Niederlande 2021 · 120 min. Regie: Oeke Hoogendijk Drehbuch: Oeke Hoogendijk Kamera: Gregor Meerman Schnitt: Sander Vos |
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Die Sicht des Publikums auf den Dirigenten | ||
(Foto: Iris Lammertsma, Boudewijn Koole / DOK.fest München) |
500 Musiker spielen 29 Stunden in sieben Opernhäusern. Was klingt wie der Anfang einer abstrusen Sachaufgabe, ist nichts anderes als der Versuch, ein Opus Magnum zu schaffen. Ganze 26 Jahre arbeitete Karlheinz Stockhausen, der wohl wichtigste deutsche Nachkriegskomponist, an der monumentalen Oper »Licht«, deren Realisierung er nicht mehr erleben konnte. Zwölf Jahre nach seinem Tod soll das (in bestem Sinne) megalomanische Werk nun aufgeführt werden. Oeke Hoogendijk begleitet in Licht. Stockhausen’s Legacy nun die Vorbereitungen zu dieser Mammutaufgabe und beleuchtet dabei natürlich auch den Meister selbst. Denn was für ein Mensch muss das sein, der ein solches Wahnsinnsprojekt ausbrütet?
Um was es nun in der Oper eigentlich geht, können nicht einmal die Menschen sagen, die an ihr beteiligt sind. Im Endeffekt geht es um alles. »Er hat alles Schöne genommen, das wir kennen und es durch Musik veredelt«, heißt es an einer Stelle. Wer nun überhaupt keine Berührungspunkte mit Neuer Musik hat, wird das natürlich nicht nachvollziehen können. Stockhausens Oeuvre ist alles andere als zugänglich, selbst für den aufgeschlossenen Hörer oft zu abstrakt, zu sperrig, an vielen Stellen sogar beängstigend. Paradoxerweise ist aber auch kaum ein modernes Werk gleichzeitig so einflussreich und das nicht nur im Bereich der E-Musik. Vor allem der Einsatz elektronischer Elemente beeinflusste namhafte Künstler, angefangen von den Beatles, über Can und Brian Eno bis hin zu Throbbing Gristle. Außerdem gilt Stockhausen ja als der »Papa of Techno«. Ein Titel, der dem Verächter aller Unterhaltung wohl keine große Ehre war.
Zurück zu »Licht«. Dass sich hier Probleme auftun, ist natürlich vorherbestimmt. Die sieben Opernhäuser sind dabei die geringste Hürde, eines tut es auch. Es sind ganz andere Fragen, die das Team zermürbt. Können die Musiker als Schauspieler auftreten? Für Regisseur Pierre Audi ganz klar nicht, Instrumentalisten seien schließlich Instrumentalisten. Aber Karlheinz wollte es doch so! Die Mitarbeit von Kathinka Pasveer und Suzanne Stephens, zwei der unzähligen Ex-Partnerinnen des Komponisten, macht es nicht einfacher. Am Plan des Meisters darf nichts verändert werden, auch wenn der Regisseur noch so mürrisch wird. Es sind diese Auseinandersetzungen, die dem Film sogar eine gewisse Komik verleihen, das ein oder andere Kopfschütteln kann man nicht unterdrücken. Man muss es auch ehrlich sagen, was nun avantgardistisches Wagnis und was bloßer Größenwahn ist, kann man nicht so leicht unterscheiden. Ein Streichquartett, verteilt auf vier Helikopter, das muss man erst mal sacken lassen.
Aber wenn es nach seinen ehemaligen Lebensabschnittsgefährtinnen geht, ist das alles legitim. Wenn man hier hört, wie sie ihn als eine unantastbare Lichtgestalt beschreiben, kommt einem durchaus das Wort »Sekte« in den Kopf. Bestärkt wird das durch die Tatsache, dass Stockhausen nicht nur mehrere Frauen auf einmal hatte, sondern auch versuchte, sie alle unter einem Dach unterzubringen. Auch hier stellt sich die Frage, ob das fortschrittlich oder das Konzept eines Mannes ist, der sich zu sehr in die eigenen Ideen steigert. Eines ist sicher: Der Komponist hatte ein Ego von den Ausmaßen des Universums. Er kam nach eigenen Aussagen ja auch vom Stern Sirius. Stockhausen lässt sich ohne dieses astrologisch-narzisstisch-künstlerische Wirrwarr einfach nicht darstellen. Und so wird auch in diesem Film das Privatleben des Exzentrikers interessanter als die Arbeit an dessen Hauptwerk. Das ist nicht einmal negativ, denn Oeke Hoogendijk ergeht sich nicht im Auseinanderfalten alter Schmutzwäsche, sondern zeichnet ein stimmiges Porträt. Dabei geht er auch zurück zur tragischen Jugend, in der er die psychisch kranke Mutter in der Gaskammer und den Vater an der Ostfront verlor. Hier wird es deutlich, dass sich Stockhausen im späteren Leben nicht nur die grausam gestohlene Liebe ohne Rücksicht auf Verluste zurückholen wollte, sondern auch auf sich allein gestellt, eine ganz eigene Vorstellung davon entwickelte, was möglich ist und was nicht. Genau wie bei der Arbeit an »Licht« stehen sich künstlerische Vision und die Realität oft diametral gegenüber. Das Privatleben lässt sich eben nicht ohne Weiteres komponieren. Wenn dann die Kinder, die man eigenhändig zu Musikern erzogen hat, meinen, ihren eigenen Weg gehen zu wollen, dann werden sie eben aus dem eigenen Leben entfernt. Was die Söhne und Töchter vor der Kamera erzählen, ist an vielen Stellen mehr als haarsträubend. So unantastbar ist der Meister dann doch nicht und Hoogendijk zeigt das deutlich.
Trotzdem schafft es Licht. Stockhausen’s Legacy am Ende eine Ehrerbietung zu sein. Gerade weil die Schattenseiten nicht verschwiegen werden. Was aus dem biografischen Rückblick und der Dokumentation seines musikalischen Nachlasses entsteht, ist das Gesamtbild eines Menschen, der es geschafft hat, eine ganz eigene Welt zu schaffen. Ohne Rücksicht auf Verluste zwar, aber für den Beobachter von außen zweifelsfrei beeindruckend. Das darzustellen gelingt Hoogendijk auf ganzer Linie, ohne den Zuschauern dabei vorzuschreiben, was sie nun von der Musik oder der Person des Komponisten halten sollen. Und irgendwie hofft man, dass die Sache mit den sieben Opernhäusern doch einmal klappen wird. Einfach damit alles seine Richtigkeit hat und Papa Techno auf seinem Stern zufrieden ist.