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magazin



 
besprechung
mentalitätspuren und menschliche konstellationen
photographie heute


vortragsreihe vom 21.01. bis 25.02.1999

Mutig bis peinlich muß es Thomas Struth (* 1953) ausgelegt werden, zu seinem Vortrag eingangs frühe malerische Werke gezeigt zu haben. Folgerichtig schwörte er der Malerei ab, denn nicht diese, sondern Bildermachen allein war sein Anliegen. Zunächst hatte er schon nach Photos gemalt, ab 1975 selbst Aufnahmen gemacht und malerisch bearbeitet. Weil er als Student so viel Zeit gehabt hat, wurde das städtische Leben auf den Straßen Kölns sein erstes Thema. Bald aber konzentrierte er sich auf die Spuren, die vorübereilende Passanten im Raum hinterließen. Das dortige Walraff-Richartz-Museum sei seine erste "Sehschule" geworden. Schließlich blieben nur noch die architektonischen Derivate als Mentalitätsspuren im Fokus. Dieses streng formalistische Konzept verbindet ihn mit der Düsseldorfer Photoklasse der Bechers, die er ab 1977 besuchte. 1978 legte er sein Raster über New Yorks Straßen. Durchzuhalten galt ihm als Maxime, um Vergleichbarkeit herzustellen. Also stellt er sich an ähnlichen Stadtkonstellationen mit seiner Großbildkamera auf. 1979-1981, in den modernen Vierteln um Paris erlaubte er sich aber auch mal eine Farbphotographie. Die letzte "Heroik der Moderne" habe er dort gefunden – im Gegensatz zu den Aufnahmen deutscher Nachkriegsbauten: hier hat er das häßlichste Haus, den Prototypen schlechten Geschmacks, gesucht (und oft gefunden). In Rom habe er sich über die bei uns ungebräuchlichen Müllwägen gewundert, in Japan 1986 fand er ein völlig anderes räumliches Konzept von öffentlich versus privat vor. Die Stadt habe sich ihm als Skulptur der Gesellschaft erschlossen, daher die ausdauernde Menschenleere.
von menschen und häusern



1984 begann Struth mit Porträts. Insbesondere Familienporträts verschiedener Nationalität legen durch die Personenkonstellation psychologische Strukturen offen. Wie die Häuser der Städte. Als er einmal Porträts vor Bildnissen in Öl aufnahm, entwickelte er sein nächstes Projekt daraus: die Museumsbilder entstanden 1989-1994. Insbesondere in Venedig war er dafür unterwegs, denn dort befindet sich noch vieles im ursprünglichen Kontext. Die Kommunikation zwischen Betrachtern und Werk wollte er einfangen, aber auch – und das macht diese Bilder so reizvoll – Parallelen zwischen Bild- und Betrachterraum. Farbliche Kongruenzen, gleiche Bewegungen, Gesten... Nun scheint auch das Gemälde seinen Besucher einer Betrachtung zu unterziehen. Jüngst hat er für ein Krankenhaus im Auftrag Photos gefertigt und eine etwas romantische Färbung nicht umschifft. Denn als Wunschbild für den kranken Körper hängt über jedem Bett nun eine – gesundheitsstrotzende - Blume. Dem Fußende gegenüber sind Ausblicke in die Natur plaziert, "das, worauf der Kranke so lange verzichten muß". Ob er fürs Sterbezimmer blattlose Eichenbäume im Winter aufgenommen hat? Ganz anders seine neuesten Porträts: Um nicht den bildlichen Eindruck auf eine Zehntel Sekunde festlegen zu müssen, zog Struth die Videokamera heran. Vor laufender Kamera harrten Leute eine Stunde lang bewegungslos aus. Geräuschkulisse und Augenaufschlag machen aus diesen laufenden Bildern eindringliche Psychogramme, einerseits. Anderseits, und man stelle sich vor, ebenfalls eine Stunde lang zurückzustarren: die Porträtfilme wirken unheimlich penetrant.
milena greif



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