23.02.2012
62. Berlinale 2012

Am Ende der Geschichten

Vilaine Fille Mauvais Garçon
Vilaine Fille Mauvais Garçon

»Nochmal, nochmal«: Schlingensief bis Rampling, Erotik und Paraden – das Kurzfilm-Programm ist die wahre Gegenberlinale

Von Rüdiger Suchsland

Die Dusche läuft, Wasser­dampf erfüllt den Raum und vernebelt den Blick, irgend­wann duscht sich eine Frau, vor dem Spiegel stehen Schau­spieler in verschie­denen Kostümen, einen könnte man für einen klas­si­schen Detektiv à la Sam Spade halten, es wird ameri­ka­nisch gespro­chen und aus dem Off klingt Opern­musik. Die Narration ist aus dem Leim gegangen, ihre Bestand­teile haben sich selbst­ständig gemacht und tun das im Laufe des Films immer mehr – dirigiert, mal aufge­halten, mal ange­feuert vom Regisseur Christoph Schlin­gen­sief. Vor drei Jahren vergab er in der Jury den Goldenen Bär, vor 18 Monaten erlag er seinem Krebs­leiden, jetzt läuft im Kurzfilm-Programm ein Film aus dem Nachlass. Es wird nicht der letzte gewesen sein, das vielstün­dige Konvolut African Twin Towers, das Schlin­gen­siefs Rückkehr zum Kino gewesen wäre, wurde zwar schon vor vier Jahren beendet, vom Regisseur aber bis in seine letzten Monate immer wieder neu bear­beitet. Der Kurzfilm Say Good-Bye To The Story ist das »Not-Making-Off« einiger Szenen, in dem später auch Irm Hermann und Robert Stadlober auftreten – eine Abschieds­sym­phonie auf mehreren Ebenen, und zugleich eine Hommage ans klas­si­sche Kino. »Nochmal, nochmal«, man hört den Regisseur in gelas­sener Hysterie seine Anwei­sungen geben, und dann: »Jeder muss lernen, dass es manchmal den richtigen Moment gibt, sich von einer Story zu verab­schieden. Dann ist es perfekt.« Der Abschied von den Geschichten und dem Dogma des Erzählens, das das Kino in ihrem ersti­ckenden Griff gefangen hält, und das Zeigen, das Sehen leicht verhin­dert, dies ist schon immer Schlin­gen­siefs Programm gewesen. Sein Film ist ein offenes Kunstwerk par excel­lence, das das Kino aus seinem Ende neu zum Leben erwecken will.

Im Gemischt­wa­ren­laden der Berlinale wird das Kurz­film­pro­gramm leicht übersehen. Dabei ist diese von Maike Höhne betreute Auswahl seit Jahren jene wahre »Gegen­ber­li­nale«, als die das »Inter­na­tio­nale Forum« einst antrat, diesen Anspruch aber inzwi­schen längst aufge­geben hat. Unter den »Berlinale Shorts« trifft man bekannte Namen wieder, wie außer Schlin­gen­sief auch Claudia Llosa, der seiner­zeit für La Teta Asustata den Goldenen Bären verlieh. Aber auch völlig unbe­kannte Regis­seure, die gar nicht über die kurze Form hinaus­greifen wollen. Die Werke chan­gieren zwischen Werbeclip und Avant­garde, aber immer handelt es sich um Fragmente, die nicht versuchen ausge­gli­chen zu sein, und es vielen recht zu machen, sondern im Einzelnen die ganze Welt konden­sieren. Das können psyche­de­li­sche Farb­spiele mit »Flicker«-Effekten sein, wie der öster­rei­chi­sche Zounk!, den man im Kino sehen muss, um seine Wirkung zu verstehen. Oder die natu­ra­lis­ti­schen Erotic Fragments aus dem thailän­di­schen Alltag. Oder jene leicht­füßige Liebes­ge­schichte, die Justine Triet aus der Pariser Intel­lek­tu­el­len­szene erzählt: Vilaine fille mauvais garçon ist eine amüsant insze­nierte amora­li­sche Begegnung zwischen Bar und Bett.

The End heißt der Film des fran­zö­si­schen Künstlers Barcelo, auch dies wie so vieles auf dieser Berlinale eine Geschichte von Endzeit und Décadence: Charlotte Rampling spielt eine Schau­spie­lerin namens Charlotte, die zuerst ziellos und leicht verwirrt durch die Gegend streift. Eine sehr vergnüg­liche Reise, in der Rampling ihre Umgebung gehörig aufmi­schen darf. Sie sucht ihre Identität, am Schluss aber weiß sie noch weniger als zuvor.