Fallende Blätter

Kuolleet lehdet

Finnland 2023 · 81 min. · FSK: ab 12
Regie: Aki Kaurismäki
Drehbuch:
Kamera: Timo Salminen
Darsteller: Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen, Nuppu Koivu, Matti Onnismaa u.a.
Eine Art versöhnlicher Epilog oder Teletubbies für Erwachsene?
(Foto: Pandora)

Die ewig Wartenden

Aki Kaurismäki übertrifft sich selbst: Fallende Blätter ist ein meisterhaftes Spätwerk, eine komische und bittere Rückkehr in eine ausgestoßene Welt

Treffen wir uns am Kino!? Kauris­mäki lässt seine Haupt­fi­guren einen Film sehen. Romantik soll das Date verspre­chen, aber wo bleibt die Romantik? Einsichten soll die kultu­relle Begegnung verschaffen, aber welche Einsichten? Allein, es fehlt eine Sprache, das Erfahrene überhaupt beschreiben zu können. Zwei altkluge Herren fühlen sich beim Verlassen des Saals an Bresson und Godard erinnert – es lief Jim Jarmuschs Zombie­komödie The Dead Don’t Die. Wenn Ansa und Holappa das Kino verlassen, dann über­tüncht immerhin das Gefühl einer geteilten Situation ihre Sprach­lo­sig­keit. Doch Kauris­mäki wird sie wieder entzweien. Abwech­selnd warten beide vor jenem Kino, um einander wieder­zu­sehen. Doch man verpasst sich. Die schwülstig viel­be­schwo­rene Magie des Kinos wird bei Kauris­mäki zum hoffenden Warten, dass alles einmal besser werden möge, wohl­wis­send, dass dieses Bessere mit einer bloßen Welt­flucht nie zu erreichen ist. Es benötigt ganz andere Wege des Austauschs.

Einmal wird Ansa enttäuscht. Im Kino werden bereits die Lichter gelöscht, Holappa ist nicht da. Auf dem Boden findet man nur noch eine verglim­mende Zigarette. Das ist einer dieser poeti­schen, in ihrer nüch­ternen Beob­ach­tungs­gabe herz­zer­reißenden Momente, von denen der Film eine ganze Reihe auffährt. Fallende Blätter ist in nur 81 Minuten Laufzeit ein ungeheuer stil­si­cheres, mit unver­kenn­barer Hand­schrift insze­niertes, ausge­feiltes Spätwerk. Jede Pointe sitzt, jede kleinste Regung in all der nonver­balen Kommu­ni­ka­tion ist mit Bedeutung aufge­laden. Ein „kleines“ Werk höchstens, weil es keine großen Gesten braucht, sondern sich bedächtig anschleicht und den Fokus auf verschie­dene, neben­ein­an­der­ste­hende Vignetten richtet, die aber von großen Fragen und Zusam­men­hängen erzählen.

Was kostet die Liebe?

Kauris­mäki ist ein Bewahrer eines prole­ta­ri­schen Kinos, das mit einzig­ar­tigem Gespür für Milieus und Bezie­hungen in die Welt der Über­se­henen eintaucht. Alma Pöysti und Jussi Vatanen spielen die beiden melan­cho­li­schen Figuren, welche Kauris­mäki dieses Mal durch den Alltag von Helsinki begleitet. Beide leben in prekären Verhält­nissen, tingeln von einem Job zum nächsten, der wieder nur geringen Lohn zum Leben bietet. Kauris­mäkis Figuren sind zu reich, um zu verhun­gern, aber zu arm, um sich überhaupt unbe­schwert verab­reden zu können. Blumen, Geschirr, Sekt – Was kostet das erste Date?

In einer Karao­kebar lernen sich Ansa und Holappa kennen, wo Stimmen gefunden und Stimmen geölt, wo sehn­suchts­volle Schlager gesungen werden. Überhaupt die Schlager und all die anderen Songs! Sie liefern die Beglei­tung, wenn Männer in Kneipen trinken, weil sie frus­triert sind, und frus­triert sind, weil sie trinken. Sie erhellen die Stimmung nach den beschwer­li­chen Arbeits­tagen. Aber sie bieten auch die Möglich­keit, den Raum überhaupt noch mit Emotionen zu füllen, die man sich sonst nicht auszu­drü­cken vermag. Sie bringen die Welt wieder ins Sprechen, die mit Kauris­mäkis Das Mädchen aus der Streich­holz­fa­brik 1989 in völliger Tristesse erstarrt zu sein schien. Insofern gerät Fallende Blätter zu einer Art versöhn­li­chem Epilog für seine frühere prole­ta­ri­sche Trilogie.

Ansas und Holappas sehn­süch­tige Liebe will aller­dings nicht so recht in die Gänge kommen: Sie scheitert an Unglücken, Zufällen, an Holappas Alko­hol­sucht. Ansa sagt sich zunächst von ihm los. Der Alkohol hat in ihrer Familie Verhee­rendes ange­richtet. Doch ist damit das letzte Wort gespro­chen? Kauris­mäki fasst seine Figuren keines­wegs mit Samt­hand­schuhen an. Gewiss, sein Kino ist von einer altlinken Melan­cholie durch­drungen, welche nach dem Ursprüng­li­chen, Emotio­nalen in einer verarmten Arbei­ter­klasse suchen will, während die kapi­ta­lis­ti­sche Sphäre in Kälte verküm­mert. Aber Fallende Blätter genügt keine roman­ti­sche Verklärung!

Die alten Untoten

Kauris­mäki versieht seine Charak­tere mit so vielen Ecken und Kanten, so vielen Wider­sprüchen. Verlet­zendes tun sie sich an. Man lebt anein­ander vorbei. Über ihr Refle­xi­ons­ver­mögen lässt uns ihr Verstummen im Unklaren. Ihre Schönheit entsteht aus der Gleich­zei­tig­keit, mit der ihre mal schroffe, mal nach­denk­liche, herzliche Art des Umgangs mit der Bruta­lität und den syste­mi­schen Mecha­nismen ihres Milieus kolli­diert. So, wie auch Kauris­mäkis Kino seinen berühmten trockenen Humor aus der Über­lap­pung von Grau­sam­keit, Weisheit und Situa­ti­ons­komik speist.

Der Finne insze­niert in ange­rauten Bildern alltäg­liche Verrich­tungen, die das Wirt­schaften und Konsu­mieren am Laufen halten: das Befüllen der Regale, Scannen von Fleisch an der Kasse, das Reinigen von Gläsern, Ackern in den Fabriken und auf den Baustellen, wo Arbeiter kommen und gehen und Ausfall nicht gestattet ist. Wo lieber Kündi­gungen ausge­spro­chen werden, anstatt sich Problemen zu stellen, die die Produk­ti­vität hemmen könnten. In den Privat­räumen mit dem alten Mobiliar scheint indes die Zeit still­zu­stehen. Würde nicht im Radio vom Ukraine-Krieg gespro­chen werden, könnte man denken, die Figuren befänden sich in einem vergan­genen Jahr­hun­dert.

In der Tat hausen dort Gegen­wär­tige, die aus der Zeit fielen. Sie wurden von einer Welt überholt, die verschweigt, dass das Verspre­chen von Wohlstand und Freiheit eben nicht für alle gilt. Man lässt sich hier von Tag zu Tag treiben, ohne irgend­eine Perspek­tive auf Besserung erhaschen zu können. Eine zombi­fi­zierte Welt der Routinen – da sind wir wieder bei den Untoten im Kino! Kauris­mäki speist aus dieser Zombi­fi­zie­rung und ihrem Sowohl-als-Auch insze­na­to­ri­sche Meis­ter­klasse und er versieht sie mit einer span­nenden selbst­re­fle­xiven Zäsur über die Fall­stricke und Grenzen des Einfüh­lens.

Von der Möglich­keit des Umschal­tens

Doppelte Grenzen werden aufge­zeigt. »Verdammter Krieg!«, sagt Ansa über die Nach­richten im Radio. Doch das Schreck­liche der Welt ist leicht aus der Wahr­neh­mung verdrängt. Umschalten: Auf dem nächsten Sender singt man wieder Schlager. Susan Sontag schreibt in ihrem berühmten Essay »Das Leiden anderer betrachten« dazu: »Menschen können für Schrecken unempfäng­lich werden, weil sie den Eindruck gewinnen, dem Krieg – jedem Krieg – sei kein Ende zu machen. Mitgefühl ist eine instabile Gefühls­re­gung. Es muss in Handeln umgesetzt werden, sonst verdorrt es.«

Die Verhär­tung, von der Sontag daran anschließend spricht, begegnet einem auch in Fallende Blätter in vielerlei Gestalt. Die Anpassung an die ökono­mi­sche Ordnung, Ohnmacht, Mitleid als empfun­dene Pflicht, während man mit dem eigenen Elend genug beschäf­tigt ist – all das legt die gedank­li­chen Scheu­klappen an. Man wartet einfach weiter. Was nicht bedeutet, dass Kauris­mäkis Figuren nicht hoch­sen­sible, hoch­emp­find­same Menschen wären! Nur zeigt er das Empfinden als unein­deu­tigen Zustand, der, wie bereits erwähnt, das Fühlen und Abstumpfen, Nähe und Ferne, Zuneigung und Grau­sam­keit in das staub­tro­ckene Tragi­ko­mi­sche übersetzt. Allein so scheint ihm das Beob­achten und Über­denken dieser Welt noch möglich zu sein.

Wie begegnet denn das Publikum nicht nur dem Krieg, sondern dem gesamten Prekariat auf der Leinwand? Susan Sontag: »Das Mitgefühl, das wir für andere, vom Krieg und einer mörde­ri­schen Politik betrof­fenen Menschen aufbringen, beiseite zu rücken und statt dessen darüber nach­zu­denken, wie unsere Privi­le­gien und ihr Leiden überhaupt auf der gleichen Landkarte Platz finden und wie diese Privi­le­gien […] mit ihren Leiden verbunden sind, insofern etwa, als der Wohlstand der einen die Armut der anderen zur Voraus­set­zung hat – das ist eine Aufgabe, zu deren Bewäl­ti­gung schmerz­liche, aufwüh­lende Bilder allen­falls die Initi­al­zün­dung geben können.«

Also versucht es Kauris­mäki mit dem erzählten Bruch, mit Sprüngen und Auslas­sungen. Mit Schick­sals­schlägen, die dem Drama der schwüls­tigen Schlager das Wasser reichen können, aber dem Aufwüh­lenden keine reiße­ri­schen Effekte schenken. Seine provo­zierte Initi­al­zün­dung, wenn man davon überhaupt sprechen will, braucht eine solche Form der Irri­ta­tion. Und er versucht es im Zwei­fels­fall mit dem Lachen statt der Senti­men­ta­lität und dem aufge­setzten, betu­li­chen Mitgefühl, um uns zum Reflek­tieren zu bewegen. Von der subver­siven Kraft des Lachens wusste schließ­lich auch Chaplin, der nun als kleiner Hund durch diese Bilder spukt.

Öder geht's nimmer

Arme Poesie statt Poesie der Armen: Der neue Film von Aki Kaurismäki strotzt von jener universalen Niedlichkeit, die den Finnen zum Lieblingsregisseur des gebildeten Kleinbürgertums macht

»Ich bin depri­miert.« – »Warum?« – »Weil ich soviel trinke.« – »Wieso trinkst du dann?« – »Weil ich depri­miert bin.« – Dialog­aus­schnitt

Was ist eigent­lich so toll an Losern? Was ist so toll an dieser komischen Welt des Finnen Aki Kauris­mäki? Warum muss jeder Film von dessen Fans – und es gibt nicht wenige, vor allem unter Film­kri­ti­kern einer gewissen Gene­ra­tion – dann gleich als »Comeback« (so »Der Spiegel«) kommen­tiert werden, als »wunderbar lakonisch« (»Der Tages­spiegel«) und als »melan­cho­lisch« (»Die Zeit«)? Wo sie ja doch in aller­erster Linie mal so abge­schmackt ist, wie die Sozi­al­de­mo­kratie von Franz Münte­fe­ring, die aber auch positiver kommen­tiert wurde, als sie es verdient hätte.
Mit Melan­cholie hat das sowieso ganz und gar nichts zu tun, denn Melan­cholie setzt Reflexion voraus und Ironie und Gelas­sen­heit. Das, was die Leute, die von Melan­cholie schreiben, eigent­lich meinen, das ist Depres­sion.
Kauris­makis Kino ist Depres­si­ons­kino. Das emotio­nale Pendant zum »Problem­film«.

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Robert Menasse hat irgend­wann einmal einen Text über »Die wohl­fahrts­staat­liche Ästhetik« geschrieben. Es ging darin natürlich um Öster­reich, und um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht mehr, was Menasse da eigent­lich genau gesagt hat. Aber der Begriff ist mir im Gedächtnis hängen geblieben, und ich habe mir immer dazu alles Mögliche, sehr Konkrete vorge­stellt: Grau in Grau, Sessel und Sofas mit Cord­pols­tern, Frottee-Jacken, grüne Teppiche, schlecht gestri­chene Wände, holz­ge­tä­felte Eckkneipen, Akten­mappen in braunen Hänge­ord­nern, traurige Gesichter – ein Leben wie in einem Kauris­mäki-Film.

Klar: es gab einmal eine Zeit, da war das alles inter­es­sant. Da war es zumindest neu. Aber diese Zeit ist mindes­tens 25 Jahre vorbei. Seitdem ist Aki Kauris­mäki der Verwalter dieser univer­salen Nied­lich­keit, die er in seinen Filmen selbst geschaffen hat.
Denn schon damals war Kauris­mäki welt­an­schau­lich ein Reprä­sen­tant der schlechten Seite der Post­mo­derne, der Seite, die vor allem der alten klas­si­sche Moderne ihre Sünden vorhalten und sie letzt­end­lich zerstören wollte, dem alles Spie­le­ri­sche und alle Ironie, wie man sie in Filmen von Peter Greenaway finden konnte, komplett abging, der alles auf merk­wür­dige Weise ernstnahm, um es dann doch achsel­zu­ckend zu rela­ti­vieren.

Diese univer­sale Nied­lich­keit eines Kauris­mäki-Films, die macht mich zuge­ge­be­ner­maßen einfach miss­trau­isch. Das ist genauso, wie ich als Kind kein Barbapapa-Fan war und später auch die Tele­tub­bies nie mochte. Genau genommen sind Kauris­mäki-Filme Tele­tub­bies für Erwach­sene: Man sieht Dinge, die einem gut gefallen, die Welt ist schöner als in echt und auch bunter. Deswegen ist auch noch gar nichts gegen Kauris­mäki zu sagen. Nur würde halt niemand die Tele­tub­bies als große Kunst bezeichnen. Kauris­mäki dagegen schon.

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Was mich schon nicht zuletzt ärgert, das ist, dass es gar keine Verrisse gibt. Keinerlei Distanz. Einfach überhaupt keine. Aber zu jedem Film gibt es Verrisse, ganz egal, wie gut er ist. Zu den aller­besten gibt es sogar ziemlich viele. Weil sie spalten, weil sie zuspitzen, weil sie nicht alle für sich vereinen können und dafür andere richtig leiden­schaft­lich für sich gewinnen. Aber dieser Regisseur aus Finnland rührt eine so lauwarme wohlige Filmsuppe, dass jeder sich reinlegen kann, wie in eine lauwarme Badewanne. Wie gesagt, keine Verrisse. Noch nicht einmal die immer lesens­werte Lida Bach, auf die in Hinsicht auf Nega­ti­vismus sonst wirklich Verlass ist – und das schätze ich an Lida Bach außer­or­dent­lich –, noch nicht einmal ihr fällt viel mehr ein, als dass im Kauris­mäki-Kosmos »nach 30 Jahren alles verbraucht wirkt: der Humor, der Hund und auch der Huma­nismus.«

Was zwar stimmt, aber doch eine irrwit­zige Unter­trei­bung ist, denn er wirkt nicht nur verbraucht, sondern wahn­sinnig müde, und das nicht erst nach 30 Jahren, sondern genau genommen hat er auch schon vor 15 Jahren so gewirkt.

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Natürlich: Es gibt immer die Musik. Sie rettet uns in traurigen Momenten, und sie rettet auch jeden Film von Aki Kauris­mäki. Bloß stammt sie halt von Leuten wie Yves Montand, Franz Schubert, Dean Martin, Peter Tschai­kowsky, der Band Maus­te­tytöt. Der Titel stammt aus »Les Feuilles mortes«, einem Gedicht von Jacques Prévert, das von Yves Montand vertont wurde.
Und es gibt das Kino. Diesen neuen Film hat der finnische Regisseur mit Film­pla­katen zugehängt. Aus jedem Hinter­grund lugt ein Plakat­motiv hervor: Rocco und seine Brüder von Visconti; Le mépris, Pierrot le fou von Godard; David Leans Brief Encounter, Jean Renoirs A Country Game und vor allem City Lights von Chaplin.

Ist das die Kunst der Banalität oder die Banalität des Kunst­hand­werks? In jedem Fall ist es in seiner Überfülle Denk­faul­heit, Aneignung fremder Lorbeeren, sozusagen post­mo­derne Raubkunst und Wert­stei­ge­rung des eigenen Produkts aus dritter Hand. Keine »Verbeu­gung vor der Film­ge­schichte« wie es dann gern heißt.

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Was ist eigent­lich so toll an Losern? Ansa und Holappa heißen sie diesmal. Sie sind typische Bewohner der Kauris­mäki-Welt. Einer Welt der Armen. Der Ernied­rigten und Belei­digten des Lebens, in diesem Fall eine Super­markt-Ange­stellte und ein Bauar­beiter.
In der Tristesse eines Karaoke-Abends lernen sie sich kennen. Sie gehen gemeinsam ins Kino, um einen Zombie­film zu sehen, aber natürlich wenn schon, denn schon einen von Jim Jarmusch. Als sie aus dem Kino kommen, sagt jemand, dass ihn der Film an Robert Bressons Film Tagebuch eines Land­pfar­rers erinnert. Verweise für Kenner, Kino für Studis, die noch lernen, richtig Fußnoten zu machen, und sich daran ergötzen, alle Verweise zu erkennen. Anstatt selber welche zu setzen.

Die so schamhaft wie eilig ausge­tauschte Tele­fon­nummer ist dann irgendwie weg. Nicht einmal die Namen haben sie sich gemerkt.... Wie das eben bei Losern so ist.

Dann aber bricht das Wunder in ihr Leben ein, wie es das immer tut bei dem finni­schen Kult­re­gis­seur. Und das Leben geht wahn­wit­zige aussichts­lose Umwege, um genau da anzu­kommen, wo es muss, um die Menschen, oder sagen wir besser: Die Film­fi­guren glücklich zu machen.
Werkzeuge des Wunders werden – auch das ist nichts Neues bei Kauris­mäki – der Alkohol und ein Unfall. Sie bringen Holappa ins Koma. Beide verlieren ihre Jobs.

Und so wäre es kein Film des ebenso trau­rigsten wie witzigsten Clowns des Weltkinos, Aki Kauris­mäki, wenn das Schicksal nicht doch noch einen Weg finden würde, diese beiden Glück­losen wieder zusam­men­zu­bringen. Solchen Geschichten – von den dunklen Wolken im Leben, die irgend­wann vorü­ber­ziehen und dem kleinen Glück inmitten der großen Trau­rig­keit – hat der finnische Regisseur sein ganzes filmi­sches Schaffen gewidmet. Mit stilis­ti­scher Strenge verweist er stets auf das kleinste anzu­neh­mende Glück.

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Kauris­mäkis Welt ist eine Welt des bühnen­haften Settings, die zumeist in den Arbei­ter­so­zi­al­be­zirken Helsinkis spielt, oder an Orten, die zumindest genau so aussehen.
Eine Welt des süßlichen abge­stan­denen Sozi­al­idea­lismus, die immer schon rücks­tändig war und sein sollte, aber noch nie so altbacken wirkte.
Eine Welt der drama­tur­gi­schen und dialo­gi­schen Reduktion.

Auch Kauris­mäki hat viele Filme gedreht. Zwischen 1981 und 1999 drehte er jedes Jahr ein oder zwei Filme. Ab einem bestimmten Punkt begann er, seine Schlag­zahl zu entspannen. Bis zu dem Punkt, an dem er in dreizehn Jahren nur noch zwei Spiel­filme gedreht hat, Die andere Seite der Hoffnung (2017) und jetzt Fallende Blätter (2023).

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Ganz lässt sich die Realität aus diesem Tristesse-Universum nicht ausblenden. Im Radio kommen ständig Nach­richten über getötete Zivi­listen im Krieg in der Ukraine, die Welt scheint sich von der Liebe abzu­wenden. Doch von hier aus filmt Kauris­mäki eine Geschichte von Miss­ver­s­tänd­nissen, Tren­nungen, Wieder­sehen, die von den bösen Spielen geprägt ist, die der Zufall manchmal mit den Liebenden treibt; aber auch eine des Wieder­fin­dens.
Der Sinn dieser sehr traurigen, zugleich witzigen Liebes­ge­schichte mit Happy End, ist, uns die Liebe als höchste Form des Huma­nismus zu zeigen.

Dieser Film ist eine Liebes­er­klärung an die Menschen, die nie eine machen würden. Die zugleich aber ganz wunderbar in einer holz­ge­tä­felten Eckkneipe ihre Lebens­zeit absitzen können. Ein echter Kauris­mäki eben.

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Was also ist so toll an Losern? Viel­leicht, dass wir alle welche sind. Und dass Kauris­mäki uns lehrt, uns selber unsere Schwächen zu verzeihen. Viel­leicht sollten wir beginnen, wieder unsere Stärken zu lieben?
Denn auch wer keine Kauris­mäki-Filme mag, ist deswegen noch lange kein schlechter Mensch.