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frühlingserwachen
gentle spring von frederick sandys (1829-1904)

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Mord in der Fußgängerzone
Hubert Gerhard stellt den Kampf zwischen dem Erzengel Michael und dem Teufel dar

Er sticht zu. Einmal, vielleicht zweimal oder noch öfter. Und der, auf den eingestochen wird, hat keine Chance. Er wehrt sich zwar, aber sein Gegner ist zu mächtig. Man könnte glauben, daß der Kampf bald beendet sein wird, daß der Erzengel Michael über den Teufel siegen wird. Aber der Kampf an der Fassade der Michaelskirche in der Neuhauser Straße wird wohl noch nicht so bald enden.

Die Michaelskirche entsteht in der Zeit des Barock. Genauer gesagt im Jahre 1582, als sich Wilhelm V. entschließt, an dieser Stelle eine Jesuitenkirche bauen zu lassen. Das Patronat für diese Kirche soll der Erzengel Michael übernehmen. Und weil Hubert Gerhard, ein geborener Niederländer, sich gerade in München aufhält, wird er von Wilhelm V. beauftragt, einige Erzbildwerke für das Innere und den Erzengel für das Äußere der Kirche zu schaffen. Denn Hubert Gerhard ist kein Neuling auf diesem Gebiet. Im Gegenteil: bereits zu dieser Zeit hat er wahrscheinlich schon einen recht guten Ruf. Zuvor hatte er nämlich bereits für die Fugger in Augsburg gearbeitet, wo er z.B. den Augustusbrunnen und die Dominikanerkirche schuf.

1588 macht sich Hubert Gerhard dann an die Arbeit und läßt die Skulptur gießen, aber erst vier Jahre später beginnt er, sie zu bearbeiten. Hierbei gibt er sich besonders viel Mühe: er ordnet Michaels Gewand so an, daß es weniger verhüllt, sondern die Formen des Körpers noch erkennen läßt. Die Knie treten z.B. noch deutlich hervor. Und weil der Erzengel der Vertreter des Guten ist, macht Hubert Gerhard ihn mit Flügeln und gut frisierter Lockenpracht zu einer recht schönen Figur. Seine Detailfreude hat ihn allerdings an Michaels Gesicht verlassen. Es ist fast unmöglich, irgend etwas über die Gefühle Michaels aus dem Gesicht zu erkennen, denn er sieht vollkommen gelassen und unberührt auf den Teufel herab. Bei ihm tritt die Freude am Detail jedoch wieder hervor. Hubert Gerhard stattet den Teufel als Vertreter des Bösen natürlich mit Pferdefuß und Hörnern aus und läßt am weit geöffneten Mund des Teufels erkennen, welch große Schmerzen er haben muß.

In der Ikonographie gilt Michael als einer der ersten Himmelsfürsten und als Fürst und Schutzengel Israels. Und weil er auch die Seelen der Toten begleitet, ist er auch der Patron der Friedhofskapellen. Der Kampf des Erzengels mit dem Teufel taucht zum ersten Mal im 9.Jahrhundert auf und wird vor allem im Mittelalter sehr oft dargestellt. Hubert Gerhard hat also an der Michaelskirche ein relativ altes Thema bearbeitet, aber auch seinen eigenen Stil mit einfließen lassen. Denn er hat bei einem Künstler aus Italien gelernt, der auch Kontakte zu Künstlern und Werkstätten aus dem Norden hatte. Und das ist an Hubert Gerhard nicht spurlos vorbeigezogen. So wurde sein eigener Stil eine Mischung aus dem Niederländischen und Italienischen. Mit dieser Mischung hat er dann einen Übergang von der Renaissance zum Barock geschaffen, was ihn zu dem Hauptvertreter der süddeutschen Bronzeplastik um 1600 gemacht hat.

kathrin klette

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frühlings erwachen

gentle spring

von frederick sandys (1829-1904)



frühlingserwachen

Gentle Spring (1863-65)
von Frederick Sandys (1829-1904)

Eine Betrachtung anläßlich des Frühlings

Es ist Frühling. Die Apfelbäume blühen, die Pusteblumen verstreuen ihre erste Saat und über allem ragt die volle Blüte des Mohns. Inmitten eines blühenden Gartens steht die allegorische Gestalt des Frühlings, statuarisch und in ein loses Gewand gehüllt, unter dem sich die volle Brust abzeichnet. Blütenblätter liegen im Schoß ihres Kleides und verstreut am Boden zu ihren Füßen.

Wiedergeburt und Regeneration der Natur, Verführung zu sinnlicher Liebe, so möchte man meinen und sich ganz der Künstlichkeit dieses Frühlingstraums hingeben. Doch im Hintergrund drohen bereits die Wolken eines nahenden Gewitters. Sie bilden die Folie für das mit Blumen geschmückte und von herzförmigen Schmetterlingen umgebene Haupt des Frühlings, das bei aller Lust im entrückten Blick und im geöffneten Mund, dann doch auch ein bißchen wehmütig erscheint. Und so erzählt das Bild beim zweiten Hinsehen vielmehr vom Werden und Vergehen, vom zyklischen Ablauf der Natur, wie er sich in der Symmetrie des Bildaufbaus spiegelt, aber auch von ihrer Wechselhaftigkeit und Launenhaftigkeit, von unserem vergänglichen Leben und von der Kurzlebigkeit der Liebe. Die Blumen sind reif, Pollenstaub durchzieht die Luft. Bald werden auch sie vergehen, wie die auf Gewand und Boden verstreuten Blüten. Und während das Haupt des Frühlings noch in jugendlicher Blüte steht, scheint ihr Körper bereits zu Stein erstarrt. Die Mohnblüte ist ein Symbol des Todes.

Die statuenhafte Erscheinung der Frauengestalt unterstützt zugleich die Künstlichkeit der Landschaft. Dem Maler geht es nicht um die sichtbare, mit Sinnen erfahrbare Natur, um Natürlichkeit im weitesten Sinne, sondern um die Künstlichkeit des Lebens und die Lebendigkeit der Kunst.

Wir erinnern uns an die Geschichte des Bildhauers Pygmalion aus Ovids Metamorphosen , ein beliebtes Thema der englischen Symbolisten, zu denen auch Frederik Sandys gezählt wird. Pgymalion hatte das Standbild einer Frau gefertigt, „die schöner war als je eine gesehen worden war, und er verliebte sich in das von ihm geschaffene Werk, als ob es voller Leben wäre; deshalb flehte er Venus um Hilfe an, und sie erfüllte seinen Wunsch. Sie hauchte dem Standbild Leben ein und verwandelte es in eine Frau, die Pygmalion heiratete.“ Der Pygmalion-Stoff kündet von dem dringenden Bedürfnis der Zeit, die Grenze zwischen Kunst und Leben aufzuheben, die Werke des Menschen künstlich zu beleben oder ihnen im Medium der lebendigen, subjektiven Anverwandlung das Leben wiederzuschenken.

Das Interesse dieser Künstler, von denen eine repräsentative Bildauswahl vor kurzem im Haus der Kunst zu sehen war, galt den Realitäten hinter der sichtbaren und faßbaren Realität: dem Unbewußten, dem Traum, dem Rätselhaften und Geheimnisvollen, dem Reich der Imagination und der Kunst - vor allem aber der Frau. Ihre Rätselhaftigkeit und die Undurchschaubarkeit ihrer Sexualität wurde für diese Maler zum Symbol des Rätsels der Welt schlechthin. Ganz wie der Tod. Und so sind die begehrtesten Frauen von schwacher Natur, Mittler zwischen Lebenden und Toten. Ihre Todesnähe bannt zudem die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Gefährlich ist allerdings nicht mehr die Verführung zur Sinnlichkeit im Sinne christlicher Sünde, sondern im Sinne einer Abhängigkeit des Mannes von einer selbstgenügsamen, naturhaften, sich selbst regenerierenden Frau. Als leblose Statue ist die Frauengestalt in unserem Bild gebannt, ihre natürliche, selbstregenerierende Kraft zugleich gefesselt.

Über der Landschaft spannt sich ein Regenbogen, als Vermittler zwischen Himmel und Erde, zwischen Unbekanntem und Bekanntem, zwischen Kunst und Natur, zwischen Mann und Frau.

Imke Bösch

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