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237 12|06|2002
besprechung
hautnah - menschliche grenzwerterfahrungen
hautnah

eine ausstellung in der
villa stuck
von 30.05. bis 18.08.2002

Es sind Bilder für diese oft flüchtigen, unterbewussten Begegnungen mit sich selbst bis hin zu den Zulassungen der Spaltungen - also Bilder für die Schönheit und das Grauen in uns, schreibt Jürgen Klauke, einer der 20 internationalen Künstler der Ausstellung "Hautnah" in der Villa Stuck. Weitere Themen auf der ewigen Suche nach Identität sind die Gentechnologie, die Auseinandersetzung mit der westlich kapitalistischen Welt und sozialkritische Außenseiterpositionen. Photographien, Videos, Installationen und Gemälden, die unter die Haut gehen sollen, zielen auf die Konfrontation mit herkömmlichen Vorstellungen. Zusammengetragen wurden sie von der Münchner Kunstsammlerin Ingvild Goetz, die mit ihrer internationalen hoch angesehenen Kunstsammlung einen Querschnitt aus über 30 Jahren zeitgenössischer Kunst repräsentiert.
   
mann vs. frau


Die Frage nach der eigenen Identität, nach dem "ewig Männlichen" oder dem "ewig Weiblichen" spielt eine zentrale Rolle in den Photographien von Klauke. Er ist Protagonist seiner eigenen Arbeiten, ebenso wie die Künstlerin Cindy Sherman. In einem phantasievollen Rollenspiel verbirgt sie die eigene Identität hinter frappierenden Masken, gewährt Einblick in die Intimität eines Hotelzimmers, in die Seele einer nacktbusigen, zur Madonna stilisierten Alten. Ihre Arbeiten provozieren, drängen den Betrachter zum genauen Hinsehen, zwingen den Charakteren ihre Privatsphäre zu rauben. Jürgen Klauke ebenso wie Pierre Molinier, der sich in scheinbar "unmännlichen" Positionen selbst photographiert, setzten sich immer wieder mit der Frage nach einer geschlechterspezifischen Identität, mit der Rollenverteilung Mann - Frau auseinander. Daneben reflektiert Cindy Sherman das fremdbestimmte Frauenbild einer männlich dominierten Gesellschaft. Bjorn Melhus lässt auf vier Bildschirmen einen jungen Mann klonen. Vor dem Hintergrund eines überdimensionalen grünen Blattes spuckt eine Neonröhre einen platinblonden Jüngling in Unterwäsche aus. Ein zweifelhaft männliches Idealbild vermehrt sich auf beängstigende Weise, und jeder Klon betrachtet selbstzufrieden seinen Nachbarn. Die Frage nach Perfektion und vollkommener Schönheit drängt sich auf. Der Wunsch nach Selbstbestimmung, die Angst vor zu großer menschlicher Macht, das Blattgrün der Natur als warnendes Zeichen im Hintergrund oder als Fruchtbarkeitssymbol?

   
brutale nähe


Eine andersartige, unkonventionelle Schönheit findet man in den portraithaften Photographien tätowierter Männer und Frauen von Catherine Opie. Die Bilder sind schön, weil ich die würdevollsten und verführerischsten Bilder von einer Gruppe von Menschen machen wollte, die in Regel angestarrt werden. Ich wollte die Gelegenheit wahrnehmen und die Porträtierten den Blick erwidern lassen. Außenseiter der Gesellschaft finden sich auch in der Werken der Künstlerin Ulrike Ottinger. Ein kleinwüchsiger Mann führt im getupften Kostüm einen ebenso großen Dalmatiner an der Leine, eine fettleibige Frau tanzt vor dem nächtlichen Striplokal. Rollenerwartungen, gesellschaftliche Sitten und Gewohnheiten werden auf den Kopf gestellt, der Betrachter zum Hinterfragen eigenen Vorurteile und psychologischer Grenzen gezwungen. Sozialkritische Ansätze haben die Werke von Tracy Moffat und Robert Gober. Auf der wandfüllenden Tapete "Hanging Man / Sleeping Man" lässt Gober das Motiv eines gehängten schwarzen und eines schlafenden Weißen im Ornamentstil immer wiederkehren. Die Darstellung ruft unterschiedlichste Reaktionen hervor, lässt den Betrachter zweifeln oder fordert auf, Fehlendes zu ergänzen. Unumgänglich drängen sich Geschichten auf. Was ist mit dem Schwarzen passiert? Hat ihn der Weiße erhängt, oder ist der Tote nur Bestandteil seines Traumes? Die Photoserie "Scarred for Life" von Tracy Moffat enthüllt Szenen alltäglicher Graußamkeit, tragisch-komischer Kindheitserlebnisse. Verwaschene Farbphotographien mit begleitenden Texten dokumentieren Diskriminierung, physiologische und physische Gewaltverbrechen der Eltern an ihren Kindern.

   
auf der oberfläche - unter der haut


Ich denke, dass Kunst auf eine sehr subtile Weise Menschen öffnen und bereichern und auch zum Nachdenken bringen kann. Ein gemeinsames Merkmal zahlreicher Arbeiten in der Sammlung sind ihre Außenseiterpositionen. Es gibt vieles darunter, was nicht bekannt oder vertraut ist, was die Besucher neu überdenken oder vielleicht gar nicht annehmen können. Grenzbereiche werden berührt, die unter die Haut gehen, angenehm oder schmerzhaft. Alle diese Kunstwerke fordern den Betrachter heraus, führen ihn an die Grenzen seiner Akzeptanz, stellen seine Wahrnehmung und Wertvorstellungen in Frage. So beschreibt Ingvild Goetz ihre Sammlung, in der sich neben zahlreichen Arbeiten berühmter Gegenwartskünstler viel mit großen Gespür erworbene Werke aufstrebender Talente finden. Großes Lob an eine kulturell engagierte und mit überragender Kennerschaft ausgestattete Sammlerin!

Vera Koppenleitner



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