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besprechung
dinge-linge-ling - halbzeit im haus der kunst
1. teil - einleitung

dinge in der kunst des 20. jahrhunderts

eine ausstellung im haus der kunst
von 02.09.2000 bis 19.11.2000

Was macht das Urinoir der Firma R. Mutt auf dem Podest, was das gestopfte Eichhörnchen am Bierglas und überhaupt was soll das mit dem Spiegeleiern an der Garderobe? Wer sich schon lange fragt, ob hier einer nicht richtig tickt oder ob er selbst den Weg zum Therapeuten nicht länger scheuen sollte, dem sei dringend ans Herz gelegt, dem Haus der Kunst dieser Tage - jedoch bis spätestens 19. November - einen Besuch abzustatten. Schließen Sie sich am besten einer der kostenfreien öffentlichen Führungen des Hauses an (Mo 12.00; Do 19.00) oder befragen Sie den Wochenend-Cicerone nach Lust und Laune.
Das war nicht immer so - mit den Dingen. Lange Zeit waren wir gewohnt zu unterscheiden zwischen einem dargestellten Ding im Bild und den "realen" Dingen außerhalb des Bildes. Plötzlich aber waren sie da, bevölkerten ganze Leinwände, tummelten sich als Schnipsel, Reste, Schnitte, bald als ganzes auf den Oberflächen, und wenn sich die Leinwand nicht auf ihre Seite schlug, selbst Ding wurde, dann bemächtigten sich die Dinge der ganzen Region, herrschten selbst auf hohen Podesten, vermehrten sich durch obstruse Verbindungen mit ihresgleichen - und sind bis auf den heutigen Tag nicht mehr aufzuhalten - und erst recht aus der Kunst nicht mehr wegzudenken.
entfremdung
von den dingen
Es begann vor langer Zeit - man sagt spätestens irgendwann im 19. Jahrhundert. Da entfremdete sich der Mensch von den Dingen des alltäglichen Gebrauchs. Das mochte zum einen mit den neuen Produktionsformen zusammenhängen. Schon eine ganze Weile stellte man die Dinge, derer man bedurfte, nicht mehr selbst her. Und wenn man denn doch zu den weniger Glücklichen gehörte, die sie herstellten, so tat man dies nur unvollständig - infolge der in Mode gekommenen Arbeitsteilung. Später, als Besitzer hatte man keine lange Freude dran. Der schnellebigen Mode unterworfen, verwarf man sie, von schlechter Qualität, warf man sie - möglichst weit weg, im günstigsten Falle in die Mülltonne.
Es kam ein Zweites. Es kam der böse Onkel als Fotograf verkleidet. Nahm den Dingen ihr Leben, ihre Seele, bannte sie auf seine blanke Platte, übergoß sie mit allerlei Giften, so daß am Ende nichts als eine zweidimensionale "Form" blieb von dem, was einst so schön und rund war. Schon früh für kommerzielle Zwecke eingesetzt, wie schon eine Weile die Reproduktionsgraphik, entließen die Fotos die Menschen zunächst mit Bildern in ihren Köpfen. Die Dinge, die der Mensch fest in Händen hielt, hatte die Kamera schon längst festgehalten, und so schien kein Ding mehr ganz neu und unmittelbar.
Ein Drittes kommt hinzu: Zunehmend - seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert - definiert sich der Mensch nicht mehr so stark nach seiner Herkunft, der Familie, dem Stand, auch nicht mehr so sehr nach dem Beruf. Er beginnt sich durch etwas außerhalb seiner selbst zu definieren, durch die Meinung anderer, durch den Vergleich mit Anderen, auch durch den äußeren Umgang mit den Dingen. Und verflixt! Da entsteht natürlich ein kleines Problem. Für die Identität des Einzelnen ist die Welt da draußen von Bedeutung. Gleichzeitig haben wir uns der Dinge entfremdet, die uns diese Identität stiften sollen.
suche nach der natur der dinge
Und so heißt es immer wieder: das unmittelbare, "reale" Erlebnis der Dinge, die Natur der Dinge suchen. Das erinnert uns zuletzt noch an die neue, bürgerliche Suche nach der Natur in all ihren Erscheinungsformen. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert sucht man die natürliche Gesellschaftsform, die natürliche Erziehung seiner Kinder, das natürliche Selbst, das unmittelbare, natürliche Erlebnis. Realisten hießen die Maler, die Lehrer der Impressionisten, die bereits mit Staffelei und Öltube in die Natur gingen, nicht mehr den erhöhten Standort, den Überblick suchten, der lediglich den Augen ein Genuß war, sondern ins Unterholz strebten, die Natur mit allen ihren Sinnen wahrzunehmen, zu schmecken, tasten, hören, riechen. Die schon in den 40er Jahren des 19. dick aufgetragene pastose Farbe war als Material, als Ölfarbe eben, und nicht als rot, blau oder grün im Bild gegenwärtig, greifbar wie die Natur, die die Künstler aufsuchten, um sie zu malen. Noch vor dem Kubismus - vor Bracque und Picasso - , noch vor den russischen Kontruktivisten, wie Iwan Puni, und vor Marcel Duchamp mit seinen Ready Mades war die Herrschaft der Dinge, der Kampf um Dinge angebrochen.... .

imke bösch



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