15.05.2013
28. DOK.fest München 2013

»Man muss auch schauspielen können«

Wolfram Huke
Fürs Interview hat er sich selbstverständlich angezogen und auf einen Stuhl gesetzt

Wolfram Huke über sein scho­nungs­loses Selbst-Portrait Love Alien

Zum Glück haben Mütter auch manchmal Unrecht. Oder wenigs­tens zum Teil. Denn so traurig, wie Frau Huke den Film Love Alien ihres Sohnes Wolfram wähnt, ist er ganz und gar nicht geworden. Trübsal wird über­stimmt von poin­tiertem Sprach­witz, fröh­li­cher Musik, gekonntem Schnitt und einer klugen Heran­ge­hens­weise an ein Thema, das selten bespro­chen, aber von nicht wenigen Menschen durch­litten wird: Sie hatten noch nie eine Beziehung – mit allem was dazu­gehört. Regisseur Wolfram Huke ist einer von ihnen.

Natascha Gerold sprach mit ihm über die Reak­tionen auf seinen Film Love Alien und sein Making-of.

artechock: Herr Huke, in Ihrem Film zeigen so viel von sich selbst – öffnen sich Menschen Ihnen dann auch persön­lich, nachdem sie den Film gesehen haben?

Wolfram Huke: Durchaus. Ich bekomme lange E-Mails, Leute erzählen mir, dass sie viel Bekanntes in Love Alien wieder­ent­de­cken, was ein schöner Effekt ist. Überhaupt, dass die Menschen offenbar das Bedürfnis haben, darüber zu reden. Es gibt auch Jour­na­listen, die dem Film sehr kritisch gegenüber­stehen. Aber das Inter­es­sante und eigent­lich Wich­ti­gere ist, dass sie – anders als sonst bei Pres­se­vor­füh­rungen – hinterher immer noch in Gruppen zusam­men­ge­standen und disku­tiert haben.

artechock: Bei Ihrem Film lachen die Zuschauer an ganz unter­schied­li­chen Stellen. Denken Sie auch über die unter­schied­li­chen Reak­tionen nach, die der Film hervor­ruft?

Huke: Es ist ein schwer­mü­tiges Thema und es liegt nahe, dass man es nicht sehen will, wenn der Film selbst zu depri­mie­rend wird. Da hätte ich auch Probleme gehabt, ihn zu schneiden. Weil das einem schnell zu viel werden kann, haben wir schon versucht, eine gewisse Leich­tig­keit und Distanz hinein­zu­be­kommen, und es scheint für manche Leute zu funk­tio­nieren. Neulich war ich aber bei einer Vorfüh­rung dabei, da wurde kein einziges Mal gelacht.

artechock: Wo war das?

Huke: In Nürnberg.

artechock: Warum haben die Leute da nicht gelacht?

Huke: Ich weiß es nicht, viel­leicht hatte es mit der Größe des Publikums zu tun. Es war ein kleiner, relativ intimer Kreis. Und viel­leicht braucht es immer jemanden, der den Anfang mit dem Lachen macht.

artechock: »Bei doku­men­ta­ri­scher Insz­e­nie­rung wird es schwierig, wenn die gezeigte Person über ihre Wirkung sichtbar nachdenkt«, sagt Dok.fest-Leiter Daniel Sponsel, der selbst Dokum­ten­tar­filmer ist und Sie für Love Alien drama­tur­gisch beraten hat. Sprich: man muss schau­spielen können. Haben Sie gewusst, dass Sie es können?

Huke: Nein, es war ein Expe­ri­ment, das hätte auch furchtbar schief­gehen können. Dann hätte ich etwas anderes daraus gemacht, mich viel­leicht raus­ge­lassen. Es gibt schon Leute, die das nicht als authen­tisch empfinden. Da kommen dann Fragen wie »Wieviel Insz­e­nie­rung steckt denn da drin?« oder »Mal unter uns, Herr Huke, das ist doch nicht echt, oder?« Die ersten, die solche Zweifel äußersten, waren inter­es­san­ter­weise Leute von RTL II – von einem Sender, bei dem eigent­lich nichts echt ist. Es ist eine Banalität im Doku­men­tar­film: jede Anwe­sen­heit von Beob­ach­tung und Kamera verändert was. Das heißt aber nicht, dass es insz­e­niert sein muss. Dazu bräuchte es genaue Anwei­sungen des Regis­seurs. Alles andere würde man viel­leicht eher »arran­gieren« nennen. Es gibt eben Zwischen­stufen von Arran­gie­rung bis hin zur Insz­e­nie­rung.

artechock: Die Drehzeit umfasste ein Jahr – von Ihrem 29. bis Ihrem 30. Geburtstag. Daraus entstanden 150 Stunden Material, die es zu sichten und zu bear­beiten galt. Wo packt man da seine Ideen hin, die man während der Drehzeit hatte?

Huke: Viele Ideen habe ich während des Jahres aufge­schrieben. Ich habe aber nichts bewusst mit dem vorhan­denen Material auspro­biert in der Zeit. Da hätte ich noch mehr die Gefahr gesehen, dass ich spiele und weniger »ich selbst zu sein« sozusagen. Das war keine Faulheit, ich hatte die ganze Arbeit ja hinterher. Wir haben einein­halb Monate nur gesichtet, Vollzeit. Ich hatte eine tolle Cutterin in Berlin, so dass ich das nicht allein schneiden musste. Sie hat auch viel eigen­s­tändig gemacht, wenn ich nicht vor Ort war. Sie hat mir dann ihre Ideen gezeigt und ich konnte entschieden. Für diese Zusam­men­ar­beit bin ich sehr dankbar. Denn ich weiß nicht, ob man nicht doch ein bisschen verrückt wird, wenn man so einen Film über sich selbst dreht und den dann auch noch allein schneidet.

artechock: Ihre Texte aus dem Off erinnern in ihrer lakonisch-leichten, aber doch kraft­vollen Art an Woody Allen. Sind die spontan entstanden?

Huke: Nein, an denen haben wir schon gear­beitet. Es sollte einen Spre­cher­text geben, weil es Dinge gab, die ich nicht zeigen konnte oder ein bisschen erklären musste. Was wir nicht wollten, war Selbst­in­ter­pre­ta­tion in den Texten, ich erzähle nicht, wie und warum es mir so oder so geht. Außerdem wollte ich keinem vorschreiben, was er über mich zu denken hat.

artechock: Neben den Texten ist auch die Musik das Gegen­ge­wicht zum schwer­mü­tigen Thema …

Huke: … die habe ich zusammen mit meinem alten Schul­freund Ben (Benedikt Hansen, Anm. d. Red.) kompo­niert. Wir haben früher in Bands zusam­men­ge­spielt, er ist inzwi­schen Film­kom­po­nist. Ich hatte nichts Konkretes im Kopf, nur ein Gefühl, wie die Musik werden soll. Als der Film weit­ge­hend fertig war, haben wir zehn Tage impro­vi­siert und das behalten, was schön war. Ben musste sich erstmal darauf einlassen, wenn ich etwas anderes haben wollte, denn norma­ler­weise ist er der Komponist. Ein Stück ist von ihm, das man kurz vor Schluss hört, ein Walzer ist von mir – den Rest haben wir zusammen gemacht.

artechock: Auf der Suche nach Hilfe erhalten Sie so Angebote wie »Sprechen Sie mit Ihrem inneren Kind« oder »Du bist ein Produkt, Du musst Dich gut verkaufen« – Über­ra­schend, wie wenig Inspi­rie­rendes da eigent­lich dabei war …

Huke: Man ist ja auch sowieso immer »selber verant­wort­lich«. Ich wollte den beiden Styling-Bera­te­rinnen die Funktion des gesell­schaft­li­chen Blicks auf mich geben: Was sagen denn zwei hübsche unbe­kannte Mädels zu so ‘nem Typen wie mir? Es läuft eigent­lich alles auf die Gene­ral­aus­sage hinaus: „Du musst etwas tun, dann klappt es schon“, bezie­hungs­weise, „Jammer nicht rum, Du bist selber schuld“ – auch bei der Psycho­login, gleich­wohl sie in den Sitzungen auch wichtige Dinge hinter­fragt und ange­spro­chen hat, beispiels­weise die Rollen­ver­tei­lung in der Familie oder gewisse Kind­heits­er­leb­nisse, wo aus ihrer Erfahrung oft bestimmte Probleme herrühren können. Ich will mich nicht aus der Verant­wor­tung ziehen, auch im Bezug auf mein Äußeres. Die Gesell­schaft sugge­riert aller­dings, dass die Verant­wor­tung komplett beim Einzelnen liegt. Und dem würde ich halt auch nicht zustimmen.