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Am Anfang war der leere Raum. Die Sprachlosigkeit zwischen
dem Anhalterpärchen in seinem Erstlingsfilm AMBLIN'.
Der unmotivierte, unbegründete Schock durch das Böse,
das in Form eines unsichtbaren Verfolgers in DUELL einfach
da ist - der Steven Spielbergs Durchbruch begründete.
Oder die Leere zwischen den drei Jägern auf dem Boot.
mit dem DER WEIßE HAI verfolgt wird - der erste Welterfolg
des Regisseurs. Vielleicht hat Steven Spielberg diesen leeren
Raum später zu oft gefüllt, um auch ein wirklich
großer Regisseur zu werden. Ein ganz wichtiger ist er
allemal.
Die Geschichte des US-Kinos der letzten 30 Jahre ist nicht
zuletzt eine Geschichte seiner Filme: Kein zweiter repräsentiert
so wie er den Gang der Dinge in seinen Stärken wie in
seinen Schwächen - und dass er das tut, ist seine Stärke
wie Schwäche zugleich. Immer nahe dran am Zeitgeist bestimmt
er Diskussionen, beeinflusst in vielfältiger Weise Kollegen,
prägt mit seinen Firmen die Produktionsbedingungen.
Doch obwohl sich Themen und Stil seiner Filme gleichen, man
ihm wohl auch eine eigene Handschrift zugestehen muss, hat
Spielberg doch kein Werk geschaffen, dass einen ähnlich
künstlerischen Anspruch erheben könnte, wie etwa
die Filme von Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola, um
nur zwei Beispiele zu nennen - von einem Stanley Kubrick,
dessen letzten Stoff A.I. er gerade verfilmt hat, ganz zu
schweigen. Auch ist er in keiner Weise ein Autorfilmer (was
immer das in Amerika überhaupt heißt), er repräsentiert
vielmehr ein Antiautoren-Kino par excellence.
Aber nicht alle seine Filme sind schlecht. Man vergisst,
was Spielberg alles in den letzten 30 Jahren gedreht hat:
Nicht nur die beim Publikum beliebten, aber nichtsdestotrotz
in vieler Hinsicht fragwürdigen drei INDIANA JONES-Folgen,
nicht nur Schmonzetten wie E.T. und THE COULOUR PURPLE nicht
nur Popcorn-Movies wie JURASSIC PARK und LOST WORLD, sondern
eben auch tiefschürfend-geniale Seelenanalysen seiner
Heimat wie THE SUGARLAND EXPRESS, abgründige Komödien
wie 1941, subtile Mythenspiele wie der sympathisch verworrene
UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART, anrührend-sensible
Dramen wie EMPIRE OF THE SUN (DAS REICH DER SONNE) oder pathetische
Moralstücke wie SCHINDLER'S LISTE, den man nicht mögen
muß, um neben seinen guten Absichten auch zu respektieren,
dass ihm immerhin das Kunstsück gelang, den Holocaust
in einer Weise ins Kino zu bringen, die neue Zuschauerschichten
erreicht; um eine Diskussion um Massenmord und dessen Darstellbarkeit
dorthin zu bringen, wo sie bis dahin nicht stattfand. Das
alles zusammen macht ihn rätselhaft. Polemiken, die nur
sehen, was sie möchten, helfen da nicht weiter. Wer sich
zum Beispiel wie auch in einem etwas zurückliegenden
artechock Artikel über
die Tatsache ärgert, dass Spielberg Kubrick-A.I.-Vorlage
verfilmt, sollte sich als Kubrick-Fan zumindest auch die Frage
stellen, warum wohl der verehrte Meister ausgerechnet Spielberg
und keinen anderen für die Verfilmung gewinnen wollte
- was keineswegs nur eine von diesem postum gestrickte Legende
ist.
Jede Auseinandersetzung mit Spielberg wird es sich nicht zu
leicht machen dürfen, wird diese Vielschichtigkeit in
irgendeiner Form zu Kenntnis nehmen müssen - das Rätsel
Spielberg.
"Spielberg hat nicht nur Hollywood wiedererfunden, er
hat vor allem Hollywood als moralische Anstalt wiedererfunden",
schreibt Georg Seeßlen in seiner nun erschienen Monographie
des Regisseurs. Diese Wiedererfindung glückte freilich
nur mittels einer Kinderperspektive, der "Rückkehr
zu einer kindlichen Form der Unschuld. Er hat aus dem Kino
wieder eine Heimat gemacht. Was vielleicht in der Tat keine
allzu moderne Idee ist. Aber auch keine schlechte."
Von Seeßlen, einem der bekanntesten, wichtigsten und
produktivsten deutschen Filmkritiker, würde man ein Buch
ausgerechnet über Spielberg nicht auf den ersten Blick
erwarten. Bisher schrieb er über David Lynch, Stanley
Kubrick, Quentin Tarantino und die Coen-Brüder (gemeinsam
mit Peter Körte), also über Regisseure, die für
die Verbindung von Popularität und Anspruch stehen. Aber
es ist eines der Anliegen seines neuen Buches, eben nachzuweisen,
dass auch in Spielbergs Filmen mehr steckt, als nur perfektes
Unterhaltungskino, Blockbuster, die geschickt technische Innovationen
mit rückwärtsgewandtem Gefühlskitsch verbinden.
"Kein anderer Regisseur hat so (scheinbar) gnadenloses
Entertainment verbinden können mit moralisch-künstlerischen
Gesten wie AMISTAD oder SCHINDLER'S LIST."
Dabei leugnet er Spielbergs konservative Seiten, seine betont
unrebellische Haltung, die den 1947 geborenen von den meisten
seiner Generationsgenossen unterschied, keineswegs: "Spielberg
gehört zu den jungen Filmemachern, die sich mit der Sicht
der Väter-Generation Hollywoods identifizierten. Das
Erbe war wichtiger als die Revolte, das Verständnis bedeutender
als die Reflexion." Nur weist der Autor sehr überzeugend
nach, dass es sich all jene viel zu einfach machen, die in
Spielberg nur einen furchtbaren Sentimentalisten sehen wollen,
ihn allenfalls als brillanten Handwerker gelten lassen.
Es gibt unzweifelhaft Szenen bei Spielberg, anhand derer
man zeigen könnte, wohin es gekommen ist mit Hollywood,
anhand derer man alles erklären könnte, was falsch
läuft im Kino der Gegenwart, das nicht zuletzt in seiner
heutigen Gestalt Spielbergs Schöpfung ist. Etwa das Ende
von A.I: Der Bär, der auf das Bett purzelt, in dem Mutter
und Sohn einschlafen: ein Rettungshaken gegen Gefühl,
sozusagen als verkörpertes Augenzwinkern eingesetzt.
Das funktioniert so nicht. Große Gefühle und dann
das sich-nicht-trauen, das Relativieren durch ein knuffiges,
"süßes" Spaß-Element - das ist
dann eben Kitsch, und im Ergebnis, der Feier des gedämpften
Gefühls gegen die mögliche Ekstase auch ideologisch.
Aber es gibt wiederum andere Momente, die enthalten alles,
was den Zauber Hollywoods ausmacht. Und wer weiß, wo
das US-Kino ohne ihn stünde.
Seeßlens Text weckt solchen Sinn für Differenzierung.
Er zeigt, dass Spielberg nicht anders will, wo ein Roland
Emmerich nicht anders kann. Und dieser Unterschied muss unsere
Perspektive ändern. Spielberg will Kino für die
breite Masse machen, und man kann kritisieren, dass er genau
das tut. Aber es hat wenig Sinn, ihm immer wieder vorzuhalten,
dass es ihm auch gelingt.
Seeßlen beschreibt Spielberg als Märchenerzähler,
Schöpfer großer Abenteuergeschichten (und es ist
zweifellos der vielleicht größte Vorwurf, dass
er ALLES immer auch als Abenteuergeschichte erzählt,
selbst den Hollocaust, der unter seinen Fingern augenblicksweise
zum NAZI-PARK wurde), als gnadenlosen Plünderer der Kinogeschichte.
Er geht gegen das Klischee des Harmoniesüchtigen an:
"Der Mann, der später für sein familienfreundliches
Weltbild bekannt werden sollte, beginnt seine Arbeit für
das Kino mit einer der radikalsten Anti-Familienfilme der
Filmgeschichte." (gemeint ist THE SUGARLAND EXPRESS).
Nicht ein einziger Spielberg-Film würde, so Seeßlen,
"den Kriterien entsprechen, die in den populären
Ragebern für erfolgreiche Drehbücher aufgestellt
werden." Auch historische Kontexte bilden einen wichtigen
Bezugspunkt für das Nachdenken des Autors. Für Seeßlen
betreibt Spielberg zwar zumeist keine wirklich kritischen
Analysen ihrer Themen im Kino, seine Filme spielen aber "in
der Geschichte der Selbstaufklärung des Mediums eine
größere Rolle, als ihnen die europäische Filmgeschichtsschreibung
zugestehen will."
Seeßlens Buch ist eine fundierte Analyse des Spielbergschen
Universums, die weit über die üblichen Muster anderer
Regisseursmonographien hinausgeht. Spielbergs über 20
eigene Filme (zuzüglich seiner Arbeit fürs Fernsehen,
als Produzent und Drehbuchautor) werden nicht der Chronologie
folgend abgehakt, sondern in verschiedenen Themenblöcken
miteinander verschachtelt und aufeinander bezogen. So arbeitet
Seeßlen die Leitmotive des Spielbergschen Opus konsequent
heraus.
Dabei liest Seeßlen Spielbergs Filme in erster Linie
und kaum überraschend als Versöhnungsangebote, als
Versuch, "eine neue amerikanische Mythologie" zu
schaffen. Kinder und Erwachsene verschmelzen in ihnen, so
wie die Kinder oft allzu früh erwachsen werden müssen,
dürfen die Erwachsenen immer wieder den Traum der Kindheit
träumen, sind große Kinder wie Indiana Jones, oder
zumindest nostalgisch schwankende Melancholiker zwischen Zerfall
und Sehnsucht. Doch dabei gelingt Spielbergs Filmen immer
wieder, "mehr oder minder schmerzhafte Erinnerungsschübe
auszulösen." Spielbergs Welt, das versucht Seeßlen
zu zeigen, ist kein zuckersüßes Paradies, sondern
"eine unabänderliche Hölle, die dem Einzelnen
dennoch immer wieder die moralischen Entscheidungen abfordert.
Weder die Revolte, noch die Erkenntnis versprechen Befreiung."
Jenseits der fundamentalen Abwesenheit von Sinn in Spielbergs
existentialistischem Weltbild, gelingt dem Regisseur doch
auch "das Einschreiben jüdisch-humanistischer Phantasien
in den verdammten Mainstream." "Spielbergs Filme
suchen den Gerechten," seine Helden sind "alle in
Wahrheit Hysteriker", "Menschen, die nicht tun wollen,
was sie tun müssen - also keineswegs 'Helden' - und die
nicht sind, wo sie sein sollten. Spielberg und seine Helden
wollen nicht fort und hinaus. Sie wollen zurück."
Hier deutet sich Seeßlens Lösung des Rätsels
Spielberg an: Überanpassung und "Übermalen
des Jüdisch-Seins", der "anständige Liberale"
und Kritiker Amerikas will zugleich ein besonders guter Amerikaner
sein.
Ein ausgezeichnetes Buch: Klug und gut geschrieben, voll
großartiger Exkurse etwa zur jüdischen und christlichen
Religion, zur Bedeutung des Vietnam-Kriegs für das US-Kino,
ein Buch, dass in seiner Haltung und Vorgehensweise, in Dichte
und Tiefe der Analyse Maßstäbe setzt in der an
guten Filmbüchern leider viel zu armen deutschen Buchlandschaft.
Und ein Buch, dem es gelingt, seinem Thema gerecht zu werden,
ohne apologetisch zu sein. Spielberg, auch daran lässt
Seeßlen keinen Zweifel, betreibt "keine Aufklärung
im Kino"; wer in Hollywood heute höhere Ansprüche
stellt, arbeitet sich nicht zuletzt an einer Figur wie ihm,
an seinen Filmen ab.
Rüdiger Suchsland
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