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lenbachhaus

220 03|02|200
besprechung
von geöffneten und geschlossenen türen - stephan huber im lenbachhaus münchen

8,5 zi.-whg. f. künstler, 49 j.

eine ausstellung im
lenbachhaus
von 2.2.2002 bis 7.4.2002

Wer die Ausstellungsräume des Lenbachhauses München kennt, wird sich erst einmal umschauen, nach alt Bekanntem suchen und dabei kaum bemerken, daß man mit dem ersten Schritt mitten drin steht in Stephan Hubers Ausstellung mit dem Titel "8,5 Zi.-Whg. f. Künstler, 49 J.": denn die große, weiß gestrichene Holztür, durch die man die Ausstellung betritt, ist schon der erste Eingriff Hubers in die alt bewährte Raumabfolge des Lenbachhauses. Dabei hat der in München lebende Künstler in seinem über 20-jährigen Werk immer wieder durch den Einbau von zusätzlichen Wänden, Türen und Kammern mit der Konstruktion und Dekonstruktion von Räumen gearbeitet. Seine Räume gleichen begehbaren Bildern, die mit visuellen Symbolen gefüllt sind und nicht selten wie barockhafte theatralische Inszenierungen wirken. Auch im Lenbachhaus München lädt Huber den Betrachter ein, durch die bühnenhaft wirkenden Ausstellungsräume zu schreiten und dabei selbst Teil einer theatralisch-scheinhaften Welt zu werden. Die Wichtigkeit von Räumen und Raumabfolgen betonte der Künstler auch bei der Eröffnung seiner neuesten Ausstellung: er komponiere - so Huber - die Raumabfolge einer Ausstellung analog zu einem Musikstück und folge damit einer Dramaturgie zwischen leisen und lauten Räumen, offenen und verborgenen. Man darf sich im Fall des Lenbachhauses auf eine sehr gelungene Dramaturgie Hubers freuen!
   
kafkaeske Welt


Dabei ist die schlichte weiße Eingangstür aus Holz paradigmatisch für das, was den Betrachter erwartet, denn der Künstler verwendet sie im Laufe der Ausstellung in immer neue und veränderte Zusammenhänge und deckt dabei ihre unterschiedlichsten sozialen und gesellschaftlichen Bedeutungsschichten auf. Wir kennen die schlichten weißen Holztüren Hubers aus unserer alltäglichen, meist bürgerlichen Umgebung - jeder von uns geht täglich durch unzählige Türen, sie sind alltäglich und selbstverständlich, wir alle besitzen eine Reihe von Schlüsseln, die uns Türen öffnen und durch die wir diese Türen vor anderen verschließen. Gerade diesen tradierten Erwartungshorizont führen die Huberschen Türen ad absurdum: statt den Zugang zu einem gewohnt bürgerlichen Interieur zu gewähren, bilden die Türen Hubers den Auftakt zu einer kafkaesken Welt, in der die gewohnten räumlichen Strukturen und sozialen Regeln außer Kraft gesetzt werden. So enthält der steril anmutende, mit Edelstahl ausgekleidete Raum, den man durch eine kleine Tür betritt, nichts anderes als ein synthetisches Herz in einer Glasvitrine - der Betrachter riskiert eben mal einen kurzen Blick darauf, und eilt fast etwas erleichtert auf die Tür am Ende dieses Durchganges hin. Was macht man schon mit einem synthetischen Herzen in einem Raum, der von allem Menschlichen bereinigt ist? Andere Türen sind in der Ausstellung wie Fenster in die Wände eingelassen und Teil der dreiteiligen Arbeit mit dem Titel "Shit Happens". Beim Öffnen der Türen schlägt dem neugierigen Betrachter ein ohrenbetäubender Lärm und Videoaufnahmen von Katastrophenszenarien entgegen - eine Schneelawine zerstört eine Almhütte, eine Flutwelle reißt ein Haus mit sich, Flammen brennen ein anderes nieder, während Menschen aufgeregt wegrennen. Dabei kippen die zunächst stark bedrohlichen Bilder der Zerstörung häuslicher Sicherheit durch die zu Loops umgearbeiteten Videoprojektionen in eine slapstickartige Ironie, der Huber auch mit der Titelgebung "Shit Happens" gerecht wird. Dieser Wahrnehmung und dem ohrenbetäubenden Lärm entkommt man erst wieder beim Schließen der schlichten weißen Holztür, die als Ventil und Passage zwischen Drinnen und Draußen, zwischen Sichtbarem und Verborgenem dient.

psychotische Qualitäten


In einem kleinen Durchgangsraum hat Huber mit seiner neuesten vierteiligen Fotofolge "Shining", die auf Stanley Kubricks gleichnamigen Horrorfilm aus dem Jahr 1980 Bezug nimmt, einer seiner zentralsten Arbeiten plaziert. Zu sehen ist das Elternhaus des Künstlers in einer Eis- und Schneelandschaft, das aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen ist. Allein die Tatsache, daß er der Fotofolge den Titel "Shining" gibt und das Haus analog zum Overlook-Hotel in Kubricks Film in eine abgeschnittene Eislandschaft plaziert, führt dazu, daß der Betrachter schon intuitiv an die augenscheinlich unscheinbare Erscheinung des Hauses zweifelt. Tatsächlich entpuppen sich durch die im Uhrzeigersinn angelegten Erzählstruktur dieser Fotofolge sowohl das bürgerliche Einfamilienhaus als auch die gewaltige Eislandschaft als modellhafte Gebilde aus Gips und Styropor. Die perfekte Illusion der bürgerlichen Sicherheit wird somit als Konstrukt entlarvt, die zerstörerische, menschenfeindlich-psychotische Struktur des Hauses zeigt sich in der letzten Fotoaufnahme ganz deutlich - die Rückseite ist fensterlos, für die Menschen darin scheint kein Ausweg in Sicht.

   
mental maps


Wer die Tür zum letzten Raum der Ausstellung öffnet, steht vor Stephan Huber neuestem Werk, ein Werk mit dem langen Titel "Das Labyrinth in meinem Kopf, dargestellt als Glanz und Elend des XX. Jahrhunderts anhand von Kartografie als Projekt im Fortgang". Zu sehen sind sieben großformatige Landkarten in Form von Flügelaltäre, die in einer labyrinthartigen Anlage den Raum verstellen. Huber verwendet hierfür US-amerikanische Militärkarten und damit die genauesten kartographischen Darstellungen der Welt. Erst bei genauem Hinsehen bemerkt man allerdings, daß Huber in die objektive Welt der Karten eingegriffen hat - Inseln tragen den Namen von Romantiteln, ganze Länder werden Ludwig II. gewidmet, Seen und Meere tragen Spuren der Zerstörung im 20. Jahrhundert und immer wieder erscheint der Grundriß seines Elternhauses in Positiv- und Negativformen. Die objektive Welt der Karten verschmilzt in den Projektionen Hubers mit den unterschiedlichsten Ereignissen aus Geschichte, Kunst und Autobiographie. Man kann, man muß sich jedoch nicht - so der Künstler - auf diese "mental maps" seiner inneren Gedanken- und Vorstellungswelt einlassen. Denn reisen kann man in den Karten Hubers nicht so einfach, die Orientierung fällt schwer in einer Welt, in der die Fülle der Bezüge mindestens genau soviel Aufklärung wie Rätsel bietet. Die Gedankenräume, die uns die Karten öffnen, scheinen die Grenze einer semantischen und soziologischen Komplexität erreicht zu haben. Ihre Vieldeutigkeit verführt und verstellt gleichzeitig den Weg.

michaela bücheler



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