13.05.2010

Nach dem Sturm ist vor der Krise

Ridley Scotts Robin Hood
Reiten gegen den Sturm:
Ridley Scotts Robin Hood
(Foto: Universal Pictures International Germany GmbH)

Die Ruhe im Auge des Hurrikans: Die Filmfestspiele von Cannes eröffnen mit Robin Hood – Cannes-Notizen, 1. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Das Meer ist immer noch braun und sichtbar aufge­wühlt, und auch an Land sind die Folgen des schweren Unwetters noch längst nicht alle beseitigt, der am Wochen­ende über Cannes toste, und vor allem die Croisette in Mitlei­den­schaft zog, die male­ri­sche Strand­pro­me­nade des mondänen südfran­zö­si­schen Urlaubs­ortes. Als ob Finanz­krisen und Vulkan­aus­brüche nicht schon genug wären, geschah dies ausge­rechnet wenige Tage vor Beginn der wich­tigsten zwei Wochen des Jahres. Denn an diesem Mitt­woch­abend werden hier die Film­fest­spiele eröffnet. Zum 63. Mal werden sich an der Cote d’Azur an den nächsten zwölf Tagen Stars und Sternchen, kunst­sin­nige Autoren­filmer und geld­ver­liebte Produ­zenten ein Stell­dichein geben. Im hoch­karätig besetzten Wett­be­werb werden am Ende die Goldene und andere Palmen verteilt, und auf dem Filmmarkt, der weltweit wich­tigsten Veran­stal­tung dieser Art, werden Geschäfte gemacht. Nach wie vor gilt: Cannes ist das Mekka des Kinos, der alljähr­liche Wall­fahrtsort der gesamten Film­branche.

Doch auch die anderen Stürme, die gerade die Welt erschüt­tern, hinter­lassen ihre Spuren: Eröffnet wird mit Robin Hood, einem lang erwar­teten Projekt des Briten Ridley Scott (Alien, Blade Runner). Weil die Haupt­rolle des Helden in Strumpf­hosen von Russel Crowe über­nommen wird, trifft hier auch die Traum­paa­rung von Gladiator zusammen und versucht ohne Frage den Welt­erfolg zu wieder­holen. Doch was unter anderen Umständen einfach ein mehr oder weniger gelun­genes, unver­bind­li­ches Aben­teu­er­spek­takel gewesen wäre – und vermut­lich ein blutiges Schlach­ten­ge­mälde –, wird in diesen Zeiten ohne Frage auch als unter­grün­diger Kommentar zur Finanz verstanden werden: Der gute Dieb, der die Reichen beraubt um den Armen zu geben, dürfte noch ein paar zusätz­liche Sympa­thien ernten.

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Tatsäch­lich wirkte der fertige Film dann wie Gladiator on the Beach – ein Werk, das mit dem Robin Hood in unseren Köpfen kaum zu tun hat: Crowe ist einer, der vieles kann, den man sich aber als flinken Wald­gänger dann doch nicht vorstellen kann. Bei Scott trägt er ein Ketten­hemds, und müht sich ab mit einem schweren Schwert, der Waffe der adeligen Ritter, während Pfeil und Bogen ihn eigent­lich als Mann des Volkes ausweisen. Lady Mariann spielt die auch schon ein wenig einge­trock­nete Cate Blanchet arg damenhaft, vor allem dafür, dass sie tagsüber selbst auf dem Feld arbeiten muss. Trotzdem: Rund eine Stunde lang macht Ridley Scott fast alles richtig. Da ist sein Film ein pralles Panorama das Mittel­al­ters zur Zeit des Dritten Kreuzzugs und wirkt eher wie eine Fort­set­zung von Scotts Kreuz­fah­rer­film Kingdom of Heaven. Man sieht, wie seiner­zeit eine Burg einge­nommen wurde, man sieht Kämpfe im Wald, Bootsü­ber­fahrten, das Leben des eher veramten Landadels. Das ist extrem plastisch und sinnlich und realis­tisch, ohne Glamour: Ritter im Schlamm, man glaubt, den Dreck riechen und die Feuch­tig­keit fühlen zu können. Erkennbar auch Scotts Interesse für Mili­tär­technik, das man schon in früheren Filmen bewundern konnte. Ridley Scott, auch schon bald 72, hat Sinn für Geschichte, und das heißt für Details. Erstaun­lich auch, mit wieviel Energie er bei der Sache ist – ein Film, dessen Druck nie nachlässt, und doch erfüllt von der Lust an Einzel­heiten, kleinen stimmigen Details: Etwa das London des Jahres 1199. Oder der Sherrif von Nottingham, der hier völlig heun­ter­ge­kommen ist, arm, unwichtig – kleine, dreckige, einfache Verhält­nisse. Oder dem inmitten der Schlacht wieder­keh­renden Ruf »Protect the King«, worauf dann die Ritter sämtliche Vorsicht über den Haufen werfen, nur noch um die Sicher­heit des mitunter blind­lings stür­menden Herr­schers bemüht.

Die Robin-Figur ist unent­schlossen und düster: Insgesamt ist das Bild höchst unein­deutig. Einer­seits ist dieser Robin ein Über­le­bens­künstler, erzählt Scott vom Aufstieg eines einfachen Mannes. Zugleich ist er trau­ma­ti­siert: Vom Tod des Vaters und der Teilnahme an einem Massaker im Krieg. Wie der »Gladiator« ein verlo­rener Charakter, dem hier aber Heimkehr und Erlösung vom Trauma vergönnt sind. Ähnlich zwie­ge­spalten ist Scotts poli­ti­sche Agenda. Er entscheidet sich für keine Posi­tio­nie­rung seines Helden, nimmt in Kauf, dass dessen Darstel­lung in sich wider­sprüch­lich ist: Ein konser­va­tiver Revo­lu­ti­onär, einer, der das Rad zurück­drehen will.

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Ebenfalls ein offen hoch­ak­tu­eller Film zur Krise ist Wall Street 2 – Money Never Sleeps, die mit Spannung erwartete Fort­set­zung von Oliver Stones Film von 1987, der nicht nur modisch stil­bil­dend wirkte – die Hosen­träger des sardo­nisch-schur­ki­schen Finanz­hais Gordon Gekko (Michael Douglas) ahmten die Yuppies der 90er nach – wie dessen Sprüche: »Gier ist gut«. Aus heutiger Sicht wirkt der Gekko der 80er wie ein Vorbote unserer Gegenwart: Stones Kino war schon öfter ein Seis­mo­graph seiner Zeit – man darf sehr gespannt sein, wie es wird, wenn Douglas nach fast einem Vier­tel­jahr­hun­dert noch einmal in eine seiner prägnan­testen Rollen schlüpft.

Die Finanz­welt zum Thema macht auch der junge Berliner Regisseur Christoph Hoch­häusler, der mit seinem dritten Spielfilm Unter dir die Stadt nach Falscher Bekenner (2006) bereits zum zweiten Mal in Cannes vertreten ist, wieder in der Reihe »Certain Regard« – als einer von drei deutschen Beiträgen in Nebensek­tionen. Dort kann er zwar keine Palme gewinnen, weltweite Aufmerk­sam­keit aber ist ihm sicher. Im Film steht die private Seite der Frank­furter Hoch­fi­nanz im Zentrum: Eine verhei­ra­tete Frau verliebt sich in den Chef ihres Mannes, Attrak­tion und Macht, Geld und Liebe vermi­schen sich unun­ter­scheidbar. In den Haupt­rollen sind Nicolette Krebitz und Mark Waschke zu sehen.

Viele deutsche Darsteller wird man im fran­zö­si­schen Film Carlos von Olivier Assayas sehen: Darin geht es um den berühmten Terro­risten gleichen Namens und die Verflech­tungen des europäi­schen Gewalt­netz­werks der 70er, aber auch um dessen private Seiten: Nora von Wald­stätten spielt die deutsche Frau des glamourösen Terror­chefs.

Aufwühlen will auch Nikita Michalkow: Seinem Film Preds­to­jane über die UdSSR im zweiten Weltkrieg geht das Gerücht eines Riesen­flops voraus. Auch wenn sich die Wolken fürs Erste vollzogen haben: Die Stürme fangen im Kino erst gerade an. Inmitten der Finanz­krise wirkt Cannes aber wie eine stille erholsame Oase im Hurrikan.