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stefan wischnewski

283 29|07|2003
besprechung
fäden, die die welt bedeuten
"social fabric" in der lothringer dreizehn

12.07.2003 bis 31.08.2003 in der
lothringer dreizehn

Künstler, die stricken, nähen oder sticken, haben es heute offenbar nicht mehr gar so schwer, sich auf dem Kunstmarkt zu behaupten. Der Wunsch nach interdisziplinärer Vernetzung der Künste hat experimentelle Arbeiten aus dem Bereich des Modedesign für den Galerieraum salonfähig gemacht. Textile Skulpturen wie die "Soft Sculptures" des Pop Art-Künstlers Claes Oldenburg gehören längst zum Standardrepertoire der großen Museen. Und nicht zu vergessen: Gerade Künstlerinnen haben durch ihre ironisch-subversive Aneignung traditioneller Handarbeitstechniken zur Kritik überholter weiblicher Rollenklischees beigetragen. Wolle, Garn und Textilien sind inzwischen Ausgangsstoffe, derer sich die Kunstschaffenden so selbstverständlich bedienen wie anderer Materialien auch.

   
amanda browder


Aktuelle künstlerische Arbeiten, die in und mit Stoff (engl. "fabric") realisiert wurden, sind derzeit in der Ausstellung "Social Fabric" zu sehen. Courtenay Smith gibt damit ihr Debüt als neue Kuratorin der lothringer dreizehn. Der Begriff "social fabric" wird im Englischen verwendet, um die soziale Struktur einer Gesellschaft zu beschreiben. Tatsächlich versammelt die Ausstellung Werke von Künstlern aus unterschiedlichen sozialen Milieus, was man den Exponaten selbst jedoch erstaunlich wenig anmerkt. Das Konzept ihres halbprivaten Ausstellungsraums homeroom fortschreibend, stellt die gebürtige US-Amerikanerin Arbeiten von Münchner Künstlern Positionen aus New York, Chicago und Los Angeles gegenüber. Untersucht werden soll, wie Stoff in der zeitgenössischen Kunst verwendet wird, um gesellschaftliche oder künstlerische Prozesse, Grenzen und Normen kritisch zu hinterfragen.

   
stefanie trojan

Eindrucksvoll in diesem Zusammenhang sind zwei Beiträge, die den funktionalen Einsatz von Stoff als Bekleidung und die damit verbundenen sozialen Konventionen als Ausgangspunkt nehmen: Geradezu schockierend auf das Eröffnungspublikum wirkt Stefanie Trojans Performance, die für den Fortgang der Ausstellung auf Video dokumentiert wurde. Unbekleidet in der Öffentlichkeit aufzutreten funktioniert bei der Freizügigkeit unserer Zeit zwar nur noch bedingt als Tabubruch. In Zugzwang brachte die Besucher jedoch ein Ständer mit diversen Kleidungsstücken neben der regungslos verharrenden Künstlerin. So haben die ersten Gäste auch erst mal einen großen Bogen darum gemacht.

   
ina ettlinger

Leisere Töne schlagen Ina Ettlingers "Änderungen" an, die sie aus Fundstücken von Second Hand-Läden oder Flohmärkten kreiert. Oft sind es geschlechtsspezifische Bekleidungen wie zum Beispiel ein typischer Hausfrauenkittel, die die Künstlerin als Ausgangspunkt für ihre bizarren Dekonstruktionen nimmt. Aus den Resten der Kleidung lösen sich scheinbar organische Strukturen, die sich auf der Wand oder dem Fußboden fortsetzen und in einen sonderbar ungereimten Dialog mit dem ursprünglichen Stück treten.

Als schützende Hülle gegen neugierige Blicke setzt Martina Salzberger den Stoff ein. Ihre bunten Nylonverkleidungen, die sich, wie eine Fotoserie beweist, im Handumdrehen in gläsernen Telefonzellen aufspannen lassen, fordern Privatsphäre im öffentlichen Raum vehement ein. Im Kontext der zunehmenden öffentlichen Überwachung nach den Anschlägen des 11. September erhält diese Arbeit, die im letzten Jahr bereits auf der Akademieausstellung zu sehen war, neue politische Brisanz.

   
martina salzberger

Die in der Ausstellung "Social Fabric" zahlreich versammelten plastischen Objekte und architektonischen Referenzen in Stoff profitieren gleichermaßen von der Flexibilität und Formbarkeit des Materials, wie dessen spezifische Eigenschaften den ursprünglichen Gegenstand verfremden und persiflieren. Ein wild flackerndes Lagerfeuer wird in Amanda Browders "Bonfire" zum kuscheligen Kunstpelz-Objekt, das zum Anfassen reizt. Ihr "Money Pile", ein aufgetürmter Haufen Geldstücke trägt weiße Reflexlichter. Doch bekanntlich ist nicht alles Gold, was glänzt: Der Reichtum ist aus Filz und wirkt wie eine Remineszenz aus einem Comic-Strip.

   
michael phelan


Auf moderne Mobilität verweist Stefan Wischnewskis "MTSV Sofa", eine aus prall gefüllten Sporttaschen arrangierte temporäre Sitzgelegenheit. Hart an der Grenze des Erträglichen bewegen sich die schreiend bunten Batik-Bilder von Michael Phelan, die auf Holzrahmen aufgespannt zur Kunst erhoben werden. Einen größeren Spielraum für die Imagination des Betrachters lassen die von der Hallendecke abgehängten architektonischen Konstruktionen von Frank Maier sowie "Norman’s Apartment", ein zimmergroßer Teppich von Rose Stach, in den sie die Abdrücke der Möbel des angeblichen Vormieters fein säuberlich nachgeschnitten hat. Das spielerische Experimentieren mit einem simplen Stück Stoff reicht in diesen Fällen tatsächlich aus, um auf Seiten des Betrachters gedankliche Prozesse in Gang zu setzen.

andrea hartmann


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