Deutschland/Ungarn 1993 · 80 min. · FSK: ab 6 Regie: Dagmar Knöpfel Drehbuch: Dagmar Knöpfel Kamera: Miklós Gurbán Darsteller: Carl Achleitner, Tómas Jordán, Eva Igó, Klaus Händl, Zoltán Gera |
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Adalbert Stifters Novelle in lichtvollem Schwarzweiß – zum 150. Todestag |
Eine weite Landschaft, ganz ohne süßliche Bukolik. Keine Hügel, die sich erheben, keine verschlungenen Pfade, die ein Abenteuer verheißen. Stattdessen: der Nullpunkt der Natur. Es ist jedoch eine herbe Schönheit, die sich in dieser Kulturlandschaft offenbart: gerade Kanäle durchziehen die im Saft stehenden Wiesen, die Gräser schimmern sanft, wiegen sich in der Brise, plötzlich ein Feld von Margeriten, das leuchtend weiß den Blick auf sich zieht.
Dagmar Knöpfel hat diese unspektakulär-schöne Landschaft in Ungarn gefunden und sie in weichem Schwarzweiß für ihr Kino-Spielfilmdebüt Brigitta eingefangen, das sie 1994 realisierte. Die Jahre davor, seit ihrem Abschluss an der Hochschule für Fernsehen und Film München 1986, hatte sie überwiegend mit Dokumentationen verbracht. Wie sie die Natur in Brigitta einfängt, verrät die Beobachtungsgabe einer geübten Dokumentaristin.
Hier ist es ein junger Maler, durch dessen Augen wir die Landschaft sehen; er ist für die Schönheit empfänglich, auch wenn sie sich als unkonturierte Natur zeigt. Knöpfel hat mit den Bildern (Kamera: Miklós Gurbán, der auch für Béla Tarrs Die Werkmeisterschen Harmonien fotografiert hat) ein sinnliches Gleichnis geschaffen für Brigitta, die Titelfigur. Allein schon, wie der erste Blick auf das Margeriten-Feld fällt: Margerite – Brigitta, ein sprachlicher Fast-Reim, auf den sich auch visuell reimt, wenn Brigitta auf einem Pferd mitten aus der Landschaft auftaucht. Brigitta ist eine herbe Schönheit – wenn überhaupt. So heißt es in der gleichnamigen Novelle von Adalbert Stifter, die Knöpfel zur Vorlage nahm. Brigitta war so hässlich, dass sie als Kind von ihrer Mutter unbeobachtet aufwuchs, dadurch aber Kraft und Selbstbewusstsein bekam – die blühenden Landschaften, dort, wo einst Sumpf und Brache waren, sind ihr Lebenswerk.
Brigitta ist einer der berückendsten deutschen Filme, die man seit Edgar Reitz' Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht sehen konnte. Auch Dagmar Knöpfels Film ist wie getrieben von diesem Sehnsuchtsgefühl, das sich hier in einer fremden Heimat manifestiert, in dem Ungarn, das der Maler durchwandert, um einen alten Freund zu besuchen, und wo er auch Brigitta finden wird. Der Verleih Alamode hat den Film nun digital restauriert und bringt ihn neu als DVD heraus – die Kino-Premiere findet am heutigen Donnerstag im Filmmuseum München statt.
Es ist zu hoffen, dass Brigitta auch in anderen Kinos wieder auf der Leinwand zu sehen sein wird, so stark und elegisch sind die wogenden Schwarzweißaufnahmen, so gekonnt der sparsame Einsatz der Musik, die sich an den traditionellen ungarischen Volksinstrumenten orientiert, ohne jemals folkloristisch zu sein. Der Film erinnert in mehrfacher Hinsicht auch an den jüngst im Filmmuseum München wiederaufgeführten Laurin (1989) von Robert Sigl. Auch er ist in Ungarn gedreht – die Produktionsbedingungen müssen dort Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre fantastisch gewesen sein. Beide haben einen fast durchgängig ungarischen Cast. Brigitta wird von Éva Igó gespielt, neben ihr zu sehen ist (der Deutsche) Klaus Händl, der im Filmmuseum einen Auszug aus Stifters Novelle lesen wird. Der Dreh mit dem ungarischen Cast führt in beiden Filmen auch zu einer entrückten Verwunschenheit, so unterschiedlich die Filme sind – hier ein Horror-Märchen, dort eine sinnliche Literaturverfilmung. Bei Knöpfel steigert sich gegenüber der Sigl'schen Nachsynchronisation die Sprachfremdheit noch einmal, indem sie ganz auf die Lautung des Ungarischen vertraut, das zunächst wie ein sehr phantasievolles Italienisch klingt. Worauf der Maler antwortet: »Dein Kauderwelsch ist ja ganz gut gereimt / es ist ein bisschen dürftig nur verleimt. / Und während ich dich hier bedenk mit Spott, / ist mir, fürcht ich, zerflossen mein eigenes – Kompott.«
Beiden Filmen ist leider auch gemeinsam, dass sie zu ihrer Entstehungszeit keine Förderung erhielten, also von den einschlägigen Gremien schlichtweg nicht erwünscht waren. Knöpfel ist – wie auch Sigl – einen eigenen Weg gegangen, hat eine Produktionsfirma und einen Verleih gegründet. Nicht auszudenken, angesichts dieses nach Laurin entdeckten zweiten Meisterwerks, wie unsere Filmlandschaft heute aussähe, wenn Filme wie von Knöpfel oder Sigl damals auf eine weitsichtige Filmförderung gestoßen wären. Die neuen Richtlinien der FFA, nach der nur erwartbare Besuchermillionäre gefördert werden, lässt nicht darauf schließen, dass sich hier im Kern etwas geändert hat. Oder ändern wird.