04.10.2007

Seeing is Believing

Honor de Cavallaria
Honor de Cavalleria: »Der wirklich beste Film seit Bunuel!«
(Foto: Underdox | Albert Serra)

Das Münchner UNDERDOX, »Festival für Dokument und Experiment« räumt mit Sehgewohnheiten auf

Von artechock-Redaktion

Don Quichotte, Ritter von der Traurigen Gestalt, und sein Knappe Sancho Panza konnten nur nachts reiten – tagsüber war einfach die Sonne zu heiß. Dies war die Vorü­ber­le­gung des kata­la­ni­schen Regis­seurs Albert Serra, der das Opus magnum der spani­schen Lite­ra­tur­ge­schichte in einer aber­wit­zigen Film­in­ter­pre­ta­tion haupt­säch­lich bei Nacht spielen lässt. In der Nacht ist es bekannt­lich dunkel, und in dieser kata­la­ni­schen Filmnacht ist es tatsäch­lich dunkel – mit den Ahnungen an das Helle, die sich auch immer wieder in der Fins­ternis ergeben. Albert Serra hat seinen Debütfilm mit einfachen Produk­ti­ons­mit­teln auf einer MiniDV-Kamera gedreht – und wurde nicht nur als Bester Nach­wuchs­re­gis­seur ausge­zeichnet, sondern für sein visuelles Under­state­ment obendrein mit dem Preis der Inter­na­tio­nalen Film­kritik belohnt.

Es gibt eine ganze Reihe solcher heraus­ra­genden undog­ma­ti­schen Filme; und diese hat das Münchner Film­fes­tival »Underdox« in seinem zweiten Jahr in einem dichten Programm zusam­men­ge­fasst. Dabei hatten die Festival-Macher, Artechock-Redak­teurin Dunja Bialas und Bernd Brehmer vom Münchner Werk­statt­kino, die Schnitt­stelle zwischen den Film­genres im Visier. Sie zeigen Filme, die sich im Grenz­be­reich von Dokument und Expe­ri­ment (so auch der program­ma­ti­sche Unter­titel des Festivals) bewegen, und Film­fik­tionen, die doku­men­ta­risch gesättigt sind – durch die Einfach­heit ihrer Produk­ti­ons­mittel und durch ihre Erzähl­weisen, wie Juventude em marcha – Collosal Youth des portu­gie­si­schen Autoren­fil­mers Pedro Costa, dem zwei Programme gewidmet sind. Dabei sind auch wie letztes Jahr wieder Fake Docu­men­ta­ries dabei, die japa­ni­sche Success-Story über die angeb­liche Karriere des Paar-Skisprin­gens Ski Jumping Pairs – Road to Torino 2006, und die bitter­böse schwarz­hu­mo­rige Fake Shocu­men­tary Petit Pow! Pow! Noël, in dem der Québec-Kanadier Robert Morin mit seinem todkranken Vater im Ster­be­hospiz abrechnet – scheinbar.

Wo man hier den Bildern nicht mehr trauen kann, setzen andere Filme bei »Underdox« ganz auf das Vertrauen in die Bilder. Aber auch hier, wo den Bildern der Status eines echten Dokuments erteilt wird, zeigt sich, wie die Wirk­lich­keit doch gebrochen ist, und unter der Ober­fläche eine dunkle Tiefe lauert, die dem, was visuell doku­men­tiert wird, Hohn spricht. Der Ameri­kaner John Gianvito hat den Spuren der poli­ti­schen Geschichte in der Land­schaft Nordame­rikas aufge­spürt und Gedenk­ta­feln und Monumente mit Inschriften gefunden, die chro­no­lo­gisch von den krie­ge­ri­schen Umtrieben der US-Regie­rungen in Film­ex­po­naten erzählen. Ohne vorzu­führen oder zu belehren lässt Gianvito spüren, wie Land­schaft politisch aufge­laden sein kann, Topo­gra­phien von Sieg und Nieder­lage sind. Gleich zwei Programm­punkte widmen die Festi­val­ma­chern diesen »poli­ti­schen Land­schaften« – zu sehen sind außerdem Un pont sur la Drina – wo im Cine­ma­scope-Format die Schönheit der Drina-Brücke gefeiert wird, die sich dann durch die Tonspur in den Anblick auf eine »Topo­gra­phie des Terrors« wandelt, und Zone of Initial Dilution über die Urba­ni­sie­rung des chine­si­schen Drei-Schluchten-Tals durch das weltweit größte Stau­damm­pro­jekt.

Unter den 36 Filmen, die »Underdox« dieses Jahr zeigt, wird sich wohl kaum ein Film finden, der einen unberührt aus dem Kino gehen lässt – sie alle räumen mit Sehge­wohn­heiten auf und sind obendrein Filme über Wirk­lich­keiten, die uner­fahrbar oder unbekannt sind. Die beiden chine­si­schen Inde­pend­ents Meng You – Dream Walking und Floating Dust aus der »Trilogie der Massen«, in der es um das »Überleben in einer absurden Welt« geht, hat Regisseur Huang Wenhai an der Zensur vorbei­gedreht. Seine Filme sind klan­des­tine, in China zur Unsicht­bar­keit verdammte Werke – wie übrigens auch die seines Kollegen Jia Zang-ke, dessen Still Life diese Woche im Kino anläuft.