Kirchner ist eine Ausnahme-Cinephile unter den Kino­be­trei­bern, die genau weiß, welche Filme die guten sind, leider nicht immer die mit den guten Zahlen. Spielen tut sie sie trotzdem. Viel­leicht eignet sich Marlies Kirchner so auch zu einem Role Model, als hellwache Frau des Kultur­be­triebs, die genau weiß, wo die Geschäfte die Grenzen setzen. Manchmal wünscht sie sich selbst bessere Filme herbei, und doch findet sie immer die guten.

Das große Netzwerk »Europa Cinemas« mit Kinos, die sich auf die europäi­schen Filme konzen­trieren, hat nun unter 3000 Licht­spiel­häu­sern aus 43 Ländern die Theatiner Filmkunst als Kino mit dem besten Programm ausge­wählt. Das Theatiner erhält nun den Europa Cinemas Award 2018, die höchste Auszeich­nung für Kino überhaupt. Der Preis wird am kommenden Mittwoch, dem 5. Dezember 2018, vom Gene­ral­di­rektor von Europa Cinemas, Claude-Eric Poiroux, verliehen. Und wie es sich gehört, verbindet sich die Ehrung des Hauses mit der Vorfüh­rung eines Films: Gezeigt wird das neueste Werk von Robert Guédi­guian, La villa (Das Haus am Meer). Natürlich in OmU. Karten gibt es ganz normal an der Kinokasse. Denn auch das ist Marlies Kirchner wichtig: Unauf­ge­regt­heit und Norma­lität, auch wenn sich die Ehrungen – nicht erst in jüngster Zeit – häufen.

Wir danken dem Theatiner für die vielen schönen Filme, die wir dort gesehen haben. Sie haben unsere Cine-Biogra­phie geprägt und uns die Liebe zum Kino geschenkt.

+ + +

La villa (Das Haus am Meer) (Preview), Mittwoch, 5.12.2018, 20 Uhr

Davor feier­liche Verlei­hung des Europa Cinemas Award 2018 für das beste Kino­pro­gramm an Marlies Kirchner