Kinos in München – Rex
Im Westen was Neues |
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Das Kino mit der Gaststätte im Haus: Das Neue Rex sorgt seit 60 Jahren für Heimeligkeit |
Mit freundlicher Unterstützung durch das Kulturreferat München
Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kinomieten mehr denn je keine Selbstverständlichkeit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.
Von Natascha Gerold
Am Sonntag gibt’s nochmal Birnenkuchen mit Lavendel, im ersten Stock am Agricolaplatz 16. Dann ist vorerst Schluss: Ab Montag, 4. April geht für vier Monate im Laimer Stadtteilkino Neues Rex der Vorhang zu. Hoffentlich kein Drama, aber sicher viel Action wird sich dann vor statt auf der Leinwand abspielen, wenn Kinobetreiber Thomas Wilhelm mit seinen Leuten in Eigenregie abmontiert, aufräumt und ausräumt. Der Vorhang zu – und noch so manche Frage offen. Zum Beispiel, wie man das mit den alten Stühlen macht: Die rote Armee der 40 Jahre alten, treuen Bequem-Garanten hält zusammen: »Zu einem Stuhl in der Reihe«, sagt der Chef des Neuen Rex, »gehört eine Lehne, für einen einzelnen Stuhl mit zwei Lehnen brauche ich mindestens drei Stühle.« Wie kann man sie auf die einfachste und schnellste Art auseinanderdividieren und quasi »fertig konfektioniert« den Kinoliebhabern mitgeben, die sie derzeit für 30 Euro pro Stück erwerben können?
Sicher nicht die einzige knifflige Sache bis Mitte August, wenn im 62-jährigen Traditionskino aus einem 167-Sitze-Saal zwei Spielstätten entstehen. Wie das geht? »Am zweiten Bogen ist sozusagen die vorgegebene Trennlinie«, sagt Wilhelm und deutet nach vorne in Richtung Leinwand, während er im hinteren Bereich auf dem hochgeklappten Sitz eines der roten Sessel leicht vor- und zurückschaukelt, »dann wird das zweite Kino gedreht, das heißt, die Leinwand kommt von hier gesehen vorne auf die rechte Seite.«
Für circa 70 Besucher soll der neue Saal ausgestattet und etwas anders gestaltet werden als der jetzige, der seine ursprüngliche Farb- und Formengebung beibehält. »Keine schwarze Box« soll aus dem Neuzugang werden, Wilhelm schwebt eher ein »wohnliches Ambiente in Blau und Gold« vor. Auch dort werden Besucher Filme in 3D- und Digitaltechnik erleben können, genau wie im »Haupthaus«, wie er den vorhandenen roten Saal nennt, der auf circa 100 Plätze aufgestockt und neu bestuhlt wird. »Der Kunde soll das Gefühl haben, er steht im selben Haus, er spürt, dass etwas anders ist, er weiß nur nicht genau, was«, so Wilhelm. Auch Heizung, Lüftung, Brandschutzmaßnahmen werden ausgetauscht, erneuert, auf den neuesten Stand gebracht, ebenso wie der Schallschutz, weil der Ton zwischen den Sälen nicht hin- und herlaufen dürfe, erklärt er: »Wenn du gerade in einer Liebeskomödie sitzt und da hinten ballert irgendwo Star Wars herum – das geht nicht.« Im Foyer werde erst einmal nicht allzu viel passieren: Ein neuer Teppichboden, die Theke bekommt zunächst eine bedarfsgerechte Umstrukturierung. »Vielleicht bauen wir in ein, zwei Jahren eine neue ein.«
Deutlich öfter spricht er vom »Kunden« weniger vom »Besucher«, was den studierten Betriebswirten offenbart, der, wie viele seiner Münchner Mitstreiter, aus einer angestammten Kinobetreiber-Familie kommt. Seine Eltern, Thomas und Lieselotte Wilhelm, waren bekannt für ihr Studio Solln, das sie 1964 übernahmen und zu einer vielgeachteten Filmkunst-Institution machten. Doch wegen Asbest und Baufälligkeit musste das Haus mit dem markanten Tonnengewölbe und dem vielprämierten Programm 1991 abgerissen werden. »Laut Statiker hätte das Haus gar nicht stehenbleiben dürfen, 40 Jahre hat es gehalten – Wir hatten ein Riesenglück«, erinnert sich Wilhelm.
Schock und Horror, der einen letztendlich doch davonkommen lässt, mitunter sogar mit Happy End – derartiges hat der 51-Jährige Wilhelm, der seit 2001 das Neue Rottmann in der Maxvorstadt und seit 1998 das Cincinatti in Giesing betreibt, in seinem Leben als Kinounternehmer mittlerweile schon öfter mitgemacht: Das jüngste Ereignis dieser Sorte war wohl das drohende Aus für sein Cincinatti, als 2014 ein Supermarkt in das Lichtspielhaus einzuziehen drohte (Artechock berichtete). Nach Sitzstreik und Unterschriftenaktionen war noch im selben Jahr diese Kuh vom Eis: Das Gebäude im Fasangarten kam auf die Liste der geschützten Baudenkmäler, das Weiterbestehen des beliebten »Kinos in der Ami-Siedlung« war gesichert. Auch um sein Neues Rex musste Wilhelm schon einmal bangen. 2001 wollte der damalige Eigentümer Monachia das Gebäude zwecks Wohnungsbaus beseitigen lassen. Dies konnte dank Eigentümerwechsel noch verhindert werden, sodass in dem mehrstöckigen Haus am Agricolaplatz bis heute Wirtshaus, Kino und einige Wohnungen in friedlicher Koexistenz unter einem Dach untergebracht sind.
»Spannend« im Wortsinn war Wilhelms Beziehung zu seinem Kino in Laim schon von Anfang an: »Als ich zum ersten Mal hier war und in den Elektrokasten schauen wollte, habe ich beim Einschalten eins auf die Finger gekriegt«, erzählt er. Als junger Unternehmer hatte er das Neue Rex 1996, nach seinem Studium und Rückkehr aus Straubing in seine Heimatstadt München von François Duplat übernommen, dem einstigen Pächter des Cinemonde (1971 bis 1974) und des Arri (1974 bis 1984), der auch bei der Wiedereröffnung des Kino Solln als neuer Gesellschafter mit von der Partie war.
Getreu den Worten seiner Mutter Lieselotte – »Das Rex ist kein schlechtes Kino, es gehört nur ordentlich geführt« – krempelte Sohn Thomas die Ärmel hoch und renovierte das Kino 1997 komplett: Raus mit alten blauen Teppichfliesen und grauen Wänden, rein mit der Popcornmaschine. »Witzigerweise ist der Betrag, den ich jetzt investieren will, fast der gleiche wie damals – steht halt nur Euro davor«, sagt Wilhelm und grinst, soweit sechsstellige Summen dies eben zulassen. Damals – das war auch die Zeit, als das Mathäser gerade abgerissen wurde und Münchens Kinobetreiber zwei Fragen umtrieben: Wann wird da wiedereröffnet und wie soll man sich selbst auf die Multiplex-Zukunft vorbereiten?
Es klingt wie Ironie: Jetzt, knapp 20 Jahre später, spielt wieder eine Vielfach-Leinwand-Konkurrenz eine wesentliche Rolle für eine Veränderung des Laimer Kinos: Seit 2013 ist von einem geplanten Multiplex-Kino mit mindestens zehn Sälen im Nachbarbezirk Pasing die Rede, gut drei Kilometer vom Agricolaplatz entfernt. Entschieden ist noch nichts, doch Handlungsbedarf war für Wilhelm auf jeden Fall geboten: »Wenn es kommt, bin ich gut aufgestellt. Wenn nicht, bin ich besser aufgestellt.« Damals wie heute setzt er auf Wohlfühl-Kino für die »Kleinstadt Laim«, die mittlerweile immerhin 50.000 Einwohner zählt, sowie auf Publikumskenntnis: Das seien noch nie die Flippigen zwischen 15 und 25 gewesen, vielmehr setze es sich zusammen aus Menschen ab 30 plus, aus vielen Familien mit Kindern. Darauf ist auch das Filmangebot ausgerichtet, das Wilhelm als »gehobenen Mainstream« bezeichnet. »Ich muss mitkriegen, was die Leute sehen wollen, ich muss ihnen nicht aufzeigen, was sie sich anschauen sollen, ich habe hier kein Schwabinger Bildungsbürgertum.«
Zwar scheint Wilhelms Haltung auf den ersten Blick weit weg zu sein von der Arbeitsphilosophie eines Franz Bösl, dem ersten Besitzer des Rex-Kinos von 1954 bis 1972. Der habe, wie Hans Schifferle in »Neue Paradiese für Kinosüchtige« schreibt, »den oft ratlosen Zuschauern von Alexander Kluges Die Artisten in der Zirkuskuppel: Ratlos einen weiteren Gratis-Kinobesuch im REX ermöglicht, ›damit sie die ganze Komplexität des Films begreifen konnten.‹ Aber dass Wilhelm nicht nur Einspielergebnisse ihm Kopf hat, zeigt sich in solchen Statements wie ›Kinder müssen Bezug zum Kino lernen, dass es etwas anderes ist als Fernsehen‹, oder in seinen Zielen, die er mit dem Umbau im Blick hat. Er wolle nicht mehr Geld herausholen, sondern mehr Vielfalt, die verschiedene Filmvorlieben bedienen. ›Ich brauche die Filme, die mir die Kunden bringen, damit ich auch die Filme zeigen kann, die vielleicht nicht so ein großes Publikum finden, die aber auch gezeigt werden müssen.‹«
Wenn alles gutgeht, soll der Vorhang am 11. August zu Schweinskopf al dente wieder aufgehen. Und obwohl Thomas Wilhelm davon überzeugt ist, dass »man nicht ins Kino, sondern in einen Film geht«, wird es dann hoffentlich genügend Filmbegeisterte geben, die auch ganz bewusst und neugierig sein umgebautes Stadtteilkino im Münchner Westen besuchen werden.