Wer kennt das nicht ? Irgendwann nach eins, Du bist auf einer
Party (Fete darf man nicht sagen, erklärte kürzlich eine Freundin,
die schon viel länger hier wohnt, das klinge pubertär, und sei
außerdem unmünchnerisch), dämmerst mit dem vierten Bier in einem
abgewetzten Sessel dahin, das hübsche Mädchen, das Du vor einer
Dreiviertelstunde noch wohlgefällig betrachtet hast, knutscht mit
einem anderen, und von der Seite labert irgendein
Philosophiestudent auf Dich ein, erzählt von den neuesten Trends im
Poststrukturalismus - und die Musik taugt auch nichts.
Jetzt gilt es das richtige Zitat parat zu haben: "Frankly My
Dear, I don't give a damn!" sagte Rhett Butler einst, und mit
dieser unnachahmlichen Parade zerfallen alle
poststrukturalistischen Nuancen im Nu. Wenn Du es jetzt aber
-schwups- nicht geschafft hast, Dich ächzend vom Sessel zu erheben,
und Dich an dem Pärchen vorbeistolpernd nach interessanteren
Gesprächspartnern umzusehen, dann heißt es schnell ein neues Thema
zu finden, ehe der Kamarad neben Dir jetzt anfängt, Dich nach
Deiner Ansicht zu Derrida zu befragen - den konntest Du sowieso
noch nie leiden. Bleiben wir doch einfach beim Film. Und Du
legst los: Clark Gable klar, das war noch ein Kerl, obwohl Du
Scarlett O'Hara besser behandelt hättest an seiner Stelle, JULES ET
JIM, so müssen Beziehungen sein, es ist doch eh Mist, daß
dreiviertel aller Filme auf biedere Familiengründungen
hinauslaufen... und ob er MENSCHEN AM SONNTAG gesehen hat, einen
Deiner Lieblingsfilme ? Neben Hitchcock natürlich...
"Hitchcock" - Da kann sich jetzt endlich der Philosophiestudent
wieder einschalten, klar, genau VERTIGO, Du hättest doch sicher
auch das Hitchcock-Buch von Slavoj Zicek gelesen ... hast Du nicht
sagst Du, und außerdem magst Du NORTH BY NORTHWEST ("Der
unsichtbare Dritte") und ÜBER DEN DÄCHERN VON NIZZA, also Cary
Grant lieber; wenn schon Jimmy Stewart, dann FENSTER ZUM HOF. Und
für einen Augenblick vergißt der Typ seine Strukturen, und redet
immerhin über Voyeurismus.
Inzwischen haben sich noch zwei andere neben Euch gestellt, und
warten nur darauf, daß sie einen Punkt finden, an dem sie sich auch
in die Unterhaltung einloggen können, und auch die beiden
knutschenden Gegenüber haben irgendwelche Wortfetzen aufgeschnappt
- "It's cool baby."-"You just put your lips together and - blow" -
und hören zu, und während Du selbst gerade überlegst, wie sehr sie
Louise Brooks ähnlich sieht, redest Du über Godard.
Wieder einmal, inzwischen redet ihr alle sechs durcheinander und
streitet, ob Julia Roberts überhaupt schauspielen kann, und ob der
letzte Woody Allen besser war, als MIGHTY APHODITE, wieder einmal
bestätigt sich, daß Film das beste Gesprächsthema ist, wenn man mit
Unbekannten zusammensteht. Film ist die Universalsprache dieses
Jahrhunderts. Wer kennt noch den "Faust" oder "Krieg und Frieden"
(obwohl Henry Fonda als Pierre Besuchow und Audrey Hepburn als
Natasha Rostova und selbst Herbert Loms Napoleon nicht zu verachten
sind)?
Aber AUSSER ATEM und Anita Eckberg in der Fontana de Trevi kennen
alle, und selbst der letzte langweilige Trottel mit dem man
blöderweise zum Abendessen eingeladen ist, kann bei Film
irgendetwas Saudummes mitschwätzen und weil es um Film geht, sind
selbst saudumme Statements manchmal noch interessant. Über
Film kann man sich sogar mit seinen Freunden streiten, was sehr
erfrischend ist, wenn sonst Harmonie angesagt ist, und wenn Julia
einem im "Holy Home" wieder einmal eine hübsche Kommilitonin
vorstellt, läßt ein "I don't think you should FEEL about a movie.
You should feel about a woman. You can't kiss a movie." (Godard)
noch die plumpeste Kontaktaufnahme elegant ausehen.
Ein paar Filmzitate kommen immer gut. Und als Du dann noch
geschickt ein paar lobende Kommentare zu André Téchinés WILDE
HERZEN (LES ROSEAUX SAVAGES) in das Gespräch eingestreut hat,
siehst Du, wie sogar die Augen des hübschen Mädchens wohlgefällig
auf Deinen Lippen liegen. "Ich stehe auf Paul Newman" hatte sie
eben gemeint, wohl um ihren Latin Lover in die Schranken zu weisen,
der zumindest in der Hinsicht an Bratt Pitt erninnert, daß er mal
wieder duschen könnte. Derweil dreht es sich darum, ob eXistenZ
realistischerer ist als MATRIX - "Was heißt denn hier realistisch
!?" sagt sie, und Dir wird schon warm ums Herz.
Plötzlich, Du überlegst gerade, was genau Paul Newman am Ende von
DIE KATZE AUF DEM HEISSEN BLECHDACH zu Elizabeth Taylor gesagt hat,
beugt sie sich vor, und schaut Dir in die Augen. "Ich muß jetzt für
uns beide denken" haucht sie, zieht Dich in eine Ecke, und während
Du noch hören kannst, daß der Philosophiestudent die Unterhaltung
geschickt auf das Filmbuch von Gilles Deleuze bringt, wird dies der
Beginn einer wundervollen Freundschaft...
SCHNITT
Immer noch redet der Volldepp von der poststrukturalistischen
Infragestellung des Menschen, das Pärchen ist längst verschwunden,
als Du wieder aufwachst, spielt die Anlage gerade ein Lied von
Björk. Ist das nicht auch auf dem Soundtrack von TANK GIRL ?
Rüdiger Suchsland
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