Ip Man 4: The Finale

Yip Man 4

Hongkong 2019 · 105 min. · FSK: ab 16
Regie: Wilson Yip
Drehbuch: , , ,
Kamera: Siu-Keung Cheng
Darsteller: Donnie Yen, Scott Adkins, Kwok-Kwan Chan, Vanness Wu, Chris Collins u.a.
Erst analysieren, dann kämpfen
(Foto: Koch Films/KSM/24 Bilder)

Vier mal vier ist fünf

Acht Schüler des Pesta­lozzi-Gymna­siums München haben im Rahmen des W-Seminars „Film­ana­lyse“ unter der Leitung von Katalin Jäger und mit artechock-Redakteur Axel Timo Purr die Pres­se­vor­schau zu Wilson Yips Ip Man 4: The Finale besucht. Vier von ihnen haben sich entschieden, den Film über eine Video­kritik in unserem arteshot-Channel zu bespre­chen, außerdem sind vier Text­kri­tiken entstanden, die wir an dieser Stelle veröf­fent­li­chen.

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Kampf­sportart mit oder gegen Rassismus?
von Arina Boronina

Im vierten und somit letzten Teil der Ip Man-Reihe (Yip Man) von Wilson Yip reist Meister Ip Man auf Einladung seines Schülers Bruce Lee nach Amerika und sucht dort seinem einzigen Sohn eine Schule.

Im Laufe des Films entstehen zahl­reiche Konflikte, die mit Kämpfen gelöst werden.

Die Konflikte entstehen zum einen auf Grund des Hasses der Ameri­kaner auf die Chinesen, zum anderen wegen der unter­schied­li­chen Meinungen innerhalb der chine­si­schen Kung Fu Meister darüber, wer ihre Kampf­sportart ausübt. Die Into­le­ranz zeigt sich vor allem in der High-School und im Militär, wo darum gestritten und gekämpft wird, welche Kampf­kunst die effek­tivste sei. Die Beziehung zu seinem Sohn und seine Krankheit nehmen einen emotional mit und deuten somit auf einen weiteren Kampf im Film an. Dies ist bemer­kens­wert, da es kein Film ist, der sich nur um die Kampf­sportart dreht, sondern verknüpft ist mit vielen Alltags- und allge­meinen Problemen.
Der Kampf gegen Krebs, um die Familie, gegen Rassismus, gegen Unter­drü­ckung , der Kampf um Gerech­tig­keit und Zusam­men­halt.

Der Film sagt aus, dass Chinesen zusam­men­halten (werden) und niemals aufgeben. Auch die Rolle der Ameri­kaner wird hier mithilfe des rassis­ti­schen Offiziers Barton Geddes, der keine chine­si­sche Kampf­kunst als besser ansieht und der Schülerin, die zusammen mit ihren Freunden ihre chine­si­sche Mitschü­lerin mobbt und verletzt, als hyste­risch und aggressiv darge­stellt.
Insgesamt werden die Kampf­szenen und entste­henden Konflikte über­spielt und drama­tisch darge­stellt, dennoch ist es spannend hinzu­sehen oder auch wegsehen zu müssen. Die Kampf­kunst ist zu bestaunen, denn auch im Film sind die beein­dru­ckenden, schnellen Hand­griffe präzise einge­setzt.

Unrea­lis­tisch ist die Geschwin­dig­keit der Heilung der drama­ti­schen Verlet­zungen und Wunden. Ein Schwer­ver­letzter Ip Man steigt in ein Flugzeug ein und unberührt wieder aus. Dies schien irri­tie­rend, auch wenn er ein chine­si­scher Groß­meister ist.
Die Frau in der Kampf­kunst war zwar minimal vertreten, dafür aber genauso stark, wenn nicht stärker als die Kunst mancher Meister gezeigt.

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Eine andere Position
von Paula Fabian

Ein Schlag, ein Tritt, drama­ti­sche Musik. Kämpfende Chinesen, kämpfende Ameri­kaner, man sieht nur fliegende Körper. Dann plötzlich Ruhe und ein tief­sin­niges Gespräch. Alltä­g­liche Probleme und schwer­wie­gen­dere Krisen werden disku­tiert oder mit Blicken geregelt. Dann wieder soll Gewalt als Lösung dienen. Bei den einen kopflose Gewalt, bei den anderen ist es Kunst.

Der Einstieg in Ip Man 4: The Finale fällt anfangs nicht leicht, da durch Rück­blicke und schnelle Figu­ren­wechsel ein wenig die Übersicht fehlt. Durch die vorhe­rigen Filmteile wird dies vermut­lich erleich­tert. Hat man dann die Grundzüge des Films verstanden, kann man der Handlung gut folgen, die von einer spezi­ellen Atmo­s­phäre begleitet wird. Obwohl der Film nicht in 3D ist, lässt er einen nah an Menschen und Spielort heran. Die Bilder besitzen eine besondere Tiefe, die einen umgibt und nah am Geschehen teilhaben lässt.

Die Drehorte sind gut gewählt und auch die vermut­li­chen Studio­auf­nahmen von beispiels­weise Chinatown sind optisch stimmig. Alles kommt realis­tisch rüber und erscheint nicht künstlich. Einzig die zahl­rei­chen Kämpfe sind stark überzogen. Die schnelle Kame­rafüh­rung allein erzeugt schon Spannung und Action, die darun­ter­ge­legten Geräusche sind jedoch viel zu laut und über­trieben. Man hört jeden Knochen brechen und jeder Faust­schlag klingt fast wie ein Schuss. Durch heftige Schläge fliegen die Kontra­henten oft so weit oder heftig an Wände und Boden, dass ein Dreh ohne Spezi­al­ef­fekte auszu­schließen ist, wodurch die Kämpfe übermäßig brutal und unrea­lis­tisch wirken. Auch die Häufig­keit der Kämpfe mit dem immer gleichen Motiv langweilt irgend­wann und hätte verrin­gert werden können. Dazu trägt bei, dass der Ausgang ebenfalls meist der gleiche ist. Bei jedem neuen Kampf denkt man dann Ach, nicht schon wieder! Angenehm ist die Tatsache, dass auf turbu­lente Kampf­szenen besonders ruhige und textreiche Szenen folgen, die auf gewisse Weise philo­so­phisch sind und realis­ti­sche Emotionen über­bringen.

Eine weitere Auffäl­lig­keit des Films ist die ausschließ­lich negative Beur­tei­lung der USA. Jeder euro­päisch ausse­hende Ameri­kaner hasst Chinesen und ist bereit, ihnen gegenüber Gewalt anzu­wenden. Zwar ist das in der Realität bestimmt oft der Fall, aber hier gibt es keine einzige ameri­ka­ni­sche Figur, die eine positive Stellung hat. Lediglich die Direk­torin der Schule ist halbwegs neutral. Die gegen­wär­tigen poli­ti­schen Konflikte zwischen China und den USA sind also deutlich zu bemerken. Das ist schade, denn dadurch wird die Film­aus­sage sehr pola­ri­siert, was für die Story nicht nötig gewesen wäre.

Der Plot insgesamt ist inter­es­sant und zeigt vor allem eine komplett andere Sicht- und Machweise der Filme­ma­cher, als man sie von Europäern oder Ameri­ka­nern kennt. Er macht den Film sehens­wert, die chine­si­schen Charak­tere sind viel­fältig und man fühlt mit ihnen. Blendet man die starke Abneigung gegen Ameri­kaner und die wieder­holt brutalen und eigent­lich für die Handlung in dem Ausmaße nicht wichtigen Kämpfe aus, bekommt man einen bild­ge­stal­te­risch anspruchs­vollen Film, der auf jeden Fall zum Nach­denken anregt.

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Im Nahkampf für Toleranz
von Katharina Lanner

Als der berühmte Wing Chun-Lehr­meister „Ip Man“ (Donnie Yen) Ende der 1960er Jahre erfährt, dass er an Krebs erkrankt ist, fährt er, um die Zukunft seines Sohnes Ching in Form einer Schule in dem USA zu sichern, nach San Francisco. Dort soll und will er zudem seinem ehema­ligen Schüler Bruce Lee (Danny Chan) helfen, eine Wing-Chun-Schule zu eröffnen. Als er jedoch dort eintrifft, wird er von den dortigen Menschen alles andere als freund­lich empfangen. Die so entstan­denen Konflikte arten schneller aus, als der Ip Man mit dem „Aufräumen“ hinter­her­kommen kann.

Im Zentrum der vier­tei­ligen Filmreihe, zu welcher Ip Man 4: The Finale, wie der Name schon sagt, den Abschluss bildet, steht der asia­ti­sche Nahkampf im Mittel­punkt. Die regel­mäßigen Kampf­szenen sind dominiert von mit bloßem Auge kaum bis nicht verfolg­baren Bewe­gungen, was den Film bewe­gungs­reich, aber die Wendungen in der Handlung teilweise unüber­sicht­lich werden lässt. Doch meist sind diese Unsi­cher­heiten mithilfe von verbalen Einwürfen oder sonstigen Reak­tionen über­spielt.

Inter­es­san­ter­weise ist der Film zwei­spra­chig gehalten, die gerade gespro­chene Sprache wurde „origi­nal­ge­treu“ beibe­halten. Dies trägt zum realis­ti­schen Erschei­nungs­bild bei und macht deutlich, dass es sich um eine wahre Geschichte aus den 1960er Jahren handelt, macht aber eine sinnvolle Über­set­zung schwierig, bezie­hungs­weise heraus­for­de­rungs­reich.

Neben dem Nahkampf steht das Thema der Toleranz gegenüber anderen Kulturen im Vorder­grund. Deutlich wird aufge­zeigt, auf welche Weise Rassismus zu unkon­trol­lier­baren Folgen führen kann. Als weiterer wichtigen Aspekt werden Eltern-Kind-Bezie­hungen aufge­führt und inwiefern diese das Leben und die gesell­schaft­liche Einstel­lung der Kinder beein­flussen können.

Auch der Film selbst nimmt die Rolle eines Erzie­henden ein. Als solcher appel­liert er gegen Rassismus und Völker­hass. Doch das hier vermit­telte Bild, dass so gut wie alle Probleme mit Gewalt lösbar sind, ist als Antwort auf die Frage nach einer Lösung des (noch immer aktuellen) Rassismus-Problems besonders aus unserer heutigen (euro­päi­schen) Sicht­weise eindeutig frag­würdig. Vor allem, da in diesem Teil der Filmreihe das Ende des Lebens im Mittel­punkt steht, sollte Gewalt nicht in diesem Rahmen gezeigt werden. Viel eher sollte im Vorder­grund stehen, dass ein Kampf nicht nur durch Gewalt gelöst werden kann, was in dem Film zwar indirekt durch die Verwar­nung der Schule des Sohnes Ip Mans aufge­griffen wird, aber eindeutig im Gesamt­kon­text untergeht. Besonders, da der einzige Kampf, der nicht mit Gewalt zu lösen ist, verloren wird…

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Poli­ti­scher Kampf
von Anna Lechner

Der vierte und letzte Teil der IP Man Reihe ist eine inter­es­sante Mischung aus chine­si­schem Action­film, fami­liärem Drama, aber auch Diskri­mi­nie­rung und poli­ti­schen Strei­tig­keiten.

Die Grund­ge­schichte ist einfach zu verstehen und baut nicht auf den vorhe­rigen Teilen auf, weshalb kein Vorwissen aus diesen notwendig ist. Einige neben­läu­fige Hand­lungs­stränge sind jedoch nicht schlüssig. Es werden Dinge ange­rissen und wieder fallen gelassen. Beispiels­weise wird der Vorsit­zende der CBA Wan Zong-hua plötzlich sowohl von dem Offizier Barton als auch von den ameri­ka­ni­schen Behörden ange­griffen, um die Spannung zu erhöhen. Sobald es zum Kampf zwischen Barton und Wan Zong-hua kommt spielen die Behörden danach keine Rolle mehr. Dies lässt die Story brüchig wirken. Auch darüber hinaus entsteht durch die erzwun­gene Spannung Unschlüs­sig­keit, zum Beispiel als zahl­reiche sehr hohe und gute chine­si­sche Kampf­meister zusammen voll­kommen chan­cenlos gegenüber Barton Geddes sind und nur IP Man allein ihm die Stirn bieten kann. Und auch in anderen Kämpfen sieht man eine Chan­cen­lo­sig­keit, die die Ausein­an­der­set­zungen ziemlich unglaub­würdig wirken lassen.

Das Haupt­in­ter­esse liegt natürlich auf den Kampf­szenen, die vor allem auf Grund der heraus­ra­genden Choreo­gra­phien und toller Kame­rafüh­rung sowie Schnitt sehr beein­dru­ckend sind und Spaß machen. Sie verleihen dem Film eine Dramatik, die Spannung und Action, aber auch einen gewissen, aber gut auszu­hal­tenden Grad an Bruta­lität einbringt. Aller­dings muss dazu gesagt werden, dass die Kampf­szenen nicht besonders reali­tätsnah sind, was jedoch in gewisser Weise zu einem Action-Film auch dazu gehört. Die Moves sind teilweise ziemlich über­stei­gert und könnten in dieser Weise nur mit über­mensch­li­cher Sprung­kraft und Geschwin­dig­keit zu meistern sein. Außerdem sind die Kämpfe so lang, dass kein Mensch auch gegen Ende noch mit so viel Energie kämpfen könnte, vor allem wenn er schon so nieder­ge­schlagen wurde. Während die Musik sehr positiv zu einem tollen Erlebnis beiträgt, sind die Geräusche, die die Figuren von sich geben, eher lächer­lich und besonders unnötig. Ein weiteres großes Thema ist die Diskri­mi­nie­rung der Chinesen in den USA. Die Ameri­kaner werden ziemlich einheit­lich als schlecht darge­stellt und erfüllen vom bitchigen, neidi­schen High­school Mädchen bis zum rassis­ti­schen, befehls­ha­be­ri­schen Offizier alle Klischees.

Diese auch für die Zeit etwas zu extreme und einsei­tige Darstel­lung führt eher zu Unglaub­wür­dig­keit, was besonders bei diesem doch sehr wichtigen und auch aktuellen Thema – man schaue nur auf die gegen­wär­tigen Span­nungen zwischen den USA und China – sehr schade ist, den Film aber gleich­zeitig als Kommentar zur Gegenwart verstehen lässt. Dazu kommen einige andere Dinge, die nicht außer acht zu lassen sind. Zum einen ist der Hass der ameri­ka­ni­schen Schülerin Becky auf Yonah Wan, die Tochter des Vorsit­zenden der CBA, nicht wirklich rassis­tisch, sondern eher aus Neid und Eifer­sucht begründet. Und zum anderen möchte der rassis­ti­sche Mari­ne­of­fi­zier Barton die Chinesen ausge­rechnet mit der japa­ni­schen Kampf­kunst Karate besiegen, was eher gegen seine Abneigung gegen alle Ausländer und damit gegen die Darstel­lung seiner Figur spricht.

Insgesamt ist der Film dennoch lohnens­wert anzusehen und über­trifft meine Erwar­tungen an einen chine­si­schen Action­film bei weiten. Auch wenn kleine unnötige Wider­sprüche in der Handlung und Figu­ren­dar­stel­lung einfach zu vermeiden gewesen wären, fällt es nicht schwer, diese außer acht zu lassen und ein span­nendes Kino­er­lebnis genießen zu können. Auch die emotio­nale Ebene wird ange­spro­chen, was den Zuschauer mitreißt. Doch besonders Fans des Kampf­sports dürften hier auf ihre Kosten kommen.