03.02.2000

»Ist Helmut Kohl erotisch?«

Jasmin Tabatabai
Frau Tabatabai

Ein Gespräch mit Jasmin Tabatabai über Late Show, über Macht und über anderes

Jasmin Tabatabai gehört zu den besten und erfog­reichsten deutschen Schau­spie­le­rinnen ihrer Gene­ra­tion. Nicht so blond und glatt wie andere setzt man die in Persien Geborene, in Deutsch­land Aufge­wach­sene gern als verfüh­re­risch-exotische femme fatale ein. So auch in Helmut Dietls Late Show, so in Oskar Roehlers Gierig, der demnächst anläuft, und in Xavier Kollers Tucholsky-Verfil­mung Gripsholm, der im kommenden Herbst in den Kinos zu sehen ist.
Mit Jasmin Tabatabai sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Zuletzt hast Du in Helmut Dietls Film Late Show eine toughe Medi­en­frau gespielt: Carla. Wie charak­te­ri­sierst Du Deine Rolle?

Jasmin Tabatabai: Carla hat in ihrer Jugend immer fern­ge­sehen, und fand Alexis Colby ganz toll. Eine Frau, der das was sie tut sehr wichtig ist, die dabei so weit wie möglich kommen will, da manchmal Wege geht, über die man streiten kann. Im Grunde genommen ist sie eine Gefangene ihres eigenen Ehrgeizes und ihrer Macht­sucht, und fällt damit ja auch ganz schön auf die Schnauze.
Generell ist es natürlich immer eine dankbare und schöne Rolle, wenn man unge­straft allen möglichen wichtigen und promi­nenten Leuten Gemein­heiten an den Kopf werfen darf.

artechock: Das ist jetzt das erste Mal, daß Du so eine richtige böse Frau, eine mächtige Intri­gantin spielst...

Tabatabai: In der Form auf jeden Fall, ja. Das hat auch sehr viel Spaß gemacht.

artechock: Wie ist das, wenn Frauen mächtig sind? Sind die anders mächtig als Männer?

Tabatabai: Es gibt so wahn­sinnig wenig Frauen in der Enter­tain­ment-Branche, die wirklich mächtig sind. Madonna ist da sicher eine Vorrei­terin. Ich persön­lich betrachte mich nicht als besonders mächtig, deswegen kann ich das schlecht sagen.

artechock: Machtgeil, macht­be­sessen ?

Tabatabai: Ich glaube, Macht­trieb ist einfach eine mensch­liche Eigen­schaft. Ich versuche halt immer davon auszu­gehen, das kein Mensch als Arschloch oder als macht­be­ses­sener Mensch auf die Welt kommt. Also überlege ich mir: was könnte das sein ? Was ist das ? Ich glaube daß Macht­trieb wie jede Art von Sucht eine Kompen­sa­tion ist für einen Mangel. In jedem Fall ist das bei dieser Carla ihre Art, geliebt werden zu wollen. Wenn Sie gut ist, machtvoll ist, dann wird sie dafür geliebt. Im Grunde genommen will jeder Mensch für das, was er macht, geliebt und akzep­tiert werden. So einfach ist das, glaube ich.

artechock: Ist es so, daß Menschen leichter geliebt werden, wenn sie mächtiger sind, oder ist das dann schwie­riger ?

Tabatabai: Ich weiß es ehrlich gesagt nicht genau. Ich selbst fühle mich nicht so mächtig. Aber ich kann mir schon vorstellen, daß es gefähr­lich werden kann. Es gibt ja Liebe und Liebe. Wieviel gute, richtig gute Freunde hat man im Leben? Die kann man an einer Hand abzählen. Und in dem Moment, wo Du entweder prominent wirst, oder sehr mächtig, hast Du unglaub­lich viele Leute, die davon profi­tieren, daß sie sich in Deiner Umgebung aufhalten, von Deiner Energie etwas abkriegen. Ich glaube, man wird unglaub­lich vorsichtig und mißtrau­isch.

artechock: Ist Macht erotisch?

Tabatabai: Ist Helmut Kohl erotisch? [LACHT] Viel­leicht für Deine Oma...

artechock: Wie ist es bei Dir? Wenn Du Karriere machst, mußt Du in gewisser weise auch Macht ausstrahlen, zumindest so eine Coolness, Toughness ausstrahlen. Bei manchen Leuten kommst Du damit übel an. Kennst Du das auch ?

Tabatabai: Schau­spieler haben es da einfacher. Das ist ein Job, bei dem einem unglaub­lich viel nach­ge­sehen wird. Denn man weiß ja, daß Schau­spieler dadurch, daß sie ihren Körper, ihre Stimme und ihr Gesicht als Instru­ment einsetzen, sich auch angreifbar machen. Und viele sehen es einem nach, wenn man 'mal schlecht drauf ist, oder unsicher. Insofern fühlt man sich als Darsteller ein bißchen aufge­ho­bener und freier.
Aber jeder, der diesen Beruf ergreift, ist zu einem bestimmten Ausmaß Exhi­bi­tio­nist, und mag das auch.

artechock: Du bist es jeden­falls?

Tabatabai: Ja natürlich. Sonst wäre ich nicht Schau­spie­lerin. Ich verkaufe meine Emotionen, mein Wesen, mein Ich, meine Seiten – und ich möchte, daß mich Leute dabei sehen, und mich dafür mögen. Das ist jeder. Wer immer behauptet: Ich bin Schau­spieler, und will dabei nicht gesehen werden, lügt.
Es ist ein Beruf, der exhi­bi­tio­nis­tisch ist. Man muß so etwas in sich haben, und das auch genießen.

artechock: Apropos Exhi­bi­tio­nismus: es gibt in Late Show Szenen, in denen Du nackt zu sehen bist... Zum ersten Mal ?

Tabatabai: Nee, leider nicht zum ersten Mal.

artechock: Leider? Ist das blöd für Dich, oder...

Tabatabai: Nee. Ich finde, das ist Teil meines Berufes. Wenn es einen Sinn macht, und hier macht es sehr viel Sinn. Und wenn es darü­ber­hinaus auch noch schön photo­gra­phiert ist, daß man nicht scheiße dabei aussieht, dann ist es auch völlig ok.
Das ganze dann später anzu­gu­cken, womöglich noch mit meiner Mutter nebendran oder mit meiner persi­schen Familie, ist eine andere Geschichte. Das ist dann halt...

artechock: Die gucken das schon an?

Tabatabai: Jaa. [LACHT] Aber das ist dann der Moment, wo ich dann über meinen Schatten springe und meine Erziehung, meine Herkunft.

artechock: Bist Du denn so tradi­tio­nell erzogen ?

Tabatabai: Nein, ich komme aus einer sehr modernen persi­schen Familie. Aber natürlich ist das schon sehr... Also: ich gehe schon sehr weit. Es ist schon eine sehr andere Welt, in der ich große Teile meiner Kindheit verbracht habe. Und das ist teilweise noch heute kompli­ziert. Ich lebe schon sehr lange in Deutsch­land, und betrachte mich auch sehr klar als Europäerin. Aber wenn ich auf meine Verwandten treffe, die noch im Iran leben, merke ich schon: das ist eine andere Welt. Das ist eine Kultur – soviel anders war es ja hier vor einiger Zeit auch nicht – in der die größte Leistung einer Frau darin besteht, sich einen möglichst reichen Mann zu angeln. Das ist gut, und alles andere... Für einen tradi­tio­nellen Perser bin ich schon ein seltsamer Fall: Eine Frau, die ihr eigenes Geld verdient, keinen reichen, einfluß­rei­chen Mann hat – irgend­etwas ist komisch daran. Man kennt es einfach nicht.

artechock: Eine Provo­ka­tion?

Tabatabai: Persien ist alles in allem in solchen Punkten nicht so weit, wie Deutsch­land. Das ist eine andere Kultur und Tradition, die auch sehr viele schöne Seiten hat.
Ich gucke nachts zum Beispiel gerne Fernsehen, lasse den Fernseher laufen...

artechock: ...zum Einschlafen ?

Tabatabai: ... Nein, ich bin jemand, der nachts wach ist. Wenn ich zum Beispiel an Musik arbeite oder so, dann mache ich das nachts. Da klingelt kein Telefon.
Und wenn ich dann zwischen­drin diese Sex-Werbungen sehe, dann denke ich mir schon manchmal: Ist das ok, ist das richtig ? So perfekt ist unsere Gesell­schaft auch nicht. Oder die Talk-Shows.

artechock: Fernsehen ist am wenigsten perfekt. Was hast Du überhaupt für ein Verhältnis dazu ?

Tabatabai: Ich bin ein Fern­seh­kind. Ich bin mit Fernsehen aufge­wachsen. Ich schaue sehr gerne fern. Gut: Es gibt zwar sehr viele Phasen, in denen ich überhaupt nicht fernsehen kann. Aber wenn ich wieder zuhause bin, dann schaue ich mit großer Regel­mäßig­keit meine Lieb­lings­se­rien.
Ich schaue jetzt keine Soaps. Das ertrage ich nicht. Aber „Emergency Room“ oder „Akte X“ oder „Star Trek – Next Gene­ra­tion“ oder „Al Bundy“ – damit bin ich aufge­wachsen, ich bin Fern­seh­kind.

artechock: Das ist eine Gene­ra­tio­nen­sache: Soaps sind nur für Jüngere, nicht ?

Tabatabai: Wem immer das nichts ausmacht, daß man da wahnsinig beschhhhh... Das ist Konsum­ware, das ist Trash, das nimmt man nebenbei so mit. Ich gucke wahn­sinnig gerne Filme. Als Kid kommst Du nicht oft ins Kino, also hab' ich viel fern­ge­guckt. So ist überhaupt mein Wunsch entstanden, Schau­spie­lerin zu werden.

artechock: In Berlin läuft in zwei Wochen ein neuer Film, den Du mit Oskar Roehler gedreht hast: Gierig

Jasmin Tabatabai: Ich kenn' ihn auch nur als Roh-Roh-Rohschnitt. Das ist eine völlig andere Welt, als Late Show. Oskar Roehler ist auch ein völlig anderer Regisseur, das ist auch das Tolle in meinem Beruf. Das ist eine Geschichte zwischen Richy Müller und mir. Wir sind lange zusammen, und haben so ein Arran­ge­ment, daß wir uns zwar lieben und alles – aber jeder geht so seine Wege, schläft mit anderen Leuten und so weiter. Und dann kommt ein Schick­sals­schlag, der alles durch­ein­an­der­wirft. Plötzlich ist man mit dem Unfaß­baren konfron­tiert, und muß sehen, wir man dabei umgeht, und viel­leicht ein paar Sachen wieder auffrischt. Es ist in richtiger Berlin-Film, der spielt viel im Nacht­leben. Ich freue mich sehr über den Film.

artechock: Wenn Du sagst „Berlin-Film“: Womit kann man ihn stilis­tisch verglei­chen? Mit Lola rennt, schnell geschnitten?

Tabatabai: Nee, Nein überhaupt nicht. Es ist ganz eindeutig ein Oskar Roehler-Film. Er erinnert mich viel mehr an Filme von Almodóvar. Oskar hat auch eine Betrach­tungs­weise, eine Art zu schneiden, die völlig unkon­ven­tio­nell ist. Was mich daran inter­es­siert: der Film paßt überhaupt in kein Genre. Deswegen fällt es mir jetzt wirklich schwer zu sagen: es ist eine Komödie oder eine Tragödie. Es ist ein völlig eigen­s­tän­diges Ding. Und Oskar ist so ein Typ, der viel schreibt. Er ist wirklich ein Schrift­steller. Das merkst Du an seinen Dialogen und an der Art, wie er plötzlich Sachen sieht. Ich habe nie so jemanden erlebt, wie ihn, der wirklich auch so seltsame Ideen hat: in einer Kame­ra­rich­tung steht dann plötzlich eine nackte Frau im Bild. Die steht einfach da. Surreale Bilder. Aber es ist auch ein sehr emoti­ons­ge­la­dener Film, der hat sehr viel Pathos.

artechock: Wonach suchst Du Deine Rollen aus?

Tabatabai: Bauch.

artechock: Bauch, richtig Bauch, nicht Herz?

Tabatabai: Das ist ja eine Einheit.