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schon gesehen?
(wieder-)entdeckung eines museums
die münchner schack-galerie

Nur wenige Besucher verirren sich an einem gewöhnlichen Wochentag in das Gebäude Prinzregentenstraße 9. Ein Teppichboden dämpft die Schritte, während man ungestört ganze Raumfluchten durchwandern kann. Wäre da nicht das sporadisch um die Ecke blickende Aufsichtspersonal, man könnte für einen Augenblick vergessen, daß man sich tatsächlich in einem Museum befindet - der Münchner Schack-Galerie. Im Gegensatz zu den großen Museen wie den Pinakotheken oder dem Haus der Kunst, ist diese Sammlung gerade bei vielen Münchnern wenig bekannt. An der Qualität der Exponate kann dies kaum liegen, gilt die Schack-Galerie doch als eine der bedeutendsten Privatsammlungen deutscher Malerei des 19. Jahrhunderts. Vor allem zwei Gründe sind offenbar ausschlaggebend für das relativ geringe Interesse: zum einen ist den wenigsten Münchnern (die Touristen sind durch einschlägige Reiseliteratur meist besser informiert) bekannt, was sie denn in diesem Museum eigentlich erwartet, zum anderen scheint ein gewisser Vorbehalt gerade der Kunst der Spätromantik gegenüber zu bestehen. Ein kurzer Rundgang durch diese außergewöhnliche Sammlung möchte zumindest diese beiden Einwände gegen einen Besuch entkräften.

   
spätromantiker aller klassen

































Graf Adolf Friedrich von Schack hat sich mit der Kunst des in seiner Zeit gerade aufkommen-den französischen Impressionismus nicht anfreunden können. Der Jurist, Diplomat und Literat sammelte statt dessen die Werke zeitgenössischer deutscher Künstler, um sie anfangs in einem Teil seines in der Nähe der Propyläen gelegenen Hauses in der Briennerstraße auszustellen. Schack hatte sich gegen Ende seines Lebens zunehmend München entfremdet, so daß er die Sammlung Wilhelm II. vermachte. Dieser beließ sie entgegen dem Wunsch des Stifters jedoch in München und bestimmte für sie den Galerieflügel der neuerrichteten Preußischen Gesandtschaft in der Prinzregentenstraße.

Die Kunst der Spätromantik eröffnet den Rundgang durch das Museum. Die naiv und zum Teil auch kitschig anmutenden Illustrationen von Legenden und Märchen befremden nicht selten den heutigen Betrachter. So versuchen „drollige“ Zwerge in Moritz von Schwinds „Der Traum des Gefangenen“ die Gitterstäbe einer Gefängniszelle zu durchsägen, während uns Joseph von Führich die „Einführung des Christentums in den deutschen Urwäldern“ veran-schaulichen will. Diese offensichtliche, ihr Heil in der legendären Vergangenheit suchende Weltferne wird den heutigen Betrachter kaum mehr interessieren, und doch kann man den Gemälden einen gewissen Reiz nicht absprechen. Dieser offenbart sich am Eindrucksvollsten bei unprätentiösen Bildern wie Schwinds „Morgenstunde“ oder Spitzwegs „Hypochonder“, in denen jeglicher Pathos vermieden ist. Ihre Stärken, die in den feinen malerischen wie erzähle-rischen Ausdrucksmitteln liegen, kommen gerade in den stillen und intimen Räumen der Schack-Galerie voll zur Geltung.

Im 1. Obergeschoß bietet sich ein anderes Bild. Hier finden sich die Werke junger und damals noch unbekannter Künstler wie Lenbach, Böcklin, Feuerbach und Marées, die Schack durch Aufträge und Ankäufe finanziell unterstützte. Vor allem die unter dem Namen „Deutschrömer“ bekannt gewordenen letzten Drei zog es nach Italien, nach Florenz und Rom. Während in der Spätromantik die Kultur des Mittelalters zum Ideal erhoben wurde, wird ihnen nun die Kunst der Antike und der Renaissance zum Vorbild. Die bedeutende Böcklinsammlung gibt einen guten Überblick über den neuartigen Themenkanon. Antike Meereswesen, Drachen und Hexen bevölkern Böcklins Bilder. Der Künstler zeigt sie jedoch nicht aus einer historischen Distanz, sondern es gelingt ihm, ihnen eine packende, lebendige Wirkung zu geben.
Anselm Feuerbachs Werke zeigen demgegenüber eine andere Auseinandersetzung mit der Antike. Obwohl bei ihm nach klassischem Ideal der Mensch im Mittelpunkt steht, wirken sei-ne Figuren im Gegensatz zu denen Böcklins entrückt und ohne Leben. Die Distanz zwischen Werk und Betrachter wird dabei nur selten vermindert, so etwa bei „Paolo und Francesca“, wo Feuerbach einfühlsam den Moment festhält, in dem beide ihre Liebe zueinander entdecken.
Im Anschluß an den Feuerbachsaal ist eine Auswahl der von Schack in Auftrag gegebenen Kopien nach bekannten Werken von Tizian, Raffael und Velázquez zu sehen. Es ist dabei interessant zu beobachten, wie unterschiedlich exakt die Kopisten jeweils mit der Vorlage umgegangen sind. Lenbachs getreuer Wiedergabe von Tizians „Venus von Urbino“ steht Hans von Marées’ freiere und dabei interessantere Umsetzung des Reiterbildnisses König Philipps IV. von Velázquez gegenüber.

Das 2. Obergeschoß ist den eher unbekannten zweit- und drittklassigen Spätromantikern überlassen. Nicht oft bekommt man derartige Arbeiten, welche die großen Qualitätsschwankungen innerhalb des Jahrhunderts demonstrieren zu Gesicht. Während gleichrangige Werke bei anderen Museen so gut wie nie das Depot verlassen, präsentieren sie sich hier als Teil einer abgeschlossenen privaten Sammlung, die somit auch von kulturhistorischer Bedeutung ist.

Die großen wechselnden Sonderausstellungen locken mit Namen wie van Gogh, Cézanne oder Picasso jährlich Tausende Besucher in die Museen und Ausstellungshallen. Dem Sensations- und Ereignischarakter dieser Mammutschauen setzen Museen wie die Münchner Schack-Galerie eine intime Atmosphäre entgegen, in welcher der Besucher auch nach wiederholter Besichtigung noch überraschende Entdeckungen machen kann. Dieses „vergessene“ Museum wird nie ein Publikumsmagnet werden und gerade deshalb lohnt sich seine „Entdeckung“ - vielleicht schon an einem der kommenden Montage, an dem es, dem allgemeinen Museumsbetrieb zum Trotz, geöffnet ist.
Öffnungszeiten: Täglich außer Dienstag, 10-17 Uhr

frank schmidt





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