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270 18|03|2003
in umwegen zum ziel
atelierprojekt

atelierprojekt

Landwehrstraße 39
Rg. 2. Stock
8
0336 München
T
el.: 089 /59 66 38

 

"Was - die sind da nackt?" fragte mich entsetzt eine Mitschülerin als ich ihr von meinem Aktzeichenkurs beim Atelierprojekt erzählte. Ich lachte und sagte: "Ja, natürlich. Das ist doch eben der Clou." Um Erotik geht es bei der Aktmalerei gar nicht, sondern um die Erfassung des menschlichen Körpers im Raum.

Acht Jahre später nach dem Aktkurs, finde ich mich auf einem Stuhl in den Mitte des Ateliers wieder, diesmal als Model zum Thema Porträtmalerei. Ungefähr zehn Teilnehmer (hauptsächlich Frauen) sitzen mit gezücktem Pinsel oder Bleistift im Halbkreis um mich herum und warten darauf, dass ich mich in Position bringe. Zehn oder fünfzehn Minuten muss ich nun in der selbst gewählten, oft nicht sehr bequemen Stellung ausharren, dann ändere ich meine Haltung. Anfangs habe ich Angst, dass das Stillsitzen langweilig werden könnte, doch das Kratzen der Bleistifte, der Kohle oder das angestrengte Seufzen der Schüler und die Anregungen des Lehrers, der durch die Reihen streift, erzeugen eine unerwartet positive Spannung.

Beim Interviewtermin ist alles noch so, wie ich es in Erinnerung habe: Heute ist nicht Aktzeichnen , sondern "Großformatiges Malen" angesagt. Ein paar wenige Frauen stehen verteilt in dem großen Atelier und arbeiten an ihren Bildern. In einer kleinen Küchennische kann man seine Pinsel auswaschen und sich in der Pause Kaffee oder Tee zubereiten.

Das Atelierprojekt wurde vor zehn Jahren von Jess Walter, Stefan Heide und Cornelia Eichhacker gegründet und ging ursprünglich aus dem Projekt 1 hervor, das damals von der Kunstakademie getragen wurde. Es ist ein gemeinnütziger Verein und bekommt im Prinzip keine Unterstützung, abgesehen von kleinen Spenden für Künstlervorträge von verschiedenen Organisationen, wie der Hypokulturstiftung. Der Verein trägt sich also selbst. Idee des Projekts ist, dass Künstler, die selber aktiv sind und ausstellen, Kunst unterrichten. Erfahrungen werden weiter gegeben und ausgetauscht. Das Programm ist relativ offen, wobei zwischen "festem" und "lockererem" Programm unterschieden wird. Zum festen Programm gehören Aktkurs oder Porträtmalerei, weil man hier nach einem Modell arbeiten muss. Zum lockeren Programm gehört der Kurs "Großformatiges Malen" mit Jess Walter. Gelehrt wird hier nicht die angeblich richtige Technik in der Malerei, sondern der individuelle Ausdruck. Jeder Schüler erarbeitet ein individuelles, sich stark von den Arbeiten der anderen Teilnehmer unterscheidendes Kunstwerk. So lernen die Schüler beispielsweise im Kurs "Keine Angst vor Ölfarben - Ölmalerei" mit Sabine Berr, nicht den akademisch richtigen Bildaufbau, sondern die Erforschung der unendlichen Möglichkeiten der Ölmalerei: Man kann spachteln, pinseln, kratzen oder mit den Fingern malen. So entstehen ganz unterschiedliche Bilder: Von abstrakten Farbkompositionen über Traumwelten bis zur gegenständlichen Malerei.

Jess Walter beschreibt den Malvorgang als "Prozess, dessen Ende ungewiss" sei. Oft haben Schüler etwas Genaues im Kopf, was sich im Laufe der Arbeit als etwas völlig anderes herausstellt als die ursprüngliche Idee. Oft müsse man "Irr- und Umwege" gehen, um ans Ziel zu gelangen. Der künstlerische Prozess sei nicht logisch steuerbar. Am Ende des Kurses werden die Arbeiten besprochen und verglichen, so dass die Schüler den Arbeitsprozess nachvollziehen können. Auch das Studium lebender oder bereits verstorbener Künstler wird als wichtiger Beitrag zum künstlerischen Schaffen angesehen und gehört zum Programm grundsätzlich dazu. Natürlich verfolgen die Kursleiter keinen therapeutischen Ansatz, dennoch kann ein Kurs den Prozess der Selbsterkennung unterstützen und das Selbstvertrauen stärken. Denn einige der Teilnehmer erkennen, dass sie doch mehr können, als sie sich zugetraut haben.

Die Kurse sind für jeden offen und werden häufig als Vorbereitung zur Erstellung von Bewerbungsmappen genutzt - von der Modeschule bis zur Kunstakademie.


 

evelyn safian



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