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editorial

ein blick über den tellerrand

Kunsthistoriker, Künstler und Kunstinteressierte können zur Abwechslung mal einen Blick über den Tellerrand wagen. Mit der Ausstellung "unter die Haut - eine Reise durch den menschlichen Körper" will das Deutsche Museum erstmals einen Blick auf die Medizintechnik lenken. Schwerpunkt, und somit auch im Interesse des Kunsthistorikers, sind die bildgebenden Verfahren, ihr diagnostischer Nutzen und ihr Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität.
Seit der Renaissance, man denke hier vor allem an Leonardo da Vinci, dessen Codex Leicester zur Zeit ja auch im Haus der Kunst ausgestellt wird, kennen wir anatomische Kabinette mit ihren plastischen Objekten zur Veranschaulichung des menschlichen Körpers. Neue Methoden haben sich davon natürlich schon weit entfernt, die medizinische Diagnostik gehört heute zu den Leittechnologien des 21. Jahrhunderts. Zeigen wir uns also zukunftsorientiert und pilgern kurz vor der Jahrtausendwende nochmal ins Deutsche Museum.

eure redaktion

   

transformationen des lebendigen

(Vorgeschichte und Erster Akt)
Eine Ausstellung in Düsseldorf

Noch geöffnet bis Montag, 1. November 1999

„Welcome to the new flesh!!!“ rief die Hauptfigur von David Cronenbergs Videodrome den Kinobesuchern schon vor bald 20 Jahren ins Gesicht. Was damals noch schrille SF-Vision eines avantgardistischen Regisseurs war, ist angesichts gentechnologischer Fortschritte zusehends in den Bereich greifbarer Möglichkeit geraten: Die Vermischung von Fleisch und Technologie, von Körper und Maschine. Im Zeitalter von biotech und genetic engeneering lösen sich derartige Grenzen auf, machen die Unterscheidungen keinen Sinn mehr.

Folgreich hat das new flesh auch das allgemeine Bewußtsein und damit die öffentlichen Museen erreicht. Nach verschiedenen Versuchen von Neuen Medien und Videokunst unternimmt nun die Düsseldorfer NRW-Kunstsammlung einen ersten Versuch zur Archäologie der Zukunft, sprich einer kunstwissenschaftlichen Historisierung der neuen Techniken. So neu will man sagen, sind sie gar nicht, in der Kunst der Moderne beherrschen maschinenmenschliche Visionen vielmehr schon lange die kreativen Köpfe.
Und in der Tat: Wer Kleists Marionettentheater und Mary Shelleys Frankenstein kennt, dem kommt manches gar nicht mehr so phantastisch vor, was heute als neueste Ausgeburt auf dem menschlichen Maschinenpark begrüßt wird. Schon hier, erst recht in E.T.A. Hoffmanns Sandmann wandern die Automaten aus den lichten Salons der Aufklärung ins Zwielicht von Trug und Gefahr. Nathanael, die Hauptfigur, kann zwischen Mensch und Maschine nicht mehr unterscheiden, als er sich in die schöne Automatin Olimpia verliebt. Er bezahlt seine Liebe mit dem Wahnsinn.

Noch weitaus mehr Anhaltspunkte und Referenzen zum bizarren Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, vor allem aber zur Maschinisierung des Menschen und zur Vermenschlichung der Maschine liefert „Puppen Körper Automaten“, so der Titel der Schau, die sich solchen „Phantasmen der Moderne“ widmet.
Puppen sind Körper und Automaten, Automaten sind Puppen und Körper – erst die dritte der impliziten Thesen des Ausstellungstitels wird zur Provokation, jedenfalls dann, wenn man Körper nicht streng geometrisch versteht, sondern alltagssprachlich: Körper sind Automaten und Puppen - wo der Leib und Maschine verschmelzen, beginnt die echte Herausforderung.

   

fetische und ersatzmenschen

In den historischen Avantgarden haben Künstler und Künstlerinnen eine Vielzahl menschenähnlicher Kunstfiguren hervorgebracht und sich in technoiden Doppelgängern gespiegelt. Schaufenster- und Schneiderpuppen, Marionetten und Gliederpuppen, Automaten- und Maschinenmenschen, Prothesenträger und Anatomiemodelle, Wachsbüsten und Perückenköpfe bevölkern die künstlerische Vorstellungswelt. Sie faszinierten die Maler, Bildhauer und Fotografen aufgrund ihrer schillernden Existenz zwischen täuschender Lebensnähe und ausgeprägter Künstlichkeit. Puppen und andere Kunstmenschen sind planvoll hergestellte Artefakte, die jedoch Lebendigkeit simulieren und ein unheimliches - durch Phantasie beflügeltes - Eigenleben entwickeln können. In dieser Ambivalenz haben sie die künstlerische Imagination im höchsten Maße inspiriert: Kritisch-destruktive, magische und erotisch-sexuelle Aufladungen der Puppen zeugen vom Fetischcharakter der künstlichen Ersatzmenschen.

Deren verstärktes Auftreten ist symptomatisch in einer Zeit der Ablösung des naturalistischen Bildes, in der Kunst nicht mehr als Abbild von Realität, sondern als künstliche Gegenwelt in Erscheinung tritt. Im Zentrum der Ausstellung stehen deshalb vor allem solche kompositen Körperbilder, die ihre Position als Grenzfigur zwischen Natur und Artefakt zum Thema machen. Das Spektrum der gezeigten Kunstfiguren reicht von den Manichini der Pittura Metafisica über die Collage-Körper und grotesken Puppen der Dadaisten bis zu den technoiden Figurationen der Konstruktivisten und den surrealistischen Mannequins. Puppen und andere Stellvertreter der menschlichen Figur können - so die These dieser Ausstellung - als ästhetischer Grenzfall der Moderne verstanden werden, in dem sich die Künstler über das Verhältnis von Natur und Kunst, Schein und Sein, Original und Kopie, Wahrheit und Lüge in den unterschiedlichen künstlerischen Medien der Moderne auseinandersetzen.

Daher bleibt alles Erwähnte und Gezeigte eigentlich Vorgeschichte: Selbst die kubistischen Körperfragmentierungen, seine Beschleunigung und Zersetzung im Zeitrahmen der Futuristen, seine Geometrisierung bei Schlemmer und de Chirico, seine Mechanisierung bei Léger erscheint aus heutiger Sicht nur wie ein samtner Traum und wild-naive Fiktion des Möglichen. Zuviel Kulturkritik, zuviel Industriezeitalter und Dampfmaschinenmoderne ist in alldem, um die heute stattfindenenden knautschig warmen Transformationen des Lebendigen auch nur ahnen zu lassen.

Damals ging es noch um Rettung des natürlichen Körpers. Das schien nur möglich, indem dieser Körper vorbehaltlos den Konstruktionsprinzipien der selbstgeschaffenen Maschinen und ihrer Gesetze (Rhythmen) unterworfen wurde. Der Fordismus, die Anpassung der Fabrikarbeiter an die Rhythmen des Fließbandes, griff mehr noch als auf andere Lebensbereiche auf die Kunst über.

Heute – und auch das zeigt die Düsseldorfer Schau – findet das Umgekehrte statt: An Schaufensterpuppen erinnern die „wie geklont“ einander ähnlichen Models – und doch sind sie heute –Kate Moss und Naomi Campell lassen grüßen - individueller, als vor 20 Jahren – und die Schaufensterpuppen mit ihnen.

Wo im frühen 20. Jahrhundert die Mechanisierung der Natur im Mittelpunkt stand – und ihre ironischen Kontrapunkte bei Dadaismus und Surrealismus, das Herstellen „sinnloser“ und „naturhafter“ Maschinen vor allem, erzeugten – findet man heute die Herausforderung nicht mehr im Infragestellen der Begegnung nach der einen oder anderen Richtung, sondern in ihrer Perfektionierung: Die Maschine soll so gut sein, daß man sie für „echt“ und „natürlich“ hält, der Mensch soll so gut „funktionieren“, das er den Wettkampf mit der Maschine aufnehmen kann (die natürlich immer, wie der listige Igel bei Andersen, ihr „ick bün all do“ schreit)

Schon bei Max Ernsts "Die Anatomie" oder "Die Leimbereitung aus Knochen" ist der Weg zu Cindy Sherman nicht mehr weit. In unserer Epoche einer zunehmend allumfassenden Virtualität verliert die biologische Basis des Körpers endgültig an Stabilität, sie wird nicht mehr nur als potentiell veränderbar begriffen, sondern als variabel erfahren. An der Schwelle der Heraufkunft der Avatare, der Brain-Chips und des Cyber-Sex erinnert „Puppen Körper Automaten“die Gegenwart an ihre Zukunft, Oder, mit der Dialektik der Aufklärung: „Der Körper ist nicht mehr zurückzuverwandeln in den Leib“.

Puppen Körper Automaten - Phantasmen der Moderne, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, D40213 Düsseldorf, Grabbeplatz 5; Tel: 0211-83810, Fax: 0211-8381201; e-mail

Der Begleitband zur Ausstellung mit zahlreichen Essays erschien im Kölner Oktagon-Verlag und kostet an der Museumskasse 49 Mark.

Rüdiger Suchsland

   

konstruktionen der identät

Über ein Jüdisches Museum in München – Gedanken aus Anlaß eines Symposionsr

Alle wollen eines, aber keiner weiß genau, wofür - so ließe sich das Ergebnis des Symposions zusammenfassen, auf dem jetzt zwei Tage lang über das für München geplante Jüdische Museum diskutiert wurde, um dessen Aufgaben und Gestaltungsmöglichkeiten auszuloten.

Natürlich ist dieses Urteil ungerecht. Der städtische Kulturreferent Julian Nida-Rümelin zum Beispiel, weiß zumindest eines genau: "Ein jüdisches Museum wird eine aufklärerische Position beziehen müssen." Keine Sammlungstätigkeit will er, sondern Wechselausstellungen, aber trotzdem "ein eigenständiges Profil."
Und auch Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur in München will viel, nämlich alles Mögliche: "Nicht nur Stadtgeschichte ... neue Medien ... Identitätsstiftung für die Gemeinde ... Aufklärung für Nichtjuden über vergessene Kapitel jüdischer Geschichte, natürlich auch von außerhalb Münchens ... Anregungen ausländischer Museen mitberücksichtigen ... Informationen für jüdische und nichtjüdische Besucher" und so fort - Profillosigkeit und Verzicht auf Prioritäten kennzeichnete vieles, was an Plänen und Konzepten so zu hören war.

Dabei ist es durchaus verständlich, daß man bei dem sensiblen Thema zuallererst daran interessiert ist, wenigstens ein paar der vielen potentiellen Fettnäpfchen auszulassen. Und es spricht eher für die Stadt und den Kulturreferenten, daß hier eine Form von Demokratie inszeniert wird, die - im Gegensatz zu anderen Themenfeldern - einsame Entscheidungen scheut, und auf den "öffentlichen Diskurs" der Bürgergesellschaft sitzt.
Ein wenig mehr eigenständiges Profil hätte man sich trotzdem gewünscht. Denn auch Nida-Rümelin weiß, daß er sich als Mandatsträger nicht auf Dauer darauf beschränken kann, wie noch diesmal geschehen, die Debatte zu moderieren. Er sollte sie möglichst rasch selbst mitgestalten.

Zuallerst zu beantworten wäre die Frage, ob und warum man denn wirklich überhaupt ein Jüdisches Museum braucht. Hierbei geht es nicht um das von allen Seiten gewünschte neue jüdische Gemeindezentrum, das ebenfalls am brachliegenden Jakobsplatz geplant ist, und das in der Diskussion oft mit dem Museum vermischt wird. "Das Zentrum ist eine absolute Notwendigkeit", meinte etwa Michael Brenner, "ein Museum ist weniger essentiell." Fürwahr. Unbefriedigend beantwortet ist nach wie vor die Kernfrage des Themas: Wie verhindert man eine neue Ghettoisierung des Jüdischen? Denn formal geschieht genau das, indem jüdische Vergangenheit und Gegenwart mittels einem eigenständigen Museum aus der allgemeinen Gesellschafts- und Stadtgeschichte herausgelöst und an einen exklusiven Ort transferiert werden. Vielleicht wäre es besser, das Stadtmuseum mit entsprechend mehr Platz und Geld auszustatten, Planstellen mit entsprechender Arbeitsplatzbeschreibung einzurichten, und so einen Themenbereich angemessen zu repräsentieren – aber als integrierten Teil der Stadt München, nicht als ausgeklammerten Bereich.

Doch für München scheint die seit längerem geplante Einrichtung mittlerweile beschlossene Sache. Und vielleicht ist es tatsächlich der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ angemessenen, in herausragender Weise seiner jahrhundertelangen jüdischen Geschichte zu gedenken, der Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von über 11.000 jüdischen Münchnern. "In naher Zukunft", so Julian Nida-Rümelin, soll es Wirklichkeit werden.
Trotz der zentralen Bedeutung, die die Nazi-Verbrechen naturgemäß für das künftige Museum haben werden, sollte man sich davor hüten, den Ort zum "Holocaust-Museum" umzufunktionieren. "Es ist sehr einfach, Vernichtetes in Form von Museen restituieren zu wollen" warnte auch Buchhändlerin Rachel Salamander vor dem „Entlastungsmoment“, das derartigen Orten wahrscheinlich unvermeidbar innewohnt.

So streifte die Debatte unversehens auch deutsche "Gedächtniskultur" im Allgemeinen. Daniel Krochmalnik, Professor für jüdische Philosophie in Heidelberg, begrüßte ausdrücklich Ort und Gestaltung des geplanten Berliner Holocaust-Mahnmals, "als Antithese zum Brandenburger Tor, dem Symbol des preußischen Machtstaates." Und er schloß: "Ein Staat, der sich das erlaubt, ist ein sicherer Staat auch für Juden."
Widerspruch erntete Krochmalnik als er jüdische Museen dann kurzerhand zur „Sache der Nichtjuden“ erklärte. Er schien sie vor allem als Konkurrenz der Synagoge wahrzunehmen. "Wir können nicht die Rolle der Aufklärer der Mehrheitsgesellschaft übernehmen." Schloß er. Wohl wahr. Doch so wenig sich das „Nichtjüdische“ auf eine Position reduzieren läßt, so wenig konnte auch Krochmalnik ein wie immer verstandenes jüdisches „wir“ für sich beanspruchen.

"Jede Form kollektiver Identität ist eine Konstruktion" schlüpfte Nida-Rümelin kurz in die Rolle des Philosophieprofessors und betonte die problematische "Tradition der Nationalgeschichten". Und auch Brenner oder Michael A. Meyer, Präsident des Leo- Baeck-Instituts, widersprachen allzu schnellen Antworten und leichtfertigen Vereinfachungen. Meyer wünschte sich hingegen das bewußte "Brechen von Stereotypen" und betonte die Doppelfunktion des Museums: "Für Christen Verständnishilfe, für Juden Identitätsstärkung." Für "Kultur, nicht Kultus" plädierte auch Brenner, und kritisierte zugleich Beispiele wie das Augsburger, die sich einseitig auf Darstellung des Religiösen beschränken.

So erreichte das Symposion bei aller Vielfalt ein Hauptziel: Es bot viel Stoff zum Nachdenken für den Kulturreferenten. Bereits am ersten Abend formulierte Michel Friedman, was ebensogut Fazit der Diskussion hätte werden können. Auf die Frage, ob man denn nun überhaupt Jüdische Museen brauche formulierte er nonchalant: "Schaden tun sie in der Regel nicht". Es liegt nun gerade an der Stadt, dafür zu sorgen, daß er Recht behält.

Rüdiger Suchsland

   


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