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03.08.2006
 
 
       
artechocks kleines Bestiarium der Kinogeher
Folge 8: Der Immerlach
     
 
 
 
 

Mit das aufschlussreichste Genre für den Kinofeldforscher ist die Komödie, da nur dort der durchschnittliche Kinogeher seine direkte emotionelle Reaktion auf den Film offen - durch sein Lachen - äußert, während er die meisten anderen Filme weitgehend stumm und in sich gekehrt verfolgt (über entsprechende Ausnahmen war an dieser Stelle schon die Rede).

Gerade in Komödien ist deshalb etwa die Problematik von Erwartungshaltungen deutlich zu beobachten, während das selbe Phänomen bei anderen Genres oft unerkannt bleibt.

Entscheiden wir uns für den Besuch eines bestimmten Films, so verbinden wir zwangsläufig eine gewisse Erwartung damit.
Jemand der sich für einen Film entscheidet, den er aufgrund von Werbung, Kritiken oder dem bisherigen Werk des Regisseurs / Darstellers als Komödie einstuft, erwartet sich zu unterhalten und im Kino zu lachen.

Bei nicht wenigen Menschen geht diese Erwartung soweit, dass sie deren Erfüllung erzwingen wollen, indem sie auch dann lachen, wenn es dafür keine Grund gibt.
Per logischer Überlegung kommen diese Zuschauer zu dem Schluss, dass alles das, was in einer Komödie vorkommt, auch komisch sein muss, weshalb sie selbst über die profansten, alltäglichsten ja manchmal sogar tragische und ernste Dinge lachen.

Zum Glück hält dieses verkrampfte Festhalten an der Erwartung in der Regel nicht lange an. Nach fünf bis zehn Minuten haben die meisten verstanden bzw. akzeptiert, dass der Film zwar eine Komödie ist, aber nicht alles darin lautes, schenkelklopfendes Lachen erfordert oder aber dass der Film sich zwar selbst als Komödie versteht, er aber nicht dem eigenen Humorverständnis entspricht oder aber dass der Film überhaupt keine Komödie ist, weil etwa Woody Allen oder Jim Carrey ausnahmsweise mal wieder in das sogenannte ernste Fach gewechselt sind.

Bis hier hin ist dieses Kinoverhalten durchaus normal, relativ weit verbreitet und nicht weiter erwähnenswert. Weniger normal, zum Glück viel seltener und in mancherlei Hinsicht einer Betrachtung wert sind dagegen die Menschen, die auch über die erste Viertelstunde hinaus darauf beharren, sich uneingeschränkt zu amüsieren und schließlich für die Dauer des gesamten Films alles - auch untätige Personen, Bäume, leere Straßen oder tragische Todesfälle - zum Schreien komisch finden. Solche Kinogeher zählen zur Art des Immerlachs.

Um sein permanentes Lachen durchzuhalten, benötigt der Immerlach zahlreiche Eigenschaften bzw. Eigenheiten. Etwa einen außergewöhnlichen Humor, der ihn selbst die kleinste Nichtigkeit als lustig erscheinen lässt. Zudem ein untypisches Gruppenverhalten, das ihn ignorieren lässt, dass mehrere Dutzend Zuschauer um ihn herum nicht lachen, während er vor sich hin gackert.
Daneben hat er noch ein starkes künstlerisches Selbstbewusstsein, um die tatsächlichen Intensionen der Filmemacher zu übergehen bzw. umzudeuten und schließlich benötigt der Immerlach noch eine große Portion Unsensibilität, um die Anfeindungen der genervten anderen Kinogeher von sich abperlen zu lassen.

Denn erstaunlicherweise gilt: So ansteckend und sozial verbindend Lachen an der richtigen Stelle ist, so störend und aggressionsfördernd kann es an der falschen Stelle sein.

Vorschnell könnte man nun dazu neigen, den Immerlach zu beneiden, schließlich lacht jeder gerne, doch im Gegensatz zu ihm tut man sich selbst manchmal schwer, im Kino ausreichend Anlass dafür zu finden.

Tatsächlich aber leidet der Immerlach an einer komplett verzerrten Wahrnehmung, die ihm von seiner Erwartungshaltung diktiert wird. Sein Vergnügen ist nicht echt, sondern reine Illusion.

Und schlussendlich macht sich der, der über alles lacht, nur selber lächerlich.

Michael Haberlander

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